Hertha, Harry und Europa

Wie Berlin den Abend gewann und Europa ihn verlor.

, von  Vincent Venus

Hertha, Harry und Europa
Ein bisschen Liebe zu Europa würde Harry nicht schaden. Photo: Bestimmte Rechte vorbehalten von Ricardo Nuno

Wir treten gerade durch die Tür, da fällt das Tor. Eins zu null für Hertha BSC. Wir, das sind Florian und ich; die Tür, das ist der Eingang zu einer alten Berliner Kneipe am U-Bahnhof Eberswalder Straße. Hertha gewinnt schließlich das Spiel und kommt eine Runde weiter im DFB-Pokal. Interessanter als das Spiel war jedoch Harry und unsere Diskussion um Europa.

Harry heißt zwar nicht wirklich Harry, aber er trug an dem Abend seine Arbeitskleidung auf der groß „Harry“ stand und irgendwie passt der Name auch. Wir kommen erst nach dem Spiel ins Gespräch. Er ist alleine in der Kneipe und will reden. „Woher kommt ihr“, fragt er uns und „was macht ihr?“ „Wir sind von hier, studieren aber jetzt außerhalb“, antworten wir und kurz darauf erläutern wir, dass Florian VWL und ich European Studies studieren. „European wat?“, will Harry wissen. „Europawissenschaften, mit Politik, Geschichte, Recht und nen bisschen Wirtschaft“, erwidere ich, „alles auf Europa bezogen.“ Da wird er hellhörig.

„Europa?! Na, da hast du dir aber wat Feines ausjesucht“, kommentiert er. Einen weiteren kurzen Wortwechsel später kommen wir auf die Euro-Krise zu sprechen. „Warum soll ick als Arbeiter die Italiener finanzieren“, fragt er mich. „Du studierst doch und bist Europa-Fan. Erklär’s mir!“, fordert er. „Auweija“, denke ich, „jetzt geht’s los.“

Ich überlege kurz und fange dann an. „Es gibt zwei Gründe: einen politischen und einen wirtschaftlichen.“ Ich versuche es. In den zwei Minuten, die er mir lässt, bevor er mich unterbricht, fallen Schlagworte wie „europäische Solidarität“, „vereintes Europa in einer uneuropäischen Welt“, „gemeinsame Währung ist starke Währung“, „Reiseerleichterung“ oder auch, dass es wahrscheinlich günstiger ist, die Griechen nicht pleite gehen zu lassen.

Dass meine Ausführungen nicht überzeugen, wird mir wenig später klar. Er fällt mir ins Wort: „Warum sollen wir Deutsche den Italienern mit Milliarden helfen? Die haben uns doch im Krieg verraten.“ Darauf fällt mir erst einmal keine Antwort ein, so etwas hatte ich noch nie gehört. „Naja“, breche ich mein Schweigen, „sind diese Kriegsgeschichten denn noch wichtig? Wir leben doch im 21. Jahrhundert. Dank der EU ist Krieg doch gar kein Thema mehr.“ Ich bin mit meiner Antwort zufrieden – aber nicht lange. Er setzt an: „Habt ihr gedient?“ Wir verneinen. „Ick war damals bei der NVA“, führt er fort. „Einmal mussten wir los, alle in die Wagen, ab nach Polen in den Wald. Wir wussten nicht was los war, aber eins war klar: bevor die schießen würden, würden wir es tun.“

Er erzählt seine Geschichte zu Ende und guckt uns fragend an. Florian und ich gucken uns auch fragend an. Was nun? Ich versuche noch einmal, ihn von Europa zu begeistern, doch seine Kriegsrhetorik und ständigen Verweise zum „Adolf“ machen klar: der Mann will nicht überzeugt werden.

Schließlich gebe ich auf, verabschiede mich und verlasse mit Florian die Kneipe. Vor der Tür bleiben wir kurz stehen und während wir die Jacken zu machen sagt Florian: „So ganz ist der europäische Funke auf den aber nicht übergesprungen.“ „Nee“, antworte ich, „aber wenigstens hab ich’s versucht.“ Am Ende des Abends steht es 3:1 für Hertha, aber 0:1 gegen Europa.

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