Es gibt kein Richtiges im Falschen

Das unrühmliche Jahr europäischer Außenpolitik will kein Ende nehmen

, von  Markus Breitweg

Es gibt kein Richtiges im Falschen
Libyen und die europäische Außenpolitik: während Westerwelle Kritik aushalten muss, lässt sich Sarkozy feiern. Collage aus Archivbildern. Linkes Bild von michaelthurm, bestimmte Rechte vorbehalten. Rechtes Bild von Ricardo Stuckert, bestimmte Rechte vorbehalten.

Vergangene Woche war einer dieser Momente. Die Wut nimmt überhand und der politische Verdruss droht den Verstand zu überwältigen: Wenn man doch nur für einige Minuten Cohn-Bendit hieße und dem französischen Präsidenten im Straßburger Plenum ein wütendes „Monsieur le Président“ entgegen poltern könnte. Es wäre nicht nur eine persönliche Labsal gewesen. Es hätte vielmehr den Finger in die Wunde gelegt, die Europas Staats- und Regierungschefs in diesem Jahr beharrlich in die Eingeweide europäischer Werte kerben.

Sarkozy triumphiert – Westerwelle wackelt

Bei aller Sympathie für die jüngsten Erfolge der libyschen Rebellen: Die pressewirksame Siegesinszenierung eines Nicolas Sarkozy muss verwundern. Schwingt sich doch ein Staatspräsident zum Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie auf, der noch vor nicht allzu langer Zeit beim libyschen Machthaber Gaddafi mit nuklearer Energietechnik hausierte und dessen Grande Nation vor knapp 60 Jahren Alles daran setzte, eben jene Freiheitsbestrebungen in den nordafrikanischen Kolonien zu verhindern.

Sarkozy hatte sich mit seiner frühen Unterstützung einer militärischen Intervention weit aus dem Fenster gelehnt. Für das Erste scheint seine Strategie aufzugehen. Frankreich steht als faktischer und moralischer Sieger da und Sarkozy kostet diesen Sieg mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr in vollen Zügen aus.

Ganz anders der Fall in Deutschland. Während der französische Bruder im Herzen der Europäischen Union sich an deren Spitze katapultiert, wird der deutsche Außenminister zu kleinlauten Tönen genötigt. Man muss kein Freund Guido Westerwelles sein, um angesichts der großen Schmähungen wegen der von ihm vorangetriebenen Enthaltung Deutschlands im Weltsicherheitsrat ein wenig Mitleid zu empfinden. Es reicht dafür schon etwas Fairness.

Denn während Sarkozy sich seinem bizarren Siegestaumel hingibt und die schwarzgelben Koalitionäre sich auf den deutschen (Noch-)Außenminister einschießen, ist der Nato-Einsatz in Libyen weitaus umstrittener als momentan verlautbart. Nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Kosovo überrascht es, dass Westerwelle nun ausgerechnet dafür gescholten wird, keine Bundeswehrsoldaten in einen bewaffneten Konflikt geschickt zu haben. Es ist zudem mehr als zweifelhaft, ob die Nato-Koalitionäre sich mit ihrem Eingreifen dauerhaft im Rahmen der UN-Resolution 1973 bewegten, die eindeutig den Schutz der Zivilbevölkerung forderte.

In Syrien wird weiter gestorben

So gegensätzlich die Lage ihrer Spitzenpolitiker auch sein mag, eines verbindet Deutschland und Frankreich: Die beiden großen Staaten der Europäischen Union konzentrieren sich vor allem auf sich selbst. So muss es nicht verwundern, dass angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Tripolis zwischenzeitlich eine andere Geschichte freiheitskämpfender Bürger in Vergessenheit zu geraten drohte. Dabei reißen die Berichte von Gräueltaten in Syrien nicht ab.

Zwar können diese wegen des Einreiseverbots für ausländische Journalisten nicht mit letzter Gewissheit beurteilt werden. Doch auch abzüglich eines gewissen Propagandafaktors hat die Schwere der Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Syrien längst ein Maß erreicht, das den Verbrechen, die in Libyen zum Zeitpunkt des beherzten Eingreifens Frankreichs und anderer erst drohten, in Nichts nachsteht. Im Gegenteil: nach allem was bekannt ist, stellt sich der Machtunterschied zu Ungunsten der Protestierenden als deutlich dramatischer dar als im Falle der schon früh bewaffneten libyschen Aufständischen.

Wäre es da entsprechend des in Resolution 1973 geforderten Schutzes der Zivilbevölkerung nicht nur verhältnismäßig, sondern gar geboten, auch in Syrien über ein militärisches Eingreifen nachzudenken? Aktuell will das noch niemand. Auch die syrischen Oppositionellen lehnten derartige Schritte in den vergangenen Wochen wiederholt ab. Staatschef Assad hält die Weltgemeinschaft derweil zum Narren. Er kann sich – wenigstens noch – des grundlegenden Schutzes der Troika aus China, Russland und Iran gewiss sein. Zwar schlägt auch Russland zunehmend kritische Töne an. Doch die russischen Waffen des syrischen Militärs sprechen eine andere Sprache.

Europa zögert

Während es in Syrien also täglich Tote gibt, übt sich die EU in einer Disziplin, die sie längst zu Genüge beherrscht: Beherztes Zögern wäre vielleicht der richtige Begriff. Doch ist es zu einfach, den Akteuren in Brüssel rund um die nachhaltig blasse Außenbeauftragte Catherine Ashton die alleinige Schuld zuzuweisen. Neben den komplizierten Abstimmungsverfahren sind es vor allem die Nationalstaaten, die schnelle und effektive Maßnahmen verhindern. Jüngst schockierte Italien, indem es auf ein verzögertes Inkrafttreten des Öl-Embargos pochte.

Es wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Dabei bietet die aktuelle Lage bei aller Dramatik doch gerade die Chance für die Europäische Union, sich als wertgeleiteter Akteur auch unabhängig wirtschaftlicher Hilfen weltweit Sympathie und Einfluss zu sichern. Von der moralischen Dimension normativer Politik ganz zu schweigen. Stattdessen macht die EU im Falle Syriens so ziemlich Alles falsch. Der vielbeschworene „Arabische Frühling“, er ist für Europa ein jahreszeitübergreifendes Trauerspiel geworden. Für die Menschen in Syrien droht der blutige Sommer derweil in einen tragischen, schwarzen Herbst zu münden.

Effektives Handeln statt nationaler Eigensinnigkeit

Veränderungen sind nur zu erwarten, wenn die Vereinten Nationen scharfe und restriktive Maßnahmen beschließen. Auch unabhängig militärischer Optionen könnte das syrische Regime hiermit empfindlich getroffen werden. Gewiss, die Lage im Weltsicherheitsrat ist ungünstig. Würden sich die europäischen Staats- und Regierungschefs jedoch endlich einmal aufraffen und eine verantwortungsvolle, gemeinsame Außenpolitik durchfechten, könnten sich auch die Gegenspieler China und Russland einem entsprechenden Drängen nicht auf ewig widersetzen.

Sarkozys Vorpreschen und sein aktueller Triumphzug schaden diesem Vorhaben. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass sich das Blatt der öffentlichen Lobpreisung und anprangernder Schelte am Ende wendet – auch wenn Westerwelle dazu nichts beiträgt. Sollte er noch lange genug im Amt verbleiben, wird er sich sicher nicht in ein weiteres Wespennest setzen. Als solches kann der Fall Syrien aufgrund der vertrackten Lage im Weltsicherheitsrat schon gelten.

Weniger Narzissmus und etwas mehr Besonnenheit stünde „Monsieur le Président“ derweil ganz gut. Da es bekanntlich ja kein Richtiges im Falschen gibt, könnte Sarkozy Frankreich, der EU und auch sich selbst hierdurch mehr Vorteile bringen als mit seinem zweifelhaften Parforce-Ritt durch libysche Triumphbögen.

Diese Weisheiten nützen den syrischen Demonstranten wenig. Überall im Land setzen Menschen täglich ihr Leben für Freiheit und Demokratie aufs Spiel. Ihnen helfen kann nur eine aktive EU, die konsequent für diese, für ihre eigenen Werte, einsteht – und das nicht erst am Ende dieses unsäglichen Jahres.

Ihr Kommentar
  • Am 6. September 2011 um 11:48, von  Aymeric L. Als Antwort Es gibt kein Richtiges im Falschen

    Im Allgemeinen finde ich Ihren Artikel sehr unehrlich und heuchlerisch.

    „der noch vor nicht allzu langer Zeit beim libyschen Machthaber Gaddafi mit nuklearer Energietechnik hausierte und dessen Grande Nation vor knapp 60 Jahren Alles daran setzte, eben jene Freiheitsbestrebungen in den nordafrikanischen Kolonien zu verhindern“

    Dass Sarkozy alles versucht hat, Libyen Atomkraftwerke oder Jagdflugzeuge zu verkaufen, und damit Gaddafi sein Beduinen-Zelt im Garten des Elysée-Palastes aufschlagen ließ, ist eine Schande.

    Aber Ihre Benutzung des Begriffs ‚Grande Nation’ (ein Begriff, der nur von Deutschen benutzt wird) und Anspielung auf die kolonialischen Kriege finde ich einfach schwachsinnig.

    Erstens war der Algerienkrieg nicht nur ein Unabhängigkeitskrieg, sondern auch ein schmutziger Krieg auf beiden Seiten. Während algerische Aufständischen hunderten von muslimischen Zivilisten massakriert haben, hat der französische Staatsterrorismus eine Doktrin der Massen-Folter und -Mord entwickelt und umgesetzt hat. Es war auch ein Bürgerkrieg zwischen Algeriern selbst, der zur Ermordung oder im ‚besten’ Fall zur Flucht nach Frankreich von 150 000 Muslimen, den sogenannten Harkis, führte.

    Und zweitens, was machte denn Deutschland vor 70 Jahren? Generell würde ich immer solche wesentlich antieuropäischen Abkürzungen verweigern. Frankreich ekelt Sie an? Sagen sie es einfach.

    „mit seiner frühen Unterstützung einer militärischen Intervention weit aus dem Fenster gelehnt“

    Die Deutschen sollten endlich mal aufhören zu betrachten, dass diese Intervention zu schnell entschieden wurde. Die war verspätet! Hätte sie die NATO nur 12 Tage früher angefangen können, da hätte der Eingriff sicher nicht 6 Monate gedauert. Am 5 März standen die Aufständischen vor Ben Jawab. Am 19, nachdem die UN-Resolution endlich verabschiedet werden konnte, konnte die NATO nur Benghazi retten. Wenn man im UN-Sicherheitsrat vertreten sein will und Krisenmanagement machen will, sollt man bereit sein, schnelle Entscheidungen zu treffen.

    „Es ist zudem mehr als zweifelhaft, ob die Nato-Koalitionäre sich mit ihrem Eingreifen dauerhaft im Rahmen der UN-Resolution 1973 bewegten, die eindeutig den Schutz der Zivilbevölkerung forderte.“

    Stimmt, die Koalitionäre haben die UN-Resolution auf ihre Art interpretiert. Na und? Sollten sie bestraft werden?

    Hätten Sie sich gewünscht, dass die Koalitionäre etwas anders gemacht hätten, oder macht Ihnen es einfach Spaß, dieselben Argumente wie die Anhänger Gaddafis zu benutzen?

    „auch in Syrien über ein militärisches Eingreifen nachzudenken?“

    Genau wie Sie Sagen, die Aufständischen schließen das aus. Und das macht einen riesigen Unterschied zu Libyen. Und ganz konkret, ein Militäreingriff ist nicht kostenlos. Frankreich und Großbritannien investieren schon genug in die Verteidigung.

    Jenseits Ihrer Rhetorik, haben sie eine konkrete Lösung für Syrien, außer der Reform der Vereinten Nationen?

    „Sarkozys Vorpreschen und sein aktueller Triumphzug schaden diesem Vorhaben.“

    Sarkozy kotzt mich genau so stark wie Sie an. Aber in diesem Fall hat er eine richtige Entscheidung getroffen. Viel umstrittener waren seine Motiven, davon das ursprüngliche Angebot der TNC (30% des libyschen Erdöls), das Sie gar nicht erwähnen.

    Der einzige, der jede Rede um eine gemeinsame Außenpolitik zunichte gemacht hat, war nicht er, sondern Westerwelle. Ich will keine gemeinsame Außenpolitik haben, wenn das nur mehr Inkohärenz und Zögerlichkeit bedeuten würde. Warum leugnen Sie das?

  • Am 6. September 2011 um 18:26, von  Frank Stadelmaier Als Antwort Es gibt kein Richtiges im Falschen

    Markus, danke für den Artikel!

    An einem Punkt möchte ich mich allerdings deutlich der kritischen Grundhaltung des Vorkommentators anschließen:

    „Nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Kosovo überrascht es, dass Westerwelle nun ausgerechnet dafür gescholten wird, keine Bundeswehrsoldaten in einen bewaffneten Konflikt geschickt zu haben.“

    Das überrascht überhaupt nicht, hebt man das Diskussionsniveau einmal etwas höher als den – entschuldigung – „kein Blut für Öl“-Diskurs oder jenen des apodiktischen „nie wieder Krieg“, alle beide nicht realitätstauglich. Es kommt auf die Zielsetzung und die Legitimation von Militäreinsätzen an. Nicht darauf, ob sie prinzipiell – alle, als „Phänomen“ – moralisch richtig oder falsch sind. Das wäre eine sehr sinnarme Überlegung bzw. Fragestellung (leider beschränkt sich die Debatte in Deutschland häufig darauf). Jeder Fall muss geprüft werden. Der Fall Libyen ist (und war zum Zeitpunkt des 17. März 2011) recht eindeutig. Deshalb ist es normal, Westerwelle (und Merkel!) für die Stimmenthaltung an jenem 17. März zu kritisieren; schließlich handelt es sich um das wahrscheinlich größte diplomatische Debakel seit Bestehen der Bundesrepublik, das zudem Folgen für den Status der deutschen Außenpolitik hat – jeder informierte Interessierte hat gesehen, dass die Deutschen „es nicht können“, kein Gespür für internationale Politik haben; wie war das doch gleich mit dem Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat?

    Desweiteren: Westerwelle sollte am 17. März im Weltsicherheitsrat keine Soldaten „schicken“, sondern hat dem New Yorker Botschafter die Weisung gegeben, nicht für einen militärischen Entsatz der bedrängten Aufständischen zu stimmen, durchgeführt durch wen auch immer (also Kadhafi freie Hand zu lassen). Das ist der Skandal: wenn es nach der deutschen Bundesregierung gegangen wäre, hätte man ein Massaker zugelassen und die politische Dynamik des arabischen Freiheitskampfes unterdrücken lassen – in Libyen und per Symbolwirkung darüber hinaus; zu einem Zeitpunkt, wo Eingreifen nicht nur geboten und vom Weltsicherheitsrat legitimiert war, sondern auch möglich. Dies im übrigen ist der bislang entscheidende Unterschied zu Syrien, neben dem fehlenden Mandat: die realistische Möglichkeit des Erfolgs. Die dagegen stehenden syrischen Realitäten deutet der Artikel an.

    Und nun zum Lob ;)

    „eines verbindet Deutschland und Frankreich: Die beiden großen Staaten der Europäischen Union konzentrieren sich vor allem auf sich selbst.“

    Schön gesehen, und genau das ist momentan unser zentrales Problem als Europäer, nicht nur in der Außenpolitik.

    Salutations européennes, Frank

    Für eine genauere Argumentation betreffs Libyens empfehle ich: http://www.hsfk.de/fileadmin/downloads/standpunkt0211.pdf Und für einen Vergleich mit dem Irak 2003: http://www.uni-trier.de/fileadmin/fb3/POL/Maull/HW_Maull_Deutsche_Aussenpolitik_Orientierungslos_ZPol_1_2011_1.pdf

    ps: Um Missverständnissen bezüglich meines früheren Artikels http://www.treffpunkteuropa.de/Sarkozy-in-Libyen vorzubeugen: Ich kritisiere dort das Wie und das taktische Warum Sarkozys Position, nicht die Position der Intervention als solche. Während ich zum Ausbruch der Libyenkrise vor allzuschnellem Rufen nach einer westlichen Intervention gewarnt habe, unter anderem wegen des allzu deutlichen Postkolonialismusverdachts (siehe z.B. mein Kommentar vom 23. Februar unter http://www.treffpunkteuropa.de/Libyen-Wir-mussen-rein), hatte sich die Lage spätestens damit grundlegend geändert, dass die Rebellen selbst sowie zentrale arabische und muslimische internationale Organisationen zum Handeln von außerhalb aufgefordert hatten (siehe auch dazu die beiden angegebenen Literaturhinweise).

  • Am 10. September 2011 um 13:58, von  Christoph Als Antwort Es gibt kein Richtiges im Falschen

    „Es kommt auf die Zielsetzung und die Legitimation von Militäreinsätzen an. Nicht darauf, ob sie prinzipiell – alle, als „Phänomen“ – moralisch richtig oder falsch sind. Das wäre eine sehr sinnarme Überlegung bzw. Fragestellung (leider beschränkt sich die Debatte in Deutschland häufig darauf). Jeder Fall muss geprüft werden. Der Fall Libyen ist (und war zum Zeitpunkt des 17. März 2011) recht eindeutig.“

    Da würde ich dir widersprechen! Erstens finde ich ist der Fall Libyen in vielen Dimensionen alles andere als eindeutig und zweitens muss nicht nur die Zielsetzung einer militärischen Intervention bei einer Beurteilung miteinbrzogen werden, sondern auch die Auswirkungen, welche bisher schlicht sehr schwierig abzuschätzen sind. Gerade diese Ungewissheit macht die libysche Angelegenheit deutlich verzwickter, als von dir dargestellt. Eine Intervention war insbesondere dann unangemessen, wenn das Resultat weniger Stabilität und mehr Gewalt bedeutet, was im Fall Libyen nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Ob Westerwelle falsch oder richtig lag mit seiner Enthaltung, wird sich erst mittelfristig feststellen lassen.

    Siehe hierzu auch:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/revolutionsforscher-ueber-die-lage-in-libyen-es-gibt-wichtigeres-als-demokratie-1.1141030-2

  • Am 12. September 2011 um 18:26, von  Frank Stadelmaier Als Antwort Es gibt kein Richtiges im Falschen

    Hallo Christoph,

    danke für Deinen Kommentar! Ich gebe Dir recht, dass gerade auch die Auswirkungen ein wichtiges Kriterium für Militäreinsätze sind. Das sollte in meinem Kommentar ja durchaus durchscheinen. Zum konkreten Fall Libyen stimme ich Dir ebenfalls insofern zu, als dass die dynamische Phase des Umbruchs noch lange nicht abgeschlossen ist und damit nach wie vor viele verschiedene Zukunftsszenarien möglich sind. Der Erfolg und ebenso der Zielpunkt eines libyschen Transitionsprozesses liegen also noch im Dunkeln.

    Wenn man aber die am 17. März absehbaren Auswirkungen eines Nichteingreifens (blutige Niederschlagung des libyschen Aufstands, starker Rückschlag für den arabischen Freiheitskampf im allgemeinen) mit der heutigen Situation, inklusive der angesprochenen Unwägbarkeiten, vergleicht, besteht doch Grund zur Annahme, dass die Situation heute derjenigen vorzuziehen ist, welche durch ein Nichteingreifen entstanden wäre. Es gibt heute für den Moment sicher weniger Stabilität als unter Kadhafi, aber das liegt in der Natur jeden politischen Übergangs. Bei der Gewalt bin ich mir nicht sicher. Die nächsten Wochen werden wohl entscheidende Wegweisungen in dieser Hinsicht bereithalten.

    Unabhängig davon aber ist festzuhalten, dass sich die Bundesregierung in Verkennung der Dynamik der Ereignisse (siehe abermals die beiden Literaturhinweise) auf eine Position begeben hat, deren diplomatische Prekarität eigentlich abzusehen war, die international aber keinen erkennbaren Nutzen hatte (Ja-Stimme im SR nicht gleich militärische Beteiligung). Das scheint mir per se eine schlechte Außenpolitik zu sein, welche dem Anschein nach mindestens auch aufgrund innenpolitischer Überlegungen (Wahltaktik) verfolgt wurde. Das erinnert stark an Gerhard Schröder 2002/2003, aber eben mit dem entscheidenden Unterschied, dass damals die rechtlichen wie politischen Gründe der Interventionsinitiatoren (v.a. G.W.Bush) erkennbar unhaltbar waren, während jene der Initiatoren von 2011 (v.a. Sarkozy) nicht frei von politisch eigennützigem Zynismus waren, aber doch objektiv nicht erkennbar unhaltbar, sondern bestenfalls schwierig abzuwägen.

    In dieser Situation sich in jene Isolation des 17. März zu begeben, erscheint mir in jedem Falle eine schlechte Außenpolitik gewesen zu sein, unbesehen der weiteren, kritischen Entwicklung vor Ort in Libyen. Ich würde also eher sagen, der „Erfolg“ oder „Misserfolg“ der tatsächlichen Entwicklung, zu der die internationale Intervention nun historisch gehört, wird sich erst mittelfristig feststellen lassen. Westerwelle lag mit seiner Enthaltung in meinen Augen aber in jedem Fall falsch.

  • Am 12. September 2011 um 21:57, von  Aymeric L. Als Antwort Es gibt kein Richtiges im Falschen

    Es gibt keine Eindeutigkeit in Internationalen Gelegenheiten. Das existiert nicht.

    Es geht hier nicht um eine Investition, die man wochenlang vorbereiten würde, um seine Chancen auf Erfolg in Form von Stabilität und Frieden zu maximisieren. Es geht um das Management von einer Krise, die nicht nur das überleben von Zivilisten bedroht, sondern auch ein entscheidendes Effekt auf die tiefgreifende Umwandlung einer Region haben kann. Wie der spanische Bürgerkrieg von 1936.

    Besser gesagt: hätten sich die Libyer, Tunesier, Ägypter, Syrer, Jemeniten nur Frieden und Stabilität gewünscht, da wäre keiner auf die Straße gegangen. Das nennt man eine Revolution.

    Eine Aussenpolitik kann nur existieren, wenn wir ein bisschen Risiko annehmen. Sind unsere liberalen Demokratien so alt und ängstlich geworden, dass wir kein Risiko mehr eingehen können, wenn es gerechtfertigt ist und die Welt positiv ändern kann?

    Zwischen 1992 und 1995 war die Lage in Bosnien auch nicht eindeutig. Ich will keine europäische Außenpolitik, die ein zweites Srebrenica geschehen lassen würde.

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