Im Gespräch mit Maroš Šefcovic

Beteiligung gegen Europamüdigkeit

, von  Ansgar Skoda

Beteiligung gegen Europamüdigkeit
Maroš Šefcovic hier auf dem European Citizens’ Initiative Day 2013 ® Audiovisuelle Dienste der Europäischen Union

EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefcovic war vergangene Woche in Berlin. Beim Gespräch mit Pressevertretern verriet er seine Meinung über Europäische Bürgerinitiativen und die Euro-Krise.

Wasser und sanitäre Grundversorgung als Menschenrecht - dafür treten derzeit über 1.385.000 Unterzeichner einer Online-Petition ein. Sie gehen damit gegen eine umstrittene EU-Richtlinie zur Wasserprivatisierung vor. Doch trotz der hohen Anzahl an Unterstützern könnte die Water Campaign scheitern, weil nur aus fünf EU-Staaten ausreichend Unterschriften zustande kamen. Benötigt werden für Bürgerinitiativen auf europäischer Ebene mindestens eine Millionen Unterzeichner aus mindestens sieben EU-Ländern. Trotz vieler genommener Hürden ist der Erfolg der Petition und damit scheinbar auch der Sinn von Bürgerbeteiligung an sich fraglich.

Im Rahmen seines einwöchigen Deutschlandbesuchs lud EU-Kommissions-vizepräsident Maroš Šefcovic Ende vergangener Woche Journalisten in das Europäische Haus zum Pressegespräch ein. Der slowakische Politiker klärte insbesondere über Europäische Bürgerinitiativen auf. Šefcovic sieht es als Chance, dass es mit dem Vertrag von Lissabon seit 2009 für EU-Bürger die Möglichkeit gibt, durch so genannte Bürgerinitiativen die Europäische Kommission aufzufordern, einen Rechtsakt vorzuschlagen. Obwohl sich anfangs noch über die Möglichkeit solcher Bürgerinitiativen lustig gemacht und vor Missbrauch gewarnt worden wäre, gebe es mittlerweile sechsundzwanzig vorgeschlagene, sechzehn eingetragene und vierzehn fortlaufende Initiativen, stellt Šefcovic fest. Er ist sich sicher, dass in naher Zukunft noch weitere hinzukommen werden. Über den Weg der Bürgerinitiativen könnten mögliche demokratische Defizite von Regierungen hinterfragt, beeinflusst und bestenfalls sogar korrigiert werden. Ein solcher Prozess der Deparlamentarisierung würde die direkte Einflussnahme der Bürger stärken. Er gebe der EU eine zukünftige Kontur, erklärt Šefcovic.

Datensicherheit, Hilfsangebote und mögliche Kollaborationen

Doch trotz der Vielzahl an Initiativen: Bisher hat es noch keine bis vor die Europäische Kommission geschafft. Größtes Problem, vor allem für kleinere Organisationen, sind dabei die nötigen eine Million Unterzeichner. Für Šefcovic läuft dies aber nicht einer europaweiten Bürgerbeteiligung entgegen. Er verweist darauf, dass es immer die Möglichkeit einer Kollaboration mit anderen Partnerorganisationen gebe. Zudem habe die Europäische Union gerade für solche Organisationen auch Hilfsangebote parat. So veröffentlichte die EU-Kommission einen anschaulichen Leitfaden, der die Organisation einer europäischen Initiative Schritt für Schritt beschreibt.

Solche Angebote sind dringend nötig: Immerhin erfordert die Organisation einer europäischen Initiative in einem mehrschrittigen Verfahren bis zu einundzwanzig Monate, bis man der Kommission diese vorlegen kann.

Transparenz in Zeiten der Finanzkrise

Es sei stets die größte Hürde, mehr Demokratie schaffen zu wollen, sagt Šefcovic. Fehlende Transparenz bei den Verhandlungen in Brüssel ist dabei eines der größten Probleme. Expertengruppen arbeiten daran, auch institutionelle grenzübergreifende Kooperationen zu erleichtern und mehr Transparenz zu ermöglichen. Doch die Europäische Kommission sei ohnehin sehr „offen“ und fast alle relevanten Informationen hinsichtlich von Anträgen und Entscheidungen stets direkt zugänglich, stellt Šefcovic fest. Auch auf Social Media-Kanälen würde die Europäische Union zunehmend aktiver.

Gerade Lobbyisten würden von der Transparenz der EU, die oft im Gegensatz zur Politik der Regierungen der einzelnen Mitgliedsländer stünde, profitieren. Standardisierte Strukturen oder auch Europa-Unterricht an Schulen und Universitäten könnten zudem den Bürgern mehr Verständnis über mögliche europäische Kooperationen an die Hand geben.

Strukturelle Reformen für nachhaltigeres Wirtschaftswachstum

Šefcovic gibt zu, das auch in seinem Heimatland, der Slowakei, mit neunzigprozentigem Export der eigenen Produkte die Krise wie überall beklagt wird. Schließlich stelle diese zunehmend den gemeinsamen Konsens in Frage, die EU sei grundsätzlich etwas Gutes. Grenzöffnungen böten eben nicht nur Vorteile, sondern auch globale Verantwortung, sagt er. Gerade Deutschland habe hier viel zu tragen. Das Land liefert immerhin dreißig Prozent der Vorschläge zur Rettung der Euro-Krisenländer. Doch es gebe Zeiten, in denen man für Europa zahlen und anderen Mitgliedsländern helfen müsse, betont Šefcovic. Strengere Gesetze und strukturelle Reformen müssten beratschlagt und durchgesetzt werden, um gegen Korruption und weitere Krisen vorzubeugen. Vorschläge zur Refinanzierung kleinerer Unternehmen werden geprüft. Durch eine Konzentration auf nachhaltigen, gesunden Wirtschaftswachstum werde die Krise bald überwunden sein, zeigt sich Šefcovic zuversichtlich. Viele schöne und bestärkende Worte, doch die meisten Fragen ließ der EU-Kommissionsvizepräsident offen. Es hätte mehr Fallbeispiele gebraucht, um ein erfolgreiches Modell der Europäischen Bürgerinitiative anschaulich zu machen. Wie wird das langwierige Verfahren der Organisation einer solchen Initiative in der Regel finanziell getragen und wie beeinflusst eine erfolgreiche Initiative effektiv die Entscheidungsfindung der EU-Kommission? Wie kann nachhaltiges Wachstum in Krisenzeiten tatsächlich auf den Weg gebracht werden, wenn kein Geld da ist, um die Wirtschaft anzutreiben? Auf solche Fragen hatte auch Šefcovic keine Antwort. Konkretere Anregungen für die Zukunft der EU wären wünschenswert gewesen.

Mehr Informationen zur Bürgerinitiative

Leitfaden zur Europäischen Bürgerinitiative

Maroš Šefcovic, Vizepräsident der Europäischen Kommission

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