JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

Oder: Warum auf A und B manchmal doch nicht C folgt.

, von  Vincent Venus

JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?
Wo ist der Verfassungsschutz, wenn man ihn mal braucht?

Europabegeisterte Menschen grübeln viel dieser Tage. Manchmal kommen einem dabei auch exotische Gedanken in den Sinn: Ob man selber ein Verfassungsfeind ist, zum Beispiel.

A) Für den europäischen Bundesstaat

Doch der Reihe nach: Ich bin ein junger europäischer Föderalist. Ich bin also für die Vereinigten Staaten von Europa. Und damit bin ich auch für ein vollwertiges Europaparlament, für einen Europapräsidenten, für eine europäische Polizei, für eine europäische Armee und für eine europäische Verfassung. Macht mich diese Einstellung zu einem Feind der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland?

B) Gegen den deutschen Bundesstaat

Schließlich bin ich damit auch für die Beschränkung der Befugnisse des Bundestages und der Kanzlerin, für die Unterordnung der deutschen Polizei gegenüber europäischer Behörden, für eine Auflösung der Bundeswehr und gegen die im Grundgesetz definierte Einteilung Deutschlands in Länder und den Bund. Für mich als Nicht-Juristen klingt das verdammt nach Verfassungsfeindlichkeit.

Sollte der Verfassungsschutz mich überwachen? Werde ich vielleicht schon abgehört? Ist mein Computer mit dem Bundestrojaner infiziert? Oder tummeln sich auf JEF-Veranstaltungen gar regelmäßig V-Leute?

Zwar ist es unmöglich, den letzten Punkt sicher zu verneinen, im Verfassungsschutzbericht 2010 tauchten die Jungen Europäischen Föderalisten allerdings nicht auf [1]. Und das werden sie wohl auch zukünftig nicht.

C) Aber kein Verfassungsfeind

Denn im Gegensatz zum Laien definieren die Juristen „Verfassungsfeindlichkeit“ nicht etwa als „Ablehnung der Verfassung“, sondern als Nichtannerkennung, Ablehnung oder Feindschaft gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung [2].

Diese wiederum definierte das Bundesverfassungsgericht 1952 so:

„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ – BVerfGE 2, 1, 12

Wir JEFer können also durchatmen. Schließlich lehnen wir keines dieser Prinzipien ab – ganz im Gegenteil. Wir fordern und fördern sie sogar. Allerdings wollen wir, dass diese Prinzipien in einer anderen Staatsordnung angewandt werden. Verfassungsfeindlich sind wir folglich nicht, aber was dann? Teile der Verfassung lehnen wir ja ab, wie zum Beispiel die festgelegte Einteilung Deutschlands in Bundes- und Länderebene, festgeschrieben in Artikel 79 [3].

Sind wir vielleicht Gegner des Grundgesetzes von 1949? Diese Einstellung wäre zumindest nicht verfassungsfeindlich, denn Artikel 146 des Grundgesetzes erlaubt die Abschaffung seiner selbst. Und auch eine weitere europäische Integration ist verfassungstechnisch möglich. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Sommer 2009 zwar, dass für den Beitritt Deutschlands zu einem europäischen Bundesstaat eine Verfassungsneuschöpfung notwendig sei [4], ausgeschlossen wurde diese aber nicht.

Gegen eine neue Verfassung hätte ich nichts einzuwenden. Also bin ich kein Verfassungsfeind, sondern ein Verfassungsneuschöpfungsbefürworter. Beruhigend zu wissen.

Ihr Kommentar
  • Am 29. Januar 2012 um 10:28, von  Christoph Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Lieber Vincent,

    ich bin schockiert ;)

    Wieso wendest du dich denn gegen die Gliederung des Bundes in Länder, was in diesem Fall nicht nur einem der grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes widerspricht, sondern auch zutiefst antiföderal ist? Die Abschaffung der Bundesländer wäre ein großer Verlust für das Prinzip der Subsidiarität und der vertikalen Gewaltenteilung. Ganz im Gegensatz zu dir fände ich es sehr wünschenswert, wenn in Europa mittlere politische Einheiten in etwa der Größe eines Bundeslandes entstünden, welche die Einheit in Vielfalt viel besser umsetzen könnten, als große nationale Zentralstaaten. Am Ende sollte für mich die Demontage der Nationalstaaten stehen, dafür den MPE mehr Kompetenzen übertragen werden. Es ist natürlich klar, dass dies bei kleinen Nationalstaaten nicht zutrifft, da etwa die Slowakei mit 5,4 Mio. Einwohner gerade so die Größe einer MPE besitzt. In dieser Ordnung wäre auch das Prinzip „one man one vote“ viel leichter umzusetzen, weil das politische Gewicht der MPE nicht so stark divergieren würde. In manchen föderalen Staaten, wie Österreich, müsste man vielleicht sogar Bundesländer zusammenschließen, um annähernd ähnlich große MPE zu generieren. Das Saarland oder die Stadtstaaten könnte man dann auch ruhigen gewissens eingliedern.

    In diesem Sinne mit föderalen Grüßen

  • Am 29. Januar 2012 um 10:58, von  Vincent Venus Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Hallo Chris, das wollte ich damit gar nicht aussagen. Mir ging es darum, dass die Bundesebene als die höchste definiert ist, was sie im Fall der europäischen Föderation natürlich nicht mehr wäre.

    Eigentlich bin ich aber tatsächlich auch mehr für ein Europa der Regionen und nicht für die Umwandlung der National- eins zu eins in Teilstaaten. Aber das ist nen anderes Thema und viel zu kompliziert für die Kolumne.

  • Am 29. Januar 2012 um 13:10, von  Franzosin Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Endlich ein Artikel, der über EUROPA redet, und nicht über nazionalisten Vorurteilen ( die Deutschen sind pünktlich (aso?), die Franzosen küssen da so und da so (falsche Informationen): na und? ich dachte die Föderalisten wären gegen nazionalisten Gefühle und förderten europäische Gefühle); und der richtige Ideen austellt. Gute Initiative, weiter!

    Ausserdem, ich denke dass die Debatte, daran du hier teilnimmst, ist anders. Das Problem mit eine europaïsche Verfassung ( Federalismus= Verfassung) ist nicht wegen Demokratie sondern wegen Souveränität. Welche Legitimität sollte der Verzicht von ein wichtiges Teil des nazionales Souveränität haben, wenn dieser Verzicht nicht dem Streben des Volkes entspricht?

  • Am 29. Januar 2012 um 17:34, von  Aymeric L. Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Ich sage nur, dass „Franzosin“ nicht im Namen der Franzosen und Französinnen spricht.

    Franzosin: Welche Souveränität hat noch unser Land, wenn unsere Politik von Finanzmärkten und Ratingagenturen bestimmt wird?

    Eine neue Verfassung wird Legitimität haben, indem sie nicht „dem Streben des Volkes“ zuwiderlaufen wird, sonder von einem Parlement vorbereitet wird, das vom Volk dafür gewählt wird. Wenn europäische Parteien die Frage der europäischen Verfassung während der Europawahlen stellen werden, und eine europäische Partei gewinnt, die eine Verfassung befürwortet, dann wird es keine Legitimitätsfrage mehr geben.

  • Am 29. Januar 2012 um 19:53, von  Franzosin Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Das „unsere Politik von Finanzmärkten und Ratingagenturen bestimmt wird“ soll nicht bedeuten, dass es legitim ist, und dass wir es akkzeptieren! Und die Franzosen haben schon beim Referendum zu die Verfassung nein gesagt. Dieses referendum aussprach mehr das Will des Volkes als unsere Abgeordeten, die nicht gewählt sind über ihren Position über die Verfassung!

  • Am 30. Januar 2012 um 00:42, von  Vincent Venus Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    Liebe Franzosin, danke für die Rückmeldung, aber ich teile deine Meinung nicht.

    1. Ich meine, dass die anderen Kolumnenbeiträge nicht nationalistisch waren. Thomas, der Autor über dessen Artikel du dich aufregst, war ein Jahr lang in Frankreich und arbeitet seine Erfahrungen satirisch auf. Gegen ein bisschen Überspitzung ist doch nichts einzuwenden, oder? Zumal die Artikel ja extra als „Kolumne“ erscheinen – sie sind eben nicht ernst zu nehmen.

    2. Ich meine, dass die Nationalstaaten den Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen sind. Es gibt zu viele Themen, die auf einer höheren Ebene angegangen werden müssen. Nichtstaatliche Akteure haben das schon lange begriffen: von NGOs über Terroristen bis hin zu multinationalen Großkonzernen – sie alle arbeiten grenzüberschreitend und werden dabei kaum reguliert. Bei NGOs ist das nicht schlimm, bei Kriminellen oder Konzernen, die die Staaten um Steuern betrügen (http://www.treffpunkteuropa.de/4493), dagegen schon.

    Es ist einfach weltfremd am Nationalstaat festzuhalten! Er ist nichts anderes als eine Organisationsform, die veraltet ist.

    Aber ich will, dass Entscheidungen, die mich betreffen, demokratisch legitimiert sind und nicht von irgendwelchen Männern in Hinterzimmern getroffen werden. Wer für eine demokratische Kontrolle ist, der muss für eine grenzüberschreitende Regierung sein.

    Daher brauchen wir als ersten Schritt die europäische Föderation!

  • Am 30. Januar 2012 um 09:40, von  Aymeric L. Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

    @Franzosin,

    Vor sieben Jahren wollten die Franzosen Sarkozy zum Präsidenten machen, der die Subprimes in Frankreich ausprobieren, und die „soziale Mehrwertssteuer“ umsetzen wollte. Vor sieben Jahren haben 16,8 Millionen Franzosen für die Ségolène Royal gewählt, mehr als die, die gegen die Verfassung gewählt haben (15,4). Erinnerst du dich an Ségolène Royal? Na und? Das war vor sieben Jahren.

  • Am 30. Januar 2012 um 11:42, von  Aymeric L. Als Antwort JEF – Junge Europäische verfassungsFeinde?

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