Deutschland 22. September: Erste Runde der Europawahlen?

, von  Autoren Pablo Faura und Óliver Soto, Übersetzung von Eva Olschewski

Deutschland 22. September: Erste Runde der Europawahlen?
Merkel und Barroso ganz nah - insbesondere die südeuropäischen Mitgliedstaaten sehen die deutsche Entscheidungsgewalt in der EU kritisch. Foto: © European Commission / 2005

In Spanien ist die Annahme, dass EU-Entscheidungen in Berlin getroffen werden, schon ganz natürlich geworden. Oft wird dieses Verhältnis zwischen EU und anderen Mitgliedstaaten als Diktat dargestellt – wir müssen umsetzen, was die Deutschen entscheiden. Es geht dabei nicht nur um spezifische Aussagen der Kandidierenden. Wenn wir so etwas unterstellen, heißt das, dass die deutschen Wahlen im September über die EU-Politik der nächsten vier Jahre entscheiden. Wir sehen also auch europäischen Wahlen entgegen – und das acht Monate bevor alle Europäer das Europäische Parlament wählen.

Deutsche Entscheidungsmacht nicht gerne gesehen

Allerdings ist die deutsche Führungsposition nicht nur kontrovers, sondern auch ein wenig paradox. Der polnische Außenminister Radek Sikorski erregte mit seinem Kommentar im November 2011 große mediale Aufmerksamkeit: „Ich fürchte Deutschlands Macht weniger als die deutsche Untätigkeit. Ihr seid Europas unentbehrliche Nation geworden. Ihr solltet in der Führung nicht versagen: Nicht dominieren, aber Reformen antreiben. Durch ganz Europa hinweg konnten wir ein gedämpftes Murmeln der Zustimmung hören, Deutschland doch die wirtschaftliche Genesung der Union anführen zu lassen. Es scheint so, als ob Berlin die Nachricht verstanden und angefangen hat zu arbeiten und tatsächlich zu führen. Der Unmut der Deutschen darüber, dass die deutsche Führungsposition trotzdem insbesondere in Südeuropa abgewertet wird (wo die nächste Einmischung Berlins angstvoll erwartet wird), ist verständlich.“

Können alle gleich profitieren?

Alle Mitgliedstaaten sind Demokratien und ihre Bürger haben die gesunde Angewohnheit über Wahlen die Richtung der Politik mitzubestimmen. Allerdings waren alle der Überzeugung, dass Deutschland die Reformen zu ihrem Vorteil umsetzen würde, ohne sich vorher klarzumachen, dass es in einer Demokratie kein Pareto-Optimum – keine ideologisch neutrale Politik, die von einem Staat angeführt werden kann, von der aber alle profitieren – gibt. In einer Demokratie dürfen die Bürger entscheiden, wie diese politische Lenkung aussehen soll. So gut gemeint die Regierungskoalition aus Christdemokraten und Liberalen von Frau Merkel auch ist, folgt sie doch ihrem eigenen Programm und den deutschen Wählern. Das soll und muss sie auch – den Bürgern muss demokratische Legitimität zuallerst zukommen.

Eine klare europäische Öffentlichkeit

Auch wenn es offensichtlich ist, sollten wir es der geringen Beachtung in den Medien und Diskussionen sowie einer klaren öffentlichen Debatte in Europa wegen aussprechen. In den europäischen Institutionen findet Politik statt, sei es links, rechts, rot, grün oder blau, aber es ist letztendlich Politik. Jeder Kommissar folgt einer Ideologie und wurde aufgrund seiner Parteizugehörigkeit gewählt. Mitglieder des Europäischen Parlaments gehören zu Fraktionen mit politischen Programmen (mit einem oft lächerlich kurz geratenen EU-Teil). Der Rat setzt sich aus Delegierten jeder Regierung zusammen, hier kommen auch wieder die Parteien ins Spiel. Es ist schon verwunderlich, dass wir die Farben der lokal, regional und national zustande kommenden Koalitionen genau kennen, auf europäische Ebene aber nur sehr wenig darüber wissen. Welche Parteien regieren die Europäische Union?

Das deutsche Diktat bekommt in spanischen Medien und Diskussionen auf der Straße viel Aufmerksamkeit. Manchmal ist dann wieder die Kluft zwischen Nord und Süd besorgniserregendes Thema der Debatte. Die nördlichen Länder, unter denen Deutschland eine entscheidende Rolle einnimmt, werden als Ignoranten unserer Bedürfnisse dargestellt, beschuldigt der Durchsetzung von Aktionen mit geringer Bürgerbeteiligung. Tatsächlich entsteht zunehmend das Gefühl, dass die Deutschen den nächsten EP-Präsident wählen werden, wenn unsere Regierungschefs weiterhin einfach implementieren, was ihnen gesagt wird. Auf der anderen Seite ist die Debatte nur ein Erbe der wenig effektiven EU-Institutionen. Obwohl ihnen oft ein Demokratiedefizit nachgesagt wird, sollten wir doch sehen, dass sie in der Tat demokratisch sind. Allerdings wecken sie bei Bürgern das Gefühl, dass sich die Entscheidungsmacher der EU nur ihren nationalen Wählern verpflichtet fühlen.

Was in einer Demokratie zählt ist die Wahrnehmung der Bürger

In den Europawahlen haben Bürger nicht das Recht auf eine Direktwahl des Kommissions- oder Parlamentspräsidenten. Die Kommissare müssten eigentlich vor Amtsantritt einen Parlamentssitz haben oder wie im präsidialen System direkt gewählt werden, um eine Regierung bilden zu können. Gleichermaßen ist es nicht akzeptabel, dass die „Europäische Regierung“ aus allen Ecken Europas kommt, während der Präsident über fast keine Kapazität verfügt, sein eigenes Kabinett zu bilden. Parteien sollten den Bürgern ein vollständiges Programm zur Verfügung stellen, sodass sich diese nach Ablauf des Mandats entscheiden können, ob sie ihr Vertrauen dieser Partei wieder geben sollten.

Die Europäischen Föderalisten haben bereits viele Lösungen zu diesem Problem der Verantwortlichkeit in der europäischen Demokratie vorgeschlagen. Der letzte, eine Vorabnominierung der Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten durch die europäischen Parteien, wurde abgeschmettert. Er beinhaltete, dass alle Europäer sich für einen Kandidaten auf der Liste entscheiden können, die Parteien wären verpflichtet, ihr Wahlprogramm an die Bürger zu senden.

Warum sollte ein politischer Mechanismus unsere wirtschaftlichen Probleme lösen

Aus dem einfachen Grund, dass Europa– vor 2 Jahren und auch heute – immer ein Führungsproblem hatte: Dessen Ab- oder Anwesenheit ohne ein explizites Mandat, was zu tun ist.

Beiden Seiten standen vor Herausforderungen: Die deutsche Regierung musste führen, ohne das nötige Mandat dafür zu haben, die anderen Mitgliedstaaten haben Deutschland ein Mandat zugesprochen, das nicht durch eine politische Abstimmung bestätigt wurde. Unsere Regierung muss die Erwartungen von uns europäischen Bürgern, die mit Demokratie aufgewachsen sind, berücksichtigen oder sich in den nächsten Wahlen für eine andere entscheiden können. Europa hat in den letzten Jahren eine Austeritätspolitik verfolgt, ohne den Bürgern wie Obama mit seinen Expansionsplänen eine Alternative zu bieten, die er wie in seinem Programm versprochen als Wahlmöglichkeit anbot.

Von den USA lernen

Die deutschen Wahlen sind europäische Wahlen in dem Sinne, dass sie je nach Ausgang die Zusammensetzung des Rats verändern. Alle Entscheidungen werden bis dahin auf Eis gelegt. Bei der Gründung der USA entsandte jeder Staat zwei Senatoren in den Senat. Wenn ein Amerikaner seine Regierung in Virginia wählte, musste er dabei nicht nur an die Föderation denken – von seiner Stimme hing auch die Zusammensetzung des Senats ab. Bei den Amerikanern dauerte es ein Jahrhundert zu realisieren, dass Demokratie am besten funktioniert, wenn die Mandate der Repräsentanten klar und gut definiert sind, damit die Bürger sie besser kontrollieren können. Vielleicht wird es in Europa auch ein Jahrhundert dauern sicherzustellen, dass die Wahl des Rats demokratisch abgestimmt wird wie im US-Senat. Letztendlich werden wir einsehen, dass die Stabilität der Union und die Zufriedenheit der europäischen Bürger nicht jede paar Monate neu definiert werden müssen – durch „europäische“ Wahlen wie jetzt im Fall Deutschland, die nichts mit der Abstimmung für die Zusammensetzung der EU-Institutionen zu tun haben.

Wenn wir wirklich Demokraten sind und an eine Union „der Menschen, von den Menschen und für die Menschen“ glauben, wie Lincoln sagte, ist es Zeit für die EU den letzten Schritt zur Föderation zu vollziehen, wo eine solche Verantwortlichkeit unsere politischen Institutionen regiert. Dann ist die Wirtschaft unser geringstes Problem.

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