Europas Parlamente auf dem Prüfstand

Teil 3/3 der Serie: Nationale Parlamente in der EU und die Zukunft der Mehrebenendemokratie.

, von  Dr. Katrin Auel

Europas Parlamente auf dem Prüfstand
Die Mächtigen unter sich: Der englische Premierminister David Cameron und der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso bei einem Treffen des Europäischen Rats. Oftmals haben nationale Parlamente kaum Einfluss auf dessen Entscheidungen. © European Commission 2013

Nationalen Parlamenten werden in der EU gemeinhin eine recht randseitige Existenz irgendwo im Schatten der mächtigen Staats- und Regierungschefs nachgesagt. Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht. Gerade in den letzten Jahren konnten die Parlamente ihre Position stabilisieren. Wie sieht es wirklich aus in den Parlamenten der EU? Ein Vergleich.

Macht und Ohnmacht nationaler Parlamente in der EU

Kaum hat der Vertrag von Lissabon die Rolle nationaler Parlamente in der Europapolitik (zumindest symbolisch) gestärkt, da bringt die Euro-Krise das Thema der parlamentarischen Legitimation europäischer Politik wieder auf den Tisch. Diese Diskussion ist nicht neu. Schon lange ist im Zusammenhang mit dem vieldiskutierten Demokratiedefizit der EU von der Entparlamentarisierung der Politik die Rede. Parlamente haben im Zuge der europäischen Integration immer mehr Gesetzgebungskompetenzen an die europäische Ebene abgeben müssen, in Brüssel entscheiden aber Regierungen und Verwaltungsbeamte. Parlamente gelten deshalb häufig als die Verlierer der europäischen Integration, welche die exekutiv dominierte Politik oft nur noch abnicken können.

In der Tat waren nationale Parlamente eher die Nachzügler der europäischen Integration. Erst im Laufe der 1990er Jahre, unter dem Eindruck der Einheitlichen Europäischen Akte und des Vertrags von Maastricht, haben sie angefangen, sich ernsthaft gegen die eigene Marginalisierung zu wehren. Zu den Vorreitern gehören die nordischen Parlamente, allen voran der dänische Folketing. Mittlerweile haben weitere Parlamente, gerade auch in den neuen Mitgliedstaaten, weitreichende Mitentscheidungsrechte in der Europapolitik durchgesetzt. Auch der Bundestag ist mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts in den letzten Jahren zu einem der mächtigsten Parlamente in der EU aufgestiegen. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass es nach wie vor eine ganze Reihe an schwächeren Parlamenten gibt. Dazu gehören, mit wenigen Ausnahmen, vor allem Parlamente im Süden Europas.

Parlamentarische Mitwirkungsrechte auf dem Papier reichen allerdings nicht, sie müssen auch genutzt werden. Besonders aktiv sind hier vor allem diejenigen Parlamente, deren Regierungen für die Verhandlungen in Brüssel ein sogenanntes parlamentarisches Mandat einholen müssen. Zwar sind diese Mandate für die Regierung in den meisten Fällen nicht rechtlich bindend, das Verfahren schafft aber gute Voraussetzungen für eine systematische parlamentarische Befassung mit EU-Themen und eine regelmäßige Einbindung in die Formulierung der nationalen Verhandlungsposition. Deutlich weniger aktiv sind hingegen in der Regel diejenigen Parlamente, die selbst entscheiden müssen, zu welchen EU Themen sie Stellungnahmen abgeben wollen. Dies gilt nicht nur für die schwächeren Parlamente, deren Stellungnahmen ohnehin geringere politische Konsequenzen haben, sondern beispielsweise auch für den Deutschen Bundestag, der seine institutionell starke Stellung nach wie vor nicht ausschöpft. Hier gibt es viel Aufholbedarf.

Parlamentarisches Mandat – demokratische Legitimation oder Gängelband?

Die Diskussion um die Rolle nationaler Parlamente nimmt – gerade auch in Deutschland – allerdings manchmal geradezu paradoxe Züge an. Einerseits wird eine stärkere parlamentarische Legitimation europäischer Politik eingefordert, andererseits sollen nationale Parlamente der exekutiven Entscheidungsfähigkeit auf europäischer Ebene aber keinesfalls im Wege stehen. Wo kämen wir denn hin, wenn jede der 27 Regierungen erst mal Zuhause fragen müsste, ob sie einer Entscheidung im Rat auch wirklich zustimmen darf?

Mit dieser Argumentation ist nicht zuletzt in Deutschland ein Mandatsverfahren für den Deutschen Bundestag stets abgelehnt worden – auch von vielen Abgeordneten. Tatsächlich zeigt die Erfahrung anderer Mitgliedstaaten, dass Regierungsfraktionen in der Regel kein Interesse daran haben, ihrer Regierung mit eng gefassten Mandaten die Hände zu binden. Überraschend ist das nicht. Auch im Rahmen nationaler Politik sind Regierungsfraktionen nicht gerade dafür bekannt, dass sie regelmäßig gegen die Gesetzesvorschläge ihrer Regierungen stimmen. Selbst der berühmte dänische Folketing hält seine Regierung nicht an der kurzen Leine – trotz Minderheitsregierung und bindendem Mandat.

Parlamentarier wissen sehr genau, dass eine Regierung ohne Handlungsspielraum im Rat bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Zweifel überstimmt wird - oder sich einfach enthält, falls das Ratsergebnis nicht den parlamentarischen Vorstellungen entspricht, von der Regierung aber befürwortet wird. Mandatsrechte sind also keine Garantie für parlamentarischen Einfluss auf europäische Politikergebnisse, sie bremsen europäische Entscheidungen aber auch nicht aus, indem sie Regierungen ans Gängelband legen. Sie sorgen dafür, dass Parlamente in die Formulierung der nationalen Position eingebunden und politische Entscheidungen im „Schatten parlamentarischer Macht“ getroffen werden.

Wir brauchen mehr Europa in den Plenarsälen!

Allerdings erschöpft sich demokratische Legitimation nicht in parlamentarischen Entscheidungsrechten, vor allem dann nicht, wenn diese nur in den Sitzungszimmern der Ausschüsse ausgeübt werden. Parlamentarische Demokratie ist nicht zuletzt organisierter öffentlicher Streit, in der die Regierung gestützt von ihrer Mehrheit Probleme definiert und Lösungen entwickelt, und die Opposition diese kritisch begleitet und Alternativen entwirft. Demokratie ist das genaue Gegenteil von „alternativloser“ Politik. Nur über eine lebendige öffentliche Debatte ist es den Bürgern möglich, an Politik teil zu haben, informierte (Wahl-)Entscheidungen zu treffen und ihre demokratischen Kontrollrechte auszuüben.

Genau an dieser parlamentarisch organisierten, öffentlichen Debatte fehlt es häufig. Europapolitische Debatten sind in einem Großteil der Parlamente nach wie vor eine Seltenheit. Im Durchschnitt werden nur etwa fünf Prozent der Plenarzeit Europathemen gewidmet, oft sind es sogar deutlich weniger. Der Bundestag hingegen schneidet hier deutlich besser ab, ebenso der irische Dail, der österreichische Nationalrat, die niederländische Tweede Kamer oder die finnische Eduskunta. Allerdings machen auch in diesen Parlamenten EU Debatten weniger als 15 Prozent der gesamten Plenarzeit aus. Dieser Anteil ist vor allem auf Debatten zur Eurokrise zurückzuführen. Während zumindest durch die Eurokrise eine gewisse Politisierung stattgefunden hat, werden europäische ‚Alltagsthemen’ weitaus seltener behandelt.

Politik, so hat es der britische Politologe Simon Hix einmal ausgedrückt, ist letztlich eine glorifizierte Seifenoper mit wöchentlichen Folgen voller Konfrontationen und Intrigen. Nationale Parlamente haben sich – mehr oder weniger erfolgreich – dagegen gewehrt, in der Europapolitik zu Statisten degradiert zu werden. Aus demokratischer Sicht ist es allerdings ebenso bedenklich, wenn zahlreiche Folgen dieser politischen Seifenoper einfach aus dem Programm genommen werden. Folge ist, dass eine öffentliche – parteipolitische – Auseinandersetzung zu bestimmten Themen nicht mehr stattfindet, weil diese nun auf der europäischen Ebene entschieden werden.

Parlamentarische Beteiligung in der EU Politik ist kein Selbstzweck, sondern eine Aufgabe im Auftrag der Bürger. Kommen nationale Parlamente ihrer Öffentlichkeitsfunktion nicht nach, tragen sie noch zusätzlich zum ohnehin gravierenden Problem der Intransparenz in der EU bei. Dieses Problem ist hausgemacht. Hier sollten Bemühungen um eine Demokratisierung von Politik innerhalb der Mitgliedstaaten in erster Linie ansetzen.

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