Die schlechte wirtschaftliche Situation in den Südstaaten Europas führt bereits jetzt häufig zu Frustration, Depression und vermehrtem Alkoholkonsum in der Bevölkerung. Das belegen Untersuchungen von Wissenschaftlern der European Observatory on Health Systems and Policies. Demnach hätten psychische Störungen zum Beispiel in Portugal zwischen 2006 und 2010 enorm zugenommen. Zudem würden einige Bürger aufgrund des sinkenden Einkommens an Medikamenten sparen.
Laut einer Allianz-Studie liegt das Netto-Geldvermögen in Griechenland nur noch bei etwa einem Viertel des europäischen Durchschnitts. In Spanien, Italien und vielen anderen südlichen EU-Ländern haben die Menschen seit der Finanzkrise deutlich weniger Geld. In Deutschland stieg hingegen das Netto-Geldvermögen seit 2008 um rund 18 Prozent. In anderen nördlichen EU-Staaten ist die Situation ähnlich. Europa scheint sich in einen reichen Norden und einen armen Süden zu spalten. Damit scheint sich in der EU zu bewahrheiten, was Experten des World Economic Forum in der Studie „Globale Risiken 2013“ herausfanden. Darin werden die globalen Risiken der Zukunft auf ihre Wahrscheinlichkeit untersucht. Das Ergebnis: Die größte Gefahr in den kommenden zehn Jahren geht von einer wachsenden Einkommenskluft zwischen Arm und Reich aus.
Steigendes Vermögen in Deutschland
Dabei gibt es nicht nur zwischen den einzelnen Staaten, sondern auch innerhalb der Länder Armut und Ungleichheit. Das Deutsche Rote Kreuz zitiert in einem Bericht eine Studie, nach der im vergangenen Jahrzehnt 5,5 Millionen Deutsche von der Mittel- in die Unterschicht fielen. Zudem seien viele Jobs in Deutschland schlecht bezahlt und bieten daher wenig soziale Absicherung. Laut dem Roten Kreuz können 600.000 Deutsche nicht von ihrem Einkommen leben. Die niedrigen Zinsen auf Spareinlagen führen außerdem dazu, dass die Menschen Geld verlieren und Zinsverluste in Kauf nehmen müssen. Laut Allianz-Studie sind diese in keinem anderen EU-Land höher als in Deutschland.
Für Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz Gruppe, ist dies aber noch kein Grund zur Sorge: „Die deutschen Sparer sind bisher relativ gut durch die Krise gekommen. Eine hohe Sparbereitschaft, gepaart mit einer guten Einkommensentwicklung, konnte bisher den scharfen Rückgang der Zinsen kompensieren.“ Diese Annahme belegen die Ergebnisse der Allianz-Studie. Deutschlands Vermögenszuwachs hängt gerade von der hohen Exportleistung und dem schwachen Euro ab. Auch wenn dieser auf lange Zeit schädlich für die Wirtschaft im Euro-Raum ist, verschafft er Deutschland kurzfristig einen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt. Produkte, für die man in Europa aufgrund des geringen Euro-Wertes viel Geld zahlen muss, kann man in einer anderen Währung günstiger kaufen. Deshalb greifen viele ausländische Kunden auf preiswerte, deutsche Waren zurück. Da die Südländer deutlich weniger Exportleistung aufweisen, profitierten sie nicht so sehr von dem schwachen Euro. Die steigenden Kosten für importierte Waren traf sie deutlich härter. So entstand eine Kluft zwischen den schwachen Exportnationen im Süden Europas und den starken Exporteuren im Norden der EU. Ökonomen machen zudem die boomende Börse für die gute Entwicklung in Deutschland verantwortlich.
Krise und Arbeitslosigkeit in den Südstaaten
Die Finanz- und Eurokrise kostete zahlreiche Menschen ihren Arbeitsplatz. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation stieg 2012 die Zahl der Arbeitslosen um rund 30 Millionen seit Ausbruch der Krise an. In Spanien soll sich die Jugendarbeitslosigkeit sogar mehr als verdoppelt haben. Diese steigenden Erwerbslosenzahlen sind Grund für Wohlstandsverluste, die sich laut einer Untersuchung seit Ausbruch der Finanzkrise auf rund 227 Milliarden Euro belaufen. Diese Einbusen haben immens zur schlechten wirtschaftlichen Situation der Südländer beigetragen, die besonders von Beschäftigungslosigkeit betroffen sind. So lag die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland bei 61,5 Prozent, in Deutschland hingegen nur bei 7,7 Prozent. 2012 lag die Erwerbslosenquote in den Südstaaten im Durchschnitt 10,2 Prozent höher als in den nördlichen Ländern. Wenige Jahre zuvor war das Verhältnis beinahe gleich.
Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit
Die EU fordert einen Sonderhaushalt, der durch dauerhafte finanzielle Transfers des Nordens in den Süden für sozialen Ausgleich sorgen soll. Außerdem wäre eine Art europäische Arbeitslosenversicherung denkbar. Die deutsche Regierung lehnt beide Vorschläge bisher ab. Die Hilfsorganisation Oxfam plädiert derweil unter anderem für eine Finanztransaktionssteuer. Das ist eine Umsatzsteuer auf alle Finanzgeschäfte, die kurzfristige Spekulationen an der Börse unattraktiver machen und so den Finanzmarkt stabilisieren soll. Außerdem würde die Steuer laut Oxfam Armut bekämpfen und den Regierungen zusätzliche Steuereinnahmen in Milliardenhöhe einbringen. Allerdings ist sie wohl nicht mit dem EU-Vertrag vereinbar.
Europäische Sparpolitik
Nach Angaben von Oxfam könnten 25 Millionen weitere europäische Bürger bis zum Jahre 2025 als arm gelten. Jörg Kalinski, Kampagnenleiter der Organisation, ist der Überzeugung, dass die europäische Sparpolitik Armut und Ungleichheit nicht bekämpfe, sondern vergrößere. Grund seien die strengen Sparmaßnahmen. Ähnlich sieht das OECD-Experte Michael Förster: Er fordert die EU auf, ihre Politik zu überdenken und darauf zu achten, dass diese nicht zu sehr auf Kosten der Armen ginge. Bekele Geleta, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, pflichtet dem bei. Er verstehe zwar die Notwendigkeit zu sparen, rät aber dringend von weiteren Einschnitten im Gesundheits- und Sozialwesen ab.
„Die bisherigen Reformanstrengungen beginnen in diesem Jahr erste Früchte zu tragen“, hält Allianz-Chefvolkswirt Heise dagegen. „Weitere konsequente Integrationsschritte sind erforderlich, um allen Europäern wieder eine klare Perspektive für Wachstum und Wohlstand zu geben.“ Ein EU-Kommissionspapier lobt darüber hinaus die Einführung der umstrittenen Hartz-Gesetze und fordert weiterhin „angemessene Arbeitsmarktreformen“.
Während Ökonomen sich streiten, scheint die Mehrheit der Deutschen Bevölkerung hinter der europäischen Sparpolitik zu stehen. Das beweist das gute Wahlergebnis der Union unter Kanzlerin Angela Merkel.
Grund zur Skepsis gegenüber der eingeschlagenen Politikrichtung sind die wachsenden Armutsraten in der EU jedoch allemal. Die Sparprogramme, die den südlichen EU-Ländern auferlegt wurden, beinhalten Steuererhöhungen, den Abbau von Arbeitsstellen und Kürzungen bei den Sozialleistungen und Löhnen. Diese Maßnahmen verhindern zwar, dass die Länder weitere Schulden anhäufen. Sie verleiten die Bürger aber auch zum eisernen Sparen, was der wirtschaftlichen Situation der EU-Staaten schadet. In Schwung bringen könnte die schlechte Wirtschaft nur ein gesteigertes Konsumverhalten der Einwohner. Die Politik sollte daher die Sparpakete reformieren, auf weitere Einschnitte, insbesondere bei den Sozialleistungen, verzichten und über einen neuen Kurs nachdenken.
1. Am 17. Oktober 2013 um 18:32, von Andre Als Antwort Europa am Rande des Abgrunds
Es gibt technisch zwei Punkte, erst einmal braucht es eine glaubhafte ordnungspolitische Reorientierung. Nur dann kann eine Wachstumspolitik möglich werden.
Der Schäublevorschlag eines Eingriffsrechts der EU Kommission in national Haushalte war der Lackmustest, und hat aufgezeigt, warum es nicht geht. Denn nur wer nicht daran denkt sich an gemeinsam Vereinbartes zu halten wird gegen einen solchen Zugriff sein.
Man muss also gar nicht scheinheilig der Wachstumspolitik das Wort reden, ohne die ordnungspolitischen Absicherungen ist das extrem gefährlich.
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