EU und Ungarn: Eine nicht ganz unkomplizierte Beziehung

Ein Erklärungsversuch und zwei Vorschläge, wie das Verhältnis verbessert werden kann.

, von  Ákos Tóth

EU und Ungarn: Eine nicht ganz unkomplizierte Beziehung
Das ungarische Parlament 2009. Bestimmte Rechte vorbehalten von Eric Mill.

Am 1. Mai 2004 schien die Welt in Ordnung zu sein. Viele hier in Ungarn hatten das Gefühl, endlich dort angekommen zu sein, wo sie immer hingehört haben: in Europa, in der EU.

Natürlich gab es viele Skeptiker, aber die Mehrheit hatte große Hoffnungen. Diese Hoffnungen wurden seit der Wende von den meisten Politikern auch immer wieder bestätigt. Wir sprachen nicht – oder nicht oft – von den Verpflichtungen, die die EU auch in politischer Hinsicht bedeuten würden. Wir mussten nicht nur wirtschaftlich entwickelt und gefestigt sein, um beitreten zu können – eine gewisse politische Kultur wurde ja auch von uns erwartet!

Erwartungen nicht erfüllt?

Irgendwie haben wir es jedoch verpasst, diesen Erwartungen gerecht zu werden: Die Unterstützung der EU-Mitgliedschaft schwindet, obwohl die Gemeinschaft eine riesige Chance für Ungarn war und ist. Doch wie kam es zu dieser Veränderung?

Letztendlich sind es viele ungünstige Faktoren, die in letzter Zeit zusammenspielen. Die wirtschaftlichen Probleme des Landes, der grassierende Nationalismus, das Fehlen einer wahren europäischen politischen Kultur. Damit sind aber nicht nur die Wähler gemeint, sondern auch die politische Elite.

Seit rund zwei Jahren ist Ungarn immer wieder in den Nachrichten, europa- oder sogar weltweit. Auch in diesem Magazin gab es schon Beiträge, die die Situation in Ungarn geschildert haben. Insgesamt war wenig Positives zu lesen.

Angriffe auf das ungarische Volk?

Gerade diese Artikel tragen dazu bei, warum ein großer Teil der Ungarn im Moment hinter jedem Busch ausländische Feinde vermutet. Die Regierung hat gerade diejenigen Kritiken, die sie und ihre Politik betrafen, geschickt als Angriffe gegen das Land selbst inszeniert. Diese Bemühungen werden von den staatlichen Medien unterstützt – die umfangreichen Umstrukturierungen und nicht zuletzt das vom Ausland so heftig kritisierte neue Mediengesetz blieben nicht ohne Ergebnis. Die Medien sind entweder in regierungsnaher Hand, haben eine geringe Reichweite, oder halten sich bei politischen Nachrichten bewusst oder unbewusst zurück. Die Medienbehörde hielt sich auch bisher zurück – auch in Fällen wo sie vielleicht hätte eingreifen sollen – allerdings weiß keiner, wie lange es bei dieser Zurückhaltung bleibt.

Da unser Volk keine Verwandte in der unmittelbaren Nähe hat, ist es seit jeher eine Tradition, dass Ungarn sich als Opfer der Umgebung beziehungsweise des Auslandes betrachten. In Zeiten einer Krise oder Kritik aus dem Ausland ist die feindliche Umgebung für die ungarische Politik schon immer der erfolgreichste Weg gewesen, die Bevölkerung hinter sich zu vereinen.

Und genau das geschieht im Moment. Die Regierung Orbáns ist meisterhaft darin, jeden noch so kleinen Tadel als „Angriff auf alle Ungarn“ umzudichten. Und wenn wir mal ehrlich sind, muss man auch zugeben, dass die Kritik nicht immer gerechtfertigt ist. Nicht, dass viele Gesetze oder das neue Grundgesetz nicht skandalös oder sogar undemokratisch wären. Allerdings fehlt dem „Ausland“ häufig die Tiefe oder das Verständnis für eine exakte Beurteilung, was nicht zuletzt auch an unserer Sprache liegen mag. Nicht korrekt recherchierte oder einseitige und undifferenzierte Kritik gerade seitens der EU oder ihren Mitgliedsstaaten spielt in Ungarn immer den falschen Kräften in die Hände und ist Munition für die antieuropäischen und antidemokratischen Kräfte!

Mehr Genauigkeit und Überparteilichkeit in der Kritik ist nötig!

Ein Vorschlag für unsere Freunde: Man sollte nicht ganze Gesetze, sondern die exakten Paragraphen kritisieren – sonst können die großen Kommunikatoren (um nicht zu sagen: Demagogen) in Ungarn sich vor die Kameras stellen und behaupten, dass Europa keine Ahnung hat. Und auch damit sollte man vorsichtig sein: Einzelne Paragraphen lassen sich auch in anderen europäischen Gesetzen wiederfinden! Die genaue Auseinandersetzung mit der ungarischen Politik und ihren Gesetzen sind das A und O, jegliche ungenaue Kritik ist eine offene Flanke für die Nationalisten. Auch wenn das Gesamtbild furchterregend erscheint und manche Gesetze – vor allem das Mediengesetz – wie eine „worst-practices“-Sammlung europäischer Mediengesetze erscheint, muss der objektive Blick gewahrt werden.

Und ein weiterer Vorschlag: das europäische Parlament soll einheitlich auftreten, sonst wird jeglicher Einwand als Angriff der Kommunisten und Liberalen abgetan werden.

Ein anderes Problem ist die Tatsache, dass Ungarn heute mehr denn je auf Gelder der EU angewiesen ist. Diese finanzielle Unterstützung ist allerdings immer an die Bedingungen geknüpft, die die europäische Wertegemeinschaft vorgibt – und Ungarn augenscheinlich nicht erfüllt. Man kann sehr genau sehen, dass mit Ungarn im Moment ein Exempel statuiert wird. Auch das erzeugt hier das Gefühl einer internationalen Verschwörung.

Hier ist auch der Zugang zur ungarischen Bevölkerung zu suchen. Kommuniziert werden muss, dass die Regierung zahlreiche Werte der Gemeinschaft missachtet hat. Bis jetzt hat man Ungarn ermuntert, seinen eigenen Weg zu suchen und zu finden. Vor der Wirtschaftskrise ging das noch. Jetzt ist aber Einheit und Stärke innerhalb der Gemeinschaft gefragt. Wir sind diejenigen, die sich am auffallendsten daneben benommen haben und das zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Das muss bestraft werden!

Die EU ist die Gemeinschaft, zu der Ungarn dazu gehört, auch wenn das mit Auflagen verbunden ist. Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass die EU nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft gedacht ist, sondern dass es spätestens seit Lissabon auch um Werte geht, um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gleichstellung der Geschlechter, Wohlstand und Freiheit, um nur einige zu nennen.

Deswegen – und genau das muss auch durch die Gemeinschaft an das ungarische Volk kommuniziert werden – ist die EU enorm wichtig für Ungarn. Es muss bei den Menschen hier ankommen, dass Ungarn willkommen ist, das es so etwas wie einen Zusammenhalt gibt, auch wenn das eine oder andere schwarze Schaf hin und wieder mal ausbrechen will. Auch das lässt sich wieder einfangen. Wenn man nur will.

Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa, Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der europäischen Integration als Antwort auf die Krise und ist auf der JEF-Webseite kostenlos erhältlich. Treffpunkt Europa online veröffentlicht drei Artikel aus dem gedruckten Heft.

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