EU im Fall Tunesien: Zu langsam und zu lasch

Die Jasminrevolution offenbart die Schwächen der EU-Außenpolitik

, von  Marian Schreier

EU im Fall Tunesien: Zu langsam und zu lasch
Die Europäische Nachbarschaftspolitik. Bearbeitete Karte von Master Uegly, bestimmte Rechte vorbehalten.

Während auf der einen Seite des Mittelmeers die Bürger Tunesiens mit Mut und Zuversicht den Weg in eine hoffentlich selbstbestimmte Zukunft antreten, zögern und zaudern auf der anderen Seite die Staaten Europas und die Europäische Union mit einer angemessenen Antwort. Wie die als Jasminrevolution bezeichnete Ablösung des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali die Schwächen der EU-Außenpolitik offenbarte.

Die EU und die 29 Tage der Jasminrevolution

Erst gegen Ende der 29 Tage währenden Jasminrevolution [1] der tunesischen Bürger meldeten sich die Hohe Vertreterin für Außen-und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, und der Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), Štefan Füle, zu Wort. Doch nicht nur die Reaktionsgeschwindigkeit, sondern auch Ton und Inhalt der Meldungen machen die zögerliche Haltung deutlich. So lassen Lady Ashton und Štefan Füle am 10. Januar noch verlautbaren: „Der Prozess die [bilateralen] Beziehungen zu stärken bedarf eines gesteigerten Engagements von beiden Seite in allen Bereichen, besonders bei den Menschenrechten und Grundfreiheiten. Wir hoffen, dass unser tunesischer Partner die Erwartungen und Ziele erfüllt, die wir in unsere Beziehung setzen.“ [2] Eine klare Distanzierung vom brutalen Vorgehen des tunesischen Machthabers sieht anders aus. 72 Stunden später verjagen die Tunesier ihren Präsidenten.

Strukturelle und politische Probleme der EU-Außenbeziehungen

An den Reaktionen der EU auf die jüngsten Ereignisse in Tunesien zeigen sich strukturelle und politische Probleme der EU-Außenbeziehungen und insbesondere der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Es lassen sich drei Probleme ausmachen, zwei struktureller und eines politischer Natur.

Schon beim Lesen der Pressemeldungen zu Tunesien kann man das erste strukturelle Defizit erkennen. Auch wenn der Vertrag von Lissabon eine koordiniertere Außenpolitik durch die Schaffung des Hohen Vertreters für Außen-und Sicherheitspolitik erreichen wollte, sind viele Portfolios immer noch nicht in einer Hand. So fühlt sich neben Lady Ashton auch Štefan Füle für die Entwicklungen in Tunesien zuständig, da die ENP Teil seines Portfolios ist. Dass sich aus dieser doppelten Zuständigkeit erhöhter Koordinationsbedarf und Schwierigkeiten in Reaktionstempo-und weise ergeben, ist deutlich. Wenn irgendwann doch, wie im Lissabon-Vertrag vorgesehen, die Anzahl der Kommissare reduziert wird, sollte der Hohe Vertreter die ENP übernehmen.

Ein schmaler Grat – die Europäische Nachbarschaftspolitik

Die ENP [3] war ursprünglich eine Reaktion auf die EU-Osterweiterung um die neuen Nachbarstaaten stärker einbinden zu können. Sukzessive wurde sie aber auf den Mittelmeerraum ausgedehnt und beide Elemente –der südliche und östliche Teil – 2007 im Europäischen Nachbarschafts-und Partnerinstrument (ENPI) vereint. Ziel der ENPI ist es Stabilität, Sicherheit, Prosperität und „good governance“ in angrenzenden Staaten voranzutreiben. Praktisch sieht das Verfahren wie folgt aus: Nachdem in einer ersten Stufe Länderberichte die Möglichkeit zu Kooperation evaluierten (Tunesien 2004), folgte in einem zweiten Schritt die Entwicklung von Handlungsplänen [4] für die jeweiligen Länder (2005-2007). Teil dieser Pläne sind Förderungsmaßnahmen- und gelder die von der EU im Austausch für Reformen in den Bereichen Justiz, Verwaltung, Bildung und Wirtschaft bereitgestellt werden.

In der Praxis ergeben sich mehrere Herausforderungen. Für die EU ist es schwierig, die richtige Balance zwischen Demokratisierung einerseits und wirtschaftlichen Interessen andererseits zu wahren.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik und Tunesien

Tunesien gehörte zu ersten Generation von Länder, die von den Maßnahmen des ENPI profitierten. Nichtsdestotrotz ließ die Entwicklung im politischen Bereich, wie im Strategiepapier 2007-2013 & Nationalem Richtprogramm 2007-2010 Tunesien [5] vermerkt ist, zu wünschen übrig. Doch anstatt stärker auf eine politische Modernisierung zu pochen, lautet der Vorschlag im Strategiepapier sich 2007-2010 auf drei Ziele zu konzentrieren:

  • wirtschaftliche Steuerung und Konvergenz mit der EU
  • Verbesserungen im Bereich der Arbeitskräfte
  • nachhaltige Entwicklung.

Auch die Verteilung der Gelder spiegelt diese Haltung wider. Die gesamten 300 Millionen Euro für den Zeitraum 2007-2010 flossen in Projekte mit Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung. Die Bestandsaufnahme der Kommission im Mai 2010 [6] geht in die selbe Stoßrichtung. Zwar erkennt sie Defizite im Bereich Demokratisierung, aber das Augenmerk für die Zukunft ist auf den Bereich Wirtschaft gerichtet.

Die strukturelle Problematik liegt nun darin, dass der politischen Modernisierung im ENPI ein zu geringer Stellenwert eingeräumt wird. Finanziell sollte ein größerer Teil für diesen Bereich verwandt werden z.B. über den Ausbau von Verwaltungspartnerschaften, so genanntes „twinning“. Das politische Problem ist die Diskrepanz zwischen Anspruchshaltung und Umsetzung. Die grundsätzliche Idee eines Austauschmechanismus von wirtschaftlichen Anreizen für politische Fortschritte ist überzeugend. Jedoch muss die Evaluierung der Reformen strikter erfolgen und bei Nicht-Einhaltung die Einstellung der Fördermaßnahmen erfolgen. Tunesien kann hier ein Signal für die ENP sein, wenn die EU ihre Haltung überdenkt und bei anderen Ländern in der Region strenger agiert, beispielsweise in Ägypten.

Drei Vorschläge für den Übergangsprozess in Tunesien

Aus den skizzierten Schwächen kann die EU-Außenpolitik neue Stärke beziehen, wenn sie die ENP im Fall Tunesien konsequent einsetzt. Als erstes sollte die EU Unterstützung bei der Durchführung der Wahlen leisten. Dies wurde von Catherine Ashton und Štefan Füle schon zugesichert [7].

Eine zweite Maßnahme ist die Unterstützung des Übergangsprozesses in administrativer und institutioneller Hinsicht. Die EU sollte das Instrument der Verwaltungspartnerschaft, d.h. Experten aus der EU stehen lokalen Experten zu Seite, verstärkt nutzen. Gerade ein sich im Übergang befindender Staat braucht stabile Institutionen.

Zuletzt ist es wichtig, dass die EU Tunesien umfangreiche wirtschaftliche Unterstützung gewährt. Die Ende 2010 ausgebrochenen Proteste speisten sich anfangs aus Unzufriedenheit mit den ökonomischen Bedingungen und dehnten sich allmählich auf eine politische Dimension aus. Wenn die kommende demokratische Regierung die wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff bekommt, ist ihre Zukunft nicht gesichert.

Hoffentlich lernt die EU aus Tunesien und nimmt Tendenzen in Marokko, Algerien und Jordanien früher wahr und handelt entsprechend.

Anmerkungen

[2„[The] process of strengthening [bilateral] relations will require increased commitments from both partners on all issues, in particular in the areas of human rights and fundamental freedoms. We hope that our Tunisian partner will meet the ambitions and expectations placed in our relationship.“

Ihr Kommentar
  • Am 24. Januar 2011 um 13:21, von  Michael Mangold Als Antwort EU im Fall Tunesien: Zu langsam und zu lasch

    Sehr gelungen, diese Analyse, die - ausgehend von der Europäischen Nachbarschaftspolitik - für die zurückhaltenden Reaktion der EU strukturelle Ursachen anführt.

    Lust auf mehr Informationen? Eine weitere Sicht auf das Rätsel „Warum gab sich Europa so still, als in Tunesien für“europäische„Werte gekämpft wurde?“, findet sich in der „jebz“, dem Magazin der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg:

    http://jebz.jeb-bb.de/2011/01/jasmin-ohne-europa/

    Viel Spaß beim Lesen!

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