Die Globalisierung hat die Welt in der Wirtschaftskrise vereint, aber nicht in den Werkzeugen, um diese auch zu überwinden. Auch wenn die Krise 2007 in den Vereinigten Staaten begann, hinterließ sie die verheerendsten Folgen in Europa, wo die öffentlichen Schulden durch die Decke geschossen sind – der mittlere Anstieg betrug 15 Prozent, ein wesentlich höherer Wert als in Amerika.
Die Folgen der Krise wurden teilweise durch den Sozialstaat aufgefangen, einer historischen Errungenschaft der europäischen Demokratien, der zumindest teilweise die Bürger schützt. Das aber schließt nicht aus, dass die Krise massiv die wirtschaftliche und soziale Situation der Staaten verschlechtert und die Unsicherheiten über die Zukunft des Sozialstaates an sich gemehrt hat.
Wer schuldet wem was?
Ein hohes Verhältnis von Schulden zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) zeigt sich mit 127 Prozent in Europa besonders in Griechenland, wobei die Staatsschuld zu zwei Dritteln von Investoren aus dem Ausland gehalten wird. Darüber hinaus haben sich die Schuldenstände von Portugal, Irland und Spanien in vier Jahren verdoppelt. Die öffentlichen Schulden der größeren europäischen Staaten enthalten außerdem auch für die anderen Staaten der Europäischen Union ein hohes Risiko: Wie eine Grafik der New York Times zeigt, die bereits am 1. Mai 2010 veröffentlicht wurde, hält zum Beispiel Frankreich 31,7 Prozent der griechischen Staatsanleihen, 6,9 Prozent der irischen, 20 Prozent der spanischen und 36,5 Prozent der italienischen. Deutschland besitzt 19,1 Prozent der griechischen Staatsanleihen, 21,2 Prozent der irischen, 21,6 Prozent der spanischen, 16,4 Prozent der portugiesischen und 13,6 Prozent der italienischen. Ein Bankrott eines der Länder mit relativ hohem Ausfallrisiko würde daher zu einer Kettenreaktion führen, die schließlich auch die Gläubigerländer erreicht.
Italien: Hohe Schulden und niedriges Wachstum
Und in welcher Situation befindet sich Italien? Italien hat einen öffentlichen Schuldenstand von etwa 118 Prozent des BIP, der sich nach den Voraussagen der EU bis 2014 auf 128,5 Prozent erhöhen wird, während er nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) sogar bis auf 132,5 Prozent steigen könnte. Die mittleren Zinsen für die Staatsschulden sind in Italien höher als in anderen europäischen Ländern (durchschnittlich 3,9 Prozent, während die Zinsen für französische Anleihen 2,8 Prozent betragen). Zusätzlich ist die Produktivität in Italien sehr gering, die schlechteste in Europa (der Index der Produktivität in Volumen pro Einwohner beträgt 0,1 Prozent, im Vergleich zu 2,4 Prozent in den USA und 2 Prozent weltweit), während das Wachstum sehr niedrig ist und Voraussagen zufolge in den nächsten Jahren nicht einmal 2 Prozent erreichen wird. Zugleich fiel die Produktion auf dem Höhepunkt der Krise um 5 Prozent und die Arbeitslosigkeit erreichte 7,7 Prozent. Es wird also lange dauern bis Italien das Produktionsniveau vor der Krise wieder erreicht haben wird, während die Schulden weiterhin wachsen. Grund sind sowohl die geringeren Steuereinnahmen, als auch die höheren Sozialausgaben, um die sozial schwächsten Menschen vor den Folgen der Krise zu schützen (so sind die öffentlichen Ausgaben von 41 Prozent im Jahr 2005 auf 52,5 Prozent 2010 gestiegen). In Anbetracht dessen ist es schwer vorstellbar, dass die Zinssätze sinken. 70 Prozent der italienischen Schuldtitel wurden aus dem Ausland gekauft, und dies führt zu einem typischen Effekt steigender Zinsen, da offenkundig im Spiel der Märkte höhere Zinsen im Wechsel für riskantere Investments gefordert werden. Deutschland und Frankreich halten zusammen 50,1 Prozent der italienischen Staatsschulden, ein beträchtlicher Anteil ist auch bei den anderen Partnern der Euro-Gruppe verteilt.
Zu groß, um gerettet zu werden
Das italienische Problem hat folglich eine europäische Kehrseite. Besonders aufgrund der Größe Italiens ist es schwer vorstellbar, dass die EU-Mitgliedstaaten im Fall der Fälle in der Lage wären, mit dem gegenwärtigen Instrumentarium wirkungsvoll einzugreifen. Die Rettung Griechenlands, dessen BIP etwa ein Sechstel des italienischen beträgt, hat mehr als 100 Milliarden Euro gekostet, die unter großen politischen und wirtschaftlichen Mühen von den Partnern der Eurozone bereitgestellt wurden. Nach Griechenland kamen Irland und Portugal, während Spanien möglicherweise auf der Kippe steht und Griechenland in noch stürmischere Gewässer segelt.
Sparen könnte Wachstum kosten
Deutschland scheint nicht mehr bereit zu sein, mehr zu bezahlen: das Rezept Angela Merkels besteht darin, den Gürtel enger zu schnallen, um die Schulden zu senken. Das bedeutet höhere Steuern und strukturelle Reformen am Sozialstaat, um die öffentlichen Ausgaben zu senken. Aber an diesem Punkt stellt sich ein politisches Problem: Einigen sich die Regierungen auf drakonische Maßnahmen und laufen damit in einer Phase langsamen Wachstums Gefahr, durch die Sparmaßnahmen den Aufschwung letztlich komplett zu stoppen? Riskieren sie nicht den sozialen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Stabilität? Es genügt, an die Voraussagen von IWF und EU zu denken: 2014 wird der Schuldenstand Italiens zwischen 128,5 Prozent des BIP (laut der EU) und 132,5 Prozent (laut IWF) betragen; Frankreich steuert auf 96,3 Prozent zu (EU), Großbritannien auf 99,7 Prozent (EU), Belgien auf 111 Prozent (IWF) und Griechenland auf 133,7 Prozent (IWF). Bleiben diese Trends bestehen, hat der Schuldenstand Großbritanniens 2020 schon 200 Prozent erreicht, während der Frankreichs, Italiens, Griechenlands und Irlands etwa 150 Prozent betragen wird.
Wer bezahlt die 2020 Strategie?
2020 ist auch das Jahr, in dem die Resultate der Direktive 20-20-20 vorgestellt werden, die vorsieht, bis zu diesem Jahr die Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent zu senken, den Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent zu steigern und 20 Prozent weniger Energie zu verbrauchen. Aber wie wird es möglich sein, diese Ziele angesichts des kompletten Fehlens von Ressourcen zu erreichen? Schließlich sind dafür massive Investitionen in die ökologische Umstellung der Wirtschaft erforderlich, die ihrerseits eine notwendige Vorbedingung für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in den nächsten Jahrzehnten ist. Ähnliches gilt analog für andere Sektoren wie die Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Europäische Probleme verlangen europäische Lösungen
Das Problem ist also, dass ein qualitativer Sprung auf die europäische Ebene erfolgen muss: Der Glaube trügt, mit nationalen Politiken und ohne gegenseitige Solidarität die Krise hinter sich lassen zu können. Denn das Schuldenproblem wird erst aus einem europäischen Blickwinkel weit weniger dringlich: Das Vertrauen, dass den Märkte für einzelne Länder fehlt, würde gegenüber einer europäischen Staatsschuld automatisch gegeben, so wie dies auch für die USA gilt. Aber um dies zu erreichen, braucht es den politischen Willen, einen europäischen Bundesstaat zu gründen. Die Initiative dazu muss eine Gruppe von Ländern aus der Eurozone ergreifen, Frankreich und Deutschland in vorderster Front. Fehlt dieser politische Wille, ist das Überleben des Euro und der Europäischen Union in Gefahr. Alle, auch Deutschland, müssen sich darüber klar sein, dass sie kaum die Folgen eines Bankrotts ihrer Schuldner und Handelspartner überstehen können.
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