Etwas weniger als einen Monat bleibt den Griechen bis zur Neuauflage der Parlamentswahl. Erneute Wiederholung nicht ausgeschlossen. Wenig Zeit für den Rest Europas, um sich auf die Möglichkeit einer Regierung einzustellen, die nicht bereit ist den ausgehandelten europäischen Verträgen zu folgen. Überhaupt ist Zeit, wohl neben Vertrauen, das knappste Gut der Eurokrise. Wenn es auch, wie die letzten Monate gezeigt haben, nicht gleich verteilt zu sein scheint.
„Zeit ist von äußerster Wichtigkeit“, betonte Angela Merkel während der Verhandlungen um das jüngste Griechenlandrettungspaket im Februar 2012. Ganz anders schien das Zeitbudget der griechischen Verhandlungsführer beschaffen. Tag für Tag, Frist für Frist ließen sie verstreichen. Denn: Zeit war und ist im Gegensatz zur Geld noch ausreichend verfügbar. Das Gegenteil bei den Gläubigerländern, dort ist Zeit Geld. Jeder Tag Verzug verunsicherte Wähler wie Finanzmärkte und steigerte so schließlich die Kosten der Rettung.
Vielleicht eine Folge unterschiedlicher Auffassungen von Zeit, unterschiedlicher Zeitkulturen. Die südlichen Länder Europas, so erklärt die ethnographische Forschung, folgen einem polychronen Zeitverständnis. Wer polychron tickt, versteht die Zeit als exogen gegeben und wenig beeinflussbar. Sie verläuft zyklisch und Dinge, die man angefangen hat, müssen nicht notwendigerweise zu Ende gebracht werden, bevor man sich der nächsten Tätigkeit widmet. Vergleichbar mit dem Zeitverständnis von Studenten. Am anderen Ende der Skala befinden sich monochrone Zeitkulturen, z.B. die Länder Mittel-und Nordeuropas. Die Zeit ist dort eine Ressource und möchte gut verplant werden. Sie verläuft linear: Eins nach dem anderen, ja nicht den zweiten vor dem ersten Schritt. Bis heute konstitutiver Bestandteil deutscher (Uni)verwaltungen.
Kein Wunder, dass die unterschiedlichen Zeitkonzeptionen – zumindest zeitweise- zu Verwirrungen in der Lösung der Eurokrise führen, wenn die monochron tickende Angela Merkel auf die polychron eingestellten Herren Papademos, Monti oder nun jüngst auch Hollande trifft. Anpassungsprozesse sind aber nicht ausgeschlossen. Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy, auch wenn innenpolitisch immer noch hektisch-polychron agierend, wurde von der deutschen Kanzlerin in der Eurokrise flugs auf einen teutonischen Uhrenschlag eingenordet. Denn: Für Frau Merkel muss es schrittweise voran gehen. Erst kommen die Sparbemühungen, dann das Geld aus dem Rettungspaket und anschließend kann man sich um Wachstum kümmern. Die polychronen Herren dagegen würden lieber heute als morgen mit der Wachstumspolitik beginnen, um sich im selben Atemzug dem Sparen zu widmen und schließlich die institutionelle Architektur der EU zu reformieren.
Eine einfache Lösung für die Zeitverwirrung babylonischen Ausmaßes ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: zusammengehalten wird das europäische Uhrwerk von Herman van Rompuy im Europäischen Rat. Ein Belgier. Und bei denen, so musste der Autor in sechs Monaten Brüssel selbst leidvoll erfahren, ticken die Uhren bekanntermaßen ja ganz anders.
1. Am 20. Mai 2012 um 20:45, von Eric B Als Antwort Die Zeit, die bleibt
Schöner Gedanke, aber Zeit ist nicht das Problem. Merkel hat sich bisher immer wieder Zeit für die Krisenlösung gekauft, meist mit geborgtem Geld. Das eigentliche Problem ist, dass Merkel & co.das Wahlergebnis inAthen nicht anerkennen wollen und nun auf die Neuwahl hoffen. Kommt wieder keine Mehrheit für die Sparpläne zustande, werden sie ihrerseits auf Zeit setzen, denn Europa kann sich einen Austritt Griechenlands noch nicht leisten. All die EU-Granden, die vorgeben, uns durch die Krise zu führen, haben in Wahrheit längst die Kontrolle verloren! http://lostineurope.posterous.com/kontrollverlust-iii
2. Am 21. Mai 2012 um 16:06, von Daniel Als Antwort Die Zeit, die bleibt
Davon, dass „Merkel & Co.“ das Wahlergebnis in Griechenland nicht anerkennen wollen, kann doch gar keine Rede sein. Das Wahlergebnis war nun einmal so, dass eine Einigung auf eine Regierungsbildung nicht möglich war (weder für eine Regierung, die den Kurs von „Merkel & Co.“ unterstützt, noch für eine Regierung, die ihn ablehnt). Dass es jetzt Neuwahlen gibt, ist doch für alle Beteiligten ein großes Risiko, weil kaum vorherzusehen ist, wie sie ausgehen werden.
3. Am 15. Juni 2012 um 09:47, von KEtmJpoVRvW Als Antwort Die Zeit, die bleibt
Wobei viele Autofahrer die Kiste bei so einem Wetter absichtlich steehn lassen und nicht, weil sie den Wagen eigentlich nicht brauchen.Was man im Moment im PNV mitmacht, wird die Autofahrer nach im Tauwetter wieder zum Auto zur ck treiben.
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