Es war eine ungewöhnlich aufregende Wahl für die Briten, die es gewöhnt sind, morgens um 3 Uhr einen klaren Sieger präsentiert zu bekommen. Für die Kontinentaleuropäer mag es normal sein, lange Koalitionsverhandlungen zu erleben, bevor der Regierungsvertrag unterschrieben ist. In Großbritannien jedoch, wurde die Öffentlichkeit schnell ungeduldig. Die Presse mochte die Geheimniskrämerei und internen Verhandlungen nicht und machte ihrem Unmut Luft. Damit ist das Königreich im Rest Europas angekommen.
Die Konservativen sind die größte Fraktion mit 306 Sitzen, gefolgt von Labour mit 258 und enttäuschenden 57 für die Liberalen. Klar ist, dass die Briten für den Wandel gestimmt haben. Dieser ist aber kein klarer Sieg für David Cameron, denn 20 Sitze fehlen für die absolute Mehrheit. Trotz der Rezession, trotz der großen Wahlkampfpatzer von Labour, trotz der Unpopularität von Gordon Brown, trotz der langwierigen 13-jährigen Labour-Zeit und trotz der klaren Führung in den Meinungsumfragen - Cameron hat nicht gewonnen.
Der Rücktritt von Gordon Brown und das Angebot der Konservativen zu Reformen des Wahlsystems waren letztendlich ausschlaggebend.
Die Liberaldemokraten machten klar, dass sie zuerst mit der stärksten Partei verhandeln würden, obwohl sie im Prinzip auch nichts von einer Koalition mit Labour abgehalten hätte. Der entscheidende Moment kam, als Gordon Brown die Verantwortung für das Debakel übernahm, zurücktrat und die Konservativen Reformen im Wahlsystem versprachen. Denn Letzteres ist das Hauptanliegen der Liberalen, danach lechzen sie seit Jahren. Jede Koalition mit ihnen muss sich zu einem Referendum für das Verhältniswahlrecht bekennen.
Das Europaprogramm der Koalition
Nick Clegg, Vorsitzender der Liberalen, hat damit die wichtigste Entscheidung seiner Karriere getroffen. Falls seine Parteifreunde und Parlamentarier glauben, dass es schief läuft, muss er und seine Partei die Konsequenzen tragen. Bereits jetzt gibt es Gerüchte von Parteiwechseln zu Labour und frustrierten Parlamentariern, die nicht glauben können, dass sie von nun an mit einer Partei regieren sollen, die am anderen Ende des Parteispektrums steht. Ist die Aussicht auf Macht und fünf Ministerposten stärker, als die Prinzipien der Partei zu wahren? So scheint es. Allerdings haben die Liberalen auch ihr ganzes Leben auf diese Chance gewartet.
Europa ist eines dieser Themen, bei dem die Vorstellungen der Koalitionspartner weit auseinander liegen. Ihr Kompromiss zur Europapolitik ist sehr enttäuschend - die Konservativen konnten sich fast vollständig durchsetzten:
- Die britische Regierung wird eine Europa bejahende Rolle einnehmen.
- Es wird in der Legislatur keine weitere Souveränität an die supranationale Ebene abgegeben.
- Die Anwendung des EU-Arbeitszeitgesetzes wird begrenzt.
- Die Verordnung zur Anwendung des Europarechts von 1972 wird verändert, so dass jeder zukünftige Vertrag, der Kompetenzen oder Machtbefugnisse verlagert, automatisch eine Volksabstimmung mit sich bringt – eine Reformsperre.
- Auch soll jeder Wechsel von Einstimmigkeit zu qualifiziertem Mehrheitsrecht im Ministerrat eine Veränderung der Gründerverträge erfordern.
- Es soll per Gesetz festgeschrieben werden, dass die finale Autorität allein beim britischen Parlament liegt.
- Großbritannien wird weder dem Euroraum beitreten, noch eine Mitgliedschaft vorbereiten.
- In den zukünftigen Budgetverhandlungen soll das Nationalinteresse der Briten noch stärker verteidigt werden.
Alle Mitglieder der Liberaldemokraten sind von diesem Abkommen sehr enttäuscht. Aber die Parteiführung erklärte, Kompromisse seien unvermeidbar gewesen und daher hätte man nicht jeden Punkt des Parteiprogramms durchsetzten können. Es wird sich zeigen, ob einige der prointegrativen Parlamentarier den Mut aufbringen, sich zu enthalten oder sogar gegen das Abkommen zu stimmen.
Blick in die Zukunft
Was können wir von Cameron und seinem europaskeptischen Außenminister William Hague während der Gipfeltreffen des Europäischen Rats erwarten? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick auf Camerons Beziehung zu Europa werfen.
Er hat mit seiner Partei die größte Gruppierung im Europäischen Parlament verlassen, um sich einer rechts-außen Fraktion anzuschließen. Das hat seine Konservativen isoliert und ermöglicht es ihnen nun nicht mehr, bei den wichtigen Entscheidungen mitzureden [1]. Des weiteren widersprach er dem Lissabon Vertrag auf gehässige Art und ging Hintertürabmachungen in EU-Fragen ein. Er will auch eine Einwanderungsgrenze nach GB für alle zukünftigen EU-Mitgliedsländer einrichten. Ganz zu schweigen von seinem Plan, Politikbereiche zurück auf die nationale Ebene zu holen, was aber von den Liberalen verhindert wurde. Den Französischen Präsident Sarkozy nannte er übrigens einst einen Zwerg [2].
Das Alles klingt eher nach Nigel Farage, Mitglied der populistischen, EU-feindlichen Partei UKIP, aber wir sprechen hier von dem Britischen Premierminister - und „Europa“ ist in seinem Sprachgebrauch fast eine Beleidigung.
Es könnte auch Populismus vom rechten Flügel sein - aber wir reden hier vom neuen Premierminister Großbritanniens!
Vielleicht wird er nach einem Extratisch fragen, versteckt von Merkel und Sarkozy, oder er holt sich taktischen Rat von Präsident Klaus. Eine Sache ist Fakt – Cameron hat nicht viele Freunde in Europa. Für den Moment mag es ihn nicht stören, aber wenn die Zeit des Verhandelns, des Allianzenschmiedens und strategischen Planens losgeht, wird der unerfahren naive Premier feststellen, dass Freunde kostbar sind. Einer wird kaum die Macht haben, ihn zu retten: Vaclav Klaus.
Ja, es wird eine aufregende Reise für das Königreich werden. Ab jetzt wird es eine andere Seite der Demokratie kennenlernen, und das noch öfter, sollten die Reformen im Wahlsystem angenommen werden. Die neue Koalition allerdings - oder Partnerschaft, wie es einige nennen - hat kein festes Fundament. Die ersten Risse werden schon bald sichtbar werden. Die Unterschiede sind gewaltig und auch das so viel beschworenen Handeln im „nationalen Interesse“ kann wahrscheinlich auf Dauer keine Stabilität garantieren. Eines aber steht fest: Großbritannien und Kontinentaleuropa steht eine ungemütliche Zeit bevor. Wer dachte, Blair oder Brown seien Euroskeptiker gewesen, wird sich bei Cameron noch wundern.
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