Antonia Quell im Interview

70.000 Unterschriften im Kampf gegen Catcalling

, von  Alina te Vrugt

70.000 Unterschriften im Kampf gegen Catcalling
Antonia Quell hat eine Petition gegen das sogenannte catcalling gestartet.
Foto: Zur Verfügung gestellt von Antonia Quell

„Geile, saftige Melonen!“, solche und noch erniedrigendere Formen verbaler sexueller Belästigung finden sich auf der Instagramseite „catcallsofcologne“. Diese und andere Seiten wollen auf das Problem des Catcallings aufmerksam machen. Bisher ist diese Form der sexuellen Belästigung in Deutschland kein eigener Strafbestand. In Frankreich sieht das schon seit 2018 anders aus. Genau wie viele andere Personen tagtäglich, hat auch Antonia Quell Catcalling selbst erlebt. Deshalb hat die Medienmanagementstudentin aus Würzburg im August 2020 eine Petition gegen Catcalling ins Leben gerufen und fast 70.000 Unterschriften gesammelt. Wir haben mit ihr über den Stand der Petition geredet und darüber, warum der Begriff „Catcalling“ eigentlich zu euphemistisch ist.

treffpunkteuropa.de: Warum hast du dich entschieden, eine Petition gegen Catcalling ins Leben zu rufen?

Antonia Quell: Natürlich wurde ich selbst auch schon persönlich mit der Problematik konfrontiert. Darüber tausche ich mich regelmäßig mit meinen Freundinnen aus. Als wir darüber geredet haben, hat mir eine Freundin erzählt, dass Catcalling in Frankreich strafbar ist. Ich war sehr verwundert und habe mich gefragt, wie das funktioniert, und wie man das umsetzen kann. Als ich mich in die Thematik eingearbeitet habe, bin ich auf die Lücke im deutschen Strafrecht gestoßen.

Wie du sagst, ist Catcalling in Frankreich schon länger strafbar. Was hat das gebracht und inwiefern sollte Deutschland diesem Vorbild folgen?

Das ist für mich schwer einzuschätzen. Es gibt viele Leute, die sich damit besser auskennen, was man von dem französischen Vorbild lernen könnte. In Frankreich ist es ja so, dass es nach dem Erlass des neuen Strafgesetzes im ersten Jahr 700 Verurteilungen gab. Wenn man sich vorstellt, dass das 700 Menschen sind, die wahrscheinlich eine Lektion gelernt haben, dann ist das schon eine ganze Menge. Dazu muss man auch sagen, dass Sexualdelikte ja sowieso eine extrem hohe Dunkelziffer haben. Von jeglichen Sexualstraftaten werden nur ganz wenige angezeigt und im Endeffekt verurteilt. Außerdem ist es in Frankreich so, dass es sich bei diesem Straftatbestand übertragen um eine Ordnungswidrigkeit handelt, die im mildesten Bereich des Strafgesetzes angesiedelt ist. In Deutschland stellt sich gar nicht so sehr die Frage, ob wir das Problem überhaupt angehen. Die meisten Diskussionen, die ich momentan führe, drehen sich vor allem um die Frage, ob es sich um eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit handelt.

Deine Petition wird von fast 70.000 Personen unterstützt. Auf welchem Stand befindet sich der Prozess gerade? Welche weiteren Diskussionen führst du momentan?

Der Zeitraum der Unterschriftensammlung ist seit Anfang des Jahres abgeschlossen. Die Petition liegt jetzt beim Petitionsausschuss des Bundestages. Dort durchläuft sie jetzt den üblichen bürokratischen Weg. Ich werde postalisch über die Vorgänge und Entscheidungen informiert werden. Viel wichtiger sind in meinen Augen die ganzen Hintergrundgespräche, die ich nebenbei führe. Ich habe schon Kontakt zu jeder Partei außer den Linken und den Grünen aufgenommen und wir haben uns über den Stand der Dinge ausgetauscht.

Und wie ist der Stand der Dinge? Welche Rückmeldungen bekommst du von den Parteien?

Mittlerweile ist die Resonanz durchweg positiv. Am Anfang ging es noch darum, was Catcalling überhaupt ist und worin das Problem besteht. Ich persönlich mag den Begriff auch nicht, deshalb rede ich lieber von nicht-tätlicher sexueller Belästigung oder verbaler sexueller Belästigung, weil alles andere zu euphemistisch klingt. Am Anfang habe ich also vor allem Gegenwind von Männern bekommen, die die Problematik gar nicht als solche anerkennen, sondern als etwas, das Frauen oder Angehörige von Minderheiten einfach ertragen müssen – eine Unannehmlichkeit, die man nicht verhindern kann, so wie schlechtes Wetter. Das war der erste Entwicklungsstand, aber darüber sind wir zum Glück schon sehr weit hinaus. Das Wort „Catcalling“ ist mittlerweile bekannt und in aller Munde. Es gibt zum Beispiel die „Catcalls of“-Aktion, die auf einer gesellschaftlichen Ebene agiert. Daneben gibt es dann eben noch meine Petition, die auf einer politischen Ebene agiert. Dadurch herrscht großer Druck auf dem Kessel.

Nachdem das Problem jetzt als solches anerkannt wurde, stellt sich die Frage, wie man es lösen kann. Die CDU zum Beispiel möchte das Problem gesellschaftlich und durch Erziehung angehen. Grundsätzliche stimme ich dem zu. Dabei wird aber vernachlässigt, dass Gleichberechtigung schon im Strafrecht beginnt. Das Strafrecht ist nach einem extrem männlichen Narrativ verfasst, deswegen finden dort die Probleme von Frauen und Minderheiten wenig Beachtung. Männer können ja auch nicht entscheiden, was für Frauen das Richtige ist. Das müssen Frauen selbst entscheiden. Deswegen müssen an solchen Prozessen viele unterschiedliche Menschen teilhaben dürfen. Wir wollen den Leuten zeigen, dass es nicht reicht, nur über dieses Thema zu reden und unseren Söhnen gut zuzusprechen. Wenn das reichen würde, hätten wir das Problem schon gelöst. Gegen strukturelle Probleme muss man strukturelle Lösungen finden.

Du sprichst vom Druck im Kessel – dieser Druck hat sich durch den Tod der Londonerin Sarah Everard noch erhöht. Die Debatte um die Sicherheit von Frauen wurde weiter angeheizt. Inwiefern kann die Bestrafung von verbaler sexueller Belästigung das Sicherheitsgefühl verbessern?

Das kann man nicht so einfach sagen. Da spielen mehrere Komponenten eine Rolle. Die Erlassung eines neuen Strafgesetzes hat auf jeden Fall das Potential abzuschrecken. Ich glaube, dass sich Frauen dadurch sicherer fühlen, weil sie ein Werkzeug an die Hand bekommen, mit dem sie sich wehren könnten. Das fehlt Betroffenen von verbaler sexueller Belästigung gerade noch komplett. In solchen Situationen ist man bisher komplett ohnmächtig und kann sich nur persönlich, zum Beispiel verbal, wehren. Deswegen glaube ich schon, dass es das Sicherheitsgefühl verbessern kann. Dazu braucht es aber auch mehr Zivilcourage. Gerichte und Jurist*innen müssen für die Thematik sensibilisiert werden. Der richtige Umgang mit Sexualstraftaten wird bisher vernachlässigt. Betroffene müssen sich darauf verlassen können, dass man ihnen glaubt.

Was würdest du Menschen raten, die sich mit dem Thema weiter beschäftigen und die Debatte aufrechterhalten wollen?

Man kann selber niederschwellig politisch aktiv werden, indem man zum Beispiel E-Mails an Bundestagsabgeordnete oder Parteivorsitzende schickt. In diesen Mails kann man das Anliegen darlegen und argumentieren. So erhöht sich der Druck auf die Politiker und Politikerinnen und sie erkennen den Handlungsbedarf. Es ist ja ihre Aufgabe, sich um die Anliegen der Bevölkerung zu kümmern. Ein Politiker hat letztens zu mir gesagt, dass es sich bei den Anfragen zum Catcalling um die zweithäufigsten Anfragen nach Corona handelt. Da sieht man: wenn wir deutlich machen, dass wir das Thema nicht totschweigen, dann kann sich da viel ändern. Ständig kommen neue Missbrauchsfälle ans Licht, ständig sehe ich Posts zu dem Thema Catcalling und sexuelle Belästigung. Es ist ganz wichtig, dass das so bleibt, bis das Problem gelöst ist – also noch eine ganze Weile.

Auf einer persönlichen Ebene ist es wichtig, mutig zu sein und sich aktiv gegen diese verbalen Attacken auszusprechen. Als Betroffene ist man nie in der Pflicht sich zu wehren. Aber wenn man so etwas miterlebt, sollte man aufmerksam sein, sich laut dagegen positionieren und helfen. Im eigenen Umfeld lassen sich am einfachsten Veränderungen erreichen. Da sollte ich mich trauen, andere auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen. Aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass es super schwer ist, Leute, die man gern hat, zu kritisieren.

Was würdest du Kritiker*innen sagen, die behaupten, dass es sich bei Catcalling lediglich um einen Flirt handelt?

Es geht nicht um das typische „Ey Süße“ oder um Hinterherpfeifen. Das wird sicherlich nicht strafrechtlich relevant werden. Ich sehe das Problem darin, dass beim Thema Catcalling immer nur die Spitze des Eisberges betrachtet wird. Aber wenn man mal im Internet unterwegs ist, zum Beispiel auf den „Catcalls of“-Seiten, dann sieht man krasse reale Beispiele. Die möchte ich gar nicht wiedergeben, weil die Sprache so ekelhaft ist. Das will sich niemand anhören. Wenn man diese Beispiele sieht, ist sofort klar, dass das strafrechtliche Relevanz haben muss. Aber vor allem ältere Männer, die selber noch nie von so etwas betroffen waren, können das überhaupt nicht nachvollziehen. Die können sich gar nicht vorstellen, wie derb das ist, was sich manche Menschen draußen anhören müssen. Es geht also nicht um misslungene Flirtversuche, Anmachsprüche und Komplimente, sondern um viel mehr - und zwar um verbale sexuelle Belästigung.

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