Im ersten Teil legte Morgan Griffith-David dar, wie sich die deutsche Politik mit der Wiedervereinigung verändert hat: Sie ist selbstbewusster und nationalistischer geworden. Während sich die politischen Eliten von der europäischen Integration als Hauptziel der deutschen Politik wegbewegen würden, hätten junge Deutsche die EU dagegen als Alltag akzeptiert. Dennoch muss die neue deutsche Frage gelöst werden, wenn man die europäische Integration nicht gefährden will.
Wirtschaft, Recht und die Euro-Krise
Zwei der interessanteren Debatten vom Anthologiezentrum für Wirtschaft und Recht.
Während Michael Wohlgemuth, Leiter der Forschungsabteilung des Walter Eucken Instituts, die Sichtweise von viele Deutschen teilt, dass „unschuldige Zuschauer nicht gezwungen werden können, Verantwortung für die Fehler Dritter zu übernehmen“ und dass Deutschland Recht damit hatte, auf die Einführung seines erfolgreichen Sparkurses im Ausland zu bestehen, hat Hendirk Enderlein, Prodekan und Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance Berlin, eine andere Meinung: die Krise sei nicht durch unverantwortliches Verhalten, sondern durch die Struktur der gemeinsamen Währung, in welcher sich zwei unterschiedliche Blocks bildeten, verursacht worden.
Einen Block bildeten dabei Länder mit niedriger Inflation und hohen realen Zinssätzen, welche zu langsamerem Wachstum und höheren Arbeitslosenquoten neigten (z.B. Deutschland). Den anderen Block, der durch hohe Inflation, sehr niedrige oder negative reale Zinssätze und starkes Wachstum gezeichnet war, bildeten Länder wie z.B. Spanien, Irland und Portugal. Während die Rettungsaktion 2010 die kurzfristige Krise gelöst hat, änderte sie nichts an dieser Aufspaltung.
Zwar fordern einige den Schritt zurück zur nationalen Währung, doch Enderlein geht davon aus, dass das „wirtschaftlicher Selbstmord“ wäre, da die Schulden des Nationalstaats nicht mit der Wiedereinführung der Drachme verschwinden würden. Die einzige Option sei es „den Stier an den Hörnern“ zu packen, und das Problem auf europäischer Ebene anzugehen. „Die Europäische Kommission muss so gestärkt werden, dass sie ein ebenbürtiger Teil der nationalen Wirtschaftspolitiken wird.“
In der rechtlichen Debatte sind drei Autoren für den Diskurs essentiell, der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofes über den Lissabon Vertrag im Juni 2009 entstand, das die weitere Integration einschränkte und das "Demokratiedefizit" der EU kritisierte.
Klaus Ferdinand Gärditz und Christian Hillgrube gehen davon aus, dass das Gericht wenig Spielraum hatte – davon ausgehend, dass das Grundgesetz das Bestehen des deutschen Staates garantiert, und festlegt, dass „das Grundgesetz keinen Organe Rechte verleiht, die im Willen Deutschlands handeln um das Recht der Selbstbestimmung des deutschen Volkes durch den Beitritt zu einem Föderalstaat einzuschränken.“ Die Entscheidung, „schützt die privilegierte Stellung der demokratischen Selbstbestimmung der deutschen Bürger und garantiert gleichzeitig , dass die Handlungen der EU den notwendigen demokratischen Checks and Balances erfüllen, um ausreichende Legitimität zu gewährleisten.“
Schlussfolgerungen
Letztendlich können wir einige Schlussfolgerungen aus den Aussagen dieser geschätzten Persönlichkeiten zur aktuellen deutschen „Krise“ ziehen.
Deutschland „fühlt immer noch den Einfluss durch die Wiedervereinigung auf sein politisches System, die Volkswirtschaft und seine Soziologie“, wie Guérot und Leonard gezeigt haben. Nichtsdestotrotz hat sich keine neue nationale Geschichte entwickelt – deshalb ist ihre Debatte notwendig. „Deutschland braucht Hilfe, wieder europäisch zu werden“, aber es kann nicht mehr die gleichen Aufgaben erfüllen. Wir müssen der deutschen Öffentlichkeit versichern, dass Europa sie nicht abzockt. Der erfolgversprechenste Weg, Deutschland zu zeigen, dass seine Erwartungen am besten in einem europäischen Kontext erfüllt werden, ist selbst europäischer zu sein.
Deutschlands Öffentlichkeit ist gefährdet, selbst euroskeptisch zu werden. Aber, wie Klaus-Dieter Frankenberger, Redakteur für Außenpolitik bei der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aufzeigt:
"Ein Abstreiten oder Ignorieren der Konsequenzen des wachsenden öffentlichen Misstrauens will unweigerlich zu einer Wiederholung der Geschehnisse in Frankreich und den Niederlanden 2005 führen, als die Politiker einfach nicht wussten, mit was sie konfrontiert wurden. Gewöhnliche Bürger haben häufig einen scharfen Sinn dafür, wenn die EU sich selbst überdehnt und wollen, dass ihre eigenen demokratischen Regierungen etwas Handlungsfreiheit für die Zukunft behalten. Jeder, der mehr Europa will, muss heutzutage zugeben, dass obwohl es viel Sinn macht, Kompetenzen in bestimmten Bereichen, wie der Haushaltspolitik, nach Brüssel abzugeben, es Grenzen gibt – und auch wenn dies nur die gewöhnlichen Bürger und deren Regierungen es so entscheiden."
Wir dürfen nicht vergessen, dass die öffentliche Meinung von größter Wichtigkeit ist – während wir gute, starke Argumente für Europa äußern, dürfen wir Europa nicht den Menschen aufzwingen, sonst riskieren wir, ein Europa der Elite zu erbauen.
Wir müssen daran denken, dass trotz der Krise Deutschland keine erklärten Anti-Europäer in das Europaparlament entsendet. Dieses Land ist kein euroskeptisches, und wir können uns noch Zeit lassen, die Öffentlichkeit von den Vorteilen Europas zu überzeugen. Ihre Politiker und Medien müssen ihren Part erfüllen, aber, wie Habermas gesagt hat, sind es gesellschaftliche Bewegungen, die den Weg der Länder bestimmen.
Trotz aller Probleme: Europa sollte glücklich sein
Ein letzter Aufsatz von besonderer Art: Alexander Cammann, ein Schriftsteller, dessen Artikel über deutsche Identität in der Zeit veröffentlicht wurde, der in der DDR geboren wurde, und 16 war, als die Berliner Mauer fiel, und in einem wiedervereinigten Deutschland volljährig wurde, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Fakt, dass Europa gewinnt.
Er klagt unseren „kollektiven Verlust des Kurzzeitgedächtnisses“ an. Viele von uns sollten in der Lage sein, sich an die Zeit zu erinnern, als in Griechenland diese Art von wirtschaftlicher Instabilität es „reaktionären Generälen“ ermöglicht hätte, in einem Coup die Macht an sich zu reißen. Diese Streiche hätten sich in einen „kommunistischen Aufstand“ entwickeln können, und das Land wäre vielleicht in den Bürgerkrieg verfallen. In Spanien und Portugal, und auch in den meisten Ländern Zentral- und Osteuropas, sind die Wunden der Diktatur noch frisch.
Während Jürgen Habermas über das Demokratiedefizit spricht, und von einer mangelnden Öffentlichkeit – Schwächen die nicht ignorieren dürfen, so sind jene doch alle zweitrangig „im Angesicht des Aufstrebens dieses blutgetränkten Kontinents innerhalb einer unvorstellbar kurzen Zeit“.
„Die Gewinne an Freiheit und Demokratie - nicht von der wirtschaftlichen Blüte zu sprechen - sind für die große Mehrheit der Europäer so unvergleichbar, dass man versucht ist, zu fragen, ob unsere Dichter und Denker allen Sinn für Geschichte verloren haben. Nichts neues könnte so schnell Gestalt erlangen, wie das, was gerade in Europa geschieht.“
„Europa ist ein Kontinent geworden, der historisch gesprochen, glücklicher als je zu vor ist. Natürlich müssen wir alles in unserer Macht stehende tun, um diesen Zustand zu sichern. Aber wir Europäer haben sicherlich einen guten Grund für Optimismus.“
Zum ersten Teil: "Ein Blick zurück und die Frage, wieso Deutschland selbstbewusster auftritt"
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