Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

Analyse der Rede des französischen Staatspräsidenten in Toulon am 1. Dezember.

, von  Fabien Cazenave, übersetzt von Inga Wachsmann

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Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission
„Die Europäische Integration wird intergouvernemental voranschreiten, denn Europa muss strategische und politische Entscheidungen treffen“, Präsident Nicolas Sarkozy am 1. Dezember. Archivbild, bestimmte Rechte vorbehalten von World Economic Forum

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat am 1. Dezember 2011 in seiner Rede „Toulon II“ [1] den Rahmen für Reformen gesetzt, die er für die zukünftige europäische Integration anstrebt. Selbst wenn konkrete Vorschläge erst nach dem nächsten Besuch von Angela Merkel in Paris am 5. Dezember 2011 bekannt werden, hat Sarkozy einige richtungsweisende Aussagen gemacht.

Neuanfang Europas durch intergouvernementale Zusammenarbeit – alias das Europa der Nationalstaaten

Sarkozy hat mehrere Richtungsentscheidungen für die „Neubegründung Europas“ angesprochen. Erstens, die „Solidarität und (Haushalts-)disziplin“. Zweitens, „mehr politische Elemente“, wobei Sarkozy sofort erklärt, dass mit der „Neubegründung Europas“ nicht der Weg zu mehr Supranationalismus eingeschlagen wird. Das Fass alter Streitigkeiten zwischen den Verfechtern eines Europas der Nationen und derjenigen, die ein föderales Europa anstreben, soll nicht aufgemacht werden. "Europa steht vor strategischen und politischen Grundsatzentscheidungen und daher wird die Europäische Integration über die intergouvernementale Zusammenarbeit voranschreiten“.

Der französische Staatspräsident bedient sich einer Begrifflichkeit, aus dem Repertoire seines souveränistischen Beraters Henri Guaino. Das intergouvernementale Europa sei kein Europa der Nationen... Eine Erklärung, worin dann der Unterschied zwischen einem Europa der Staaten und einem Europa der Nationen liegt, bleibt Sarkozy uns schuldig. Dieser Kunstgriff funktioniert in Frankreich allerdings, wo die meisten Kommentatoren und Politiker nicht wissen, was Föderalismus bedeuten würde. So z.B. die seriöse Tageszeitung Le Figaro, die in diesem Zusammenhang unwissend von Vorschlägen, die zu einem „intergouvernementalen Föderalismus“ führen, spricht.

Aber wer Intergouvernementalismus sagt, hat das Problem der Einstimmigkeit in der Entscheidungsfindung durch die Staaten nicht gelöst. Diese Regel, die der Souveränität jedes einzelnen Staates gerecht wird, ist die Erklärung für die Verzögerung mit der die Entscheidungen in Europa heute getroffen werden. Darauf antwortet Nicolas Sarkozy, dass „wir jetzt in der Eurozone entscheiden müssen, ohne Angst, zu mehr Entscheidungen, die mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden,“ überzugehen.

Dies wäre ein großer Fortschritt und eine gute Neuigkeit, wurden wir in letzter Zeit doch Zeugen der Unfähigkeit der verschiedenen Gipfeltreffen, mehr als einen Minimalkonsens zu erreichen. Dies steht jedoch auch für das Ziel des französischen Staatspräsidenten, das aktuelle Ungleichgewicht der Europäischen Institutionen zugunsten des Europäischen Rats zu verschärfen. Positioniert sich das Europa der Staaten gegen das Europa der Gemeinschaft?

Die große Abwesende: die Europäische Kommission

Nicolas Sarkozy sagt es klar: Frankreich und Deutschland wollen eine „wirkliche Wirtschaftsregierung. Das ist unsere Vision für die Zukunft der Eurozone und die anstehenden Reformen der Verträge“. Eine Wirtschaftsregierung beinhaltet jedoch ein Organ in dem Entscheidungen diskutiert und getroffen werden können. Dort liegt die eigentliche Strategie des Staatspräsidenten: er spricht in seiner gesamten Rede kein einziges Mal von der Europäischen Kommission.

Wir können daraus schließen, dass Frankreich und Deutschland eine Art neuen Fouchet-Plan vorschlagen werden – der berühmte Plan von General de Gaulle, um die Europäische Kommission einzuschränken und aus Europa (schon damals) eine intergouvernementale Organisation zu machen.

Ein Vertrag in diesem Sinne steht dem entgegen, was die meisten europäischen Partner zurzeit denken. Der polnische Außenminister, Radoslav Sikorski, hat in seiner Rede diese Woche in Berlin zum Beispiel erklärt, er wolle „die Europäische Kommission stärken“.

Wie kann die Europäische Kommission sich angesichts der Pläne der deutsch-französischen Achse halten? Ein französischer Brüssel-Korrespondent, Hugues Beaudoin, schrieb auf Twitter: „Ich hoffe, dass nach dieser Rede jemand in Berlaymont [Sitz der Kommission] war, um Barroso zu reanimieren“. Wir müssen hoffen, dass die Leute in der Europäischen Kommission nun endlich aufwachen.

Je mehr die europäische Exekutive sich in ihrer parteiübergreifenden Rolle zurückzieht, desto stärker isoliert sie sich mit ihrem Präsidenten, der aus der Medienszene verschwunden ist. Er bekommt sogar durch die Berichte von Herman Van Rompuy Konkurrenz, obwohl doch die meiste Berichterstattung über die Arbeit der Europäischen Institutionen grundsätzlich auf die Entscheidungen des Europäischen Rats und die Erklärung des nationalen Regierungschefs am Ende der Gipfel beschränkt ist.

Wachen die Vertreter eines „echten“ Europas endlich auf bevor es zu spät ist? Mehr als je zuvor müssen wir heute dafür kämpfen, dass die Europäische Kommission zu einer wirklichen europäischen Regierung wird, die vor den direkten Vertretern der Bürger, dem Europäischen Parlament, verantwortlich ist und damit demokratisch legitimiert ist.

Diese Menschen sollten die Rede Sarkozys im Kopf haben: „Europa braucht mehr Politik“. Das kann ganz schnell zu „Politik der Staaten“ werden, wenn wir nicht aufpassen.

Besonders nach einer Rede die als Rede „über Europa“ angekündigt wurde und die erst nach 30 von 52 Minuten zu europäischen Fragen kam. Der Staatspräsident beendete seine Rede dann auch mit [dem traditionellen] „Vive la République! Vive la France!“, anstatt mit „Vive l’Europe“ – denn das Europa der Staaten ist nun einmal das Europa, das nationale Interessen vor europäische Interessen stellt.

Die ganze Rede

Anmerkungen

[1Sarkozy hatte bereits am 25. September 2008 eine Rede in Toulon gehalten, in der es u.a. um Europa und die (Euro-)Krise ging

Ihr Kommentar
  • Am 5. Dezember 2011 um 19:04, von  Niklas Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Danke für den Artikel. Ich stimme zu, dass man die Kommission stärken muss. Allerdings scheint mir Sarkozys Rede offenbar ja auch eine Reaktion auf die französische Opposition zu sein, die zunehmend gegen den Stabilitätskurs und Sarkozys Beziehung gegenüber Merkel Stellung bezieht. Eine europäische Lösung kann aber nur mit härteren Haushaltsregeln funktionieren. http://www.ftd.de/politik/europa/:euro-schuldenkrise-merkozy-droht-zu-zerfallen/60138367.html

  • Am 5. Dezember 2011 um 22:45, von  Jan Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Auch ich stimme zu, dass die Komission im föderalen Sinne gestärkt werden muss in ihrer Handlungsfähigkeit. Die gemeinsame Finanz- und Fiskalpolitik sollte natürlich von einer demokratisch legitimierten vom Parlament kontrollierten Kommission geführt werden. Aber, die aktuelle Krise braucht, so unschön das ist, jetzt schnelle Lösungen. Ich denke sogar, dass Europa sie dieses Wochenende braucht. Die für die Europäische Union viel zentralere Frage in diesem Kontext ist, ob die EU27 oder nur die Euroländer hier voranschreiten. Sollten nur die Euroländer eine gemeinsame Haushalts und Fiskalpolitik beschliessen, stellt sich doch doppelt die Frage nach der Zuständigkeit und Legimitation einer Europäischen Kommission der 27. Bräuchte man dann nicht eigentlich eine Eurokomission mit Europarlament?

    Ich denke am nächsten Wochenende werden wir dazu, so oder so, noch einiges zum diskuttieren bekommen!

  • Am 6. Dezember 2011 um 11:56, von  Aymeric L Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    @Niklas,

    Nein, die französische Opposition ist mehr für den Stabilitätskurs als Sarkozy. Hollande will einen ausgeglichenen Haushalt in 2017, ich habe nie ein solches Versprechen von Sarkozy gehört (und in der Tat hat er nie dazu beigetragen). Und Merkels letzten Steuererleichterungen auch nicht.

    Sarkozys und Merkels Vorschläge zur Vertragsänderung sind unnütz und heuchlerisch. Alles was sie wollen wurde schon von der EU-Kommission vor 1 Jahr... in einem EU-Verordnungsentwurf vorgeschlagen (sogenannter Six Pack). Damals hat Sarkozy alles gemacht, um diese Verordnung zu mildern.

    Bislang scheint mir diese ganze Debatte um die Reform der EU-Verträge ein grosser Witz zu sein. Sollte das EU-Parlament keinen demokratichen Inhalt geben, wird kein Föderalist diese Reform sinnvoll finden können. Zentralismus und Föderalismus, das ist nicht das gleiche.

  • Am 7. Dezember 2011 um 00:02, von  Niklas Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Die Vertragsänderung ist alles andere als unnütz und heucherlisch, weil der Six-Packt letztlich vertragswidrig ist. Der Art. 136 AEUV deckt bei weitem nicht die angestrebte Änderung des Art. 126 AEUV. (Deswegen letztlich undemokratisch!) Die Vertragsänderung ist eine notwendige Härtung der Regeln, die so ja schon schwer justiziabel sind.

    P:S: Na wenn das stimmt, dann ist das ja Zeichen für Hoffnung. Die deutschen Zeitungen haben etwas anderes berichtet.

    P:S:2: Was meinst du mit Zentralismus und Föderalismus sei nicht dasselbe genau? Das eine notwendige demokratische Einbindung des EPs keine Zentralisierung bedeutet?

  • Am 7. Dezember 2011 um 09:45, von  Aymeric L Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Eee... Ich habe nie gelesen dass der Six-Pack vertragswidrig ist... Bist du sicher dass du es nicht mit dem EFSF verwechselst?

    PS: Soviel ich weisse, hat die Presse dasselbe berichtet an beiden Ufern des Rheins: copy-paste von Sarko und Merkels Pressemitteilung.

    PS2: Muss ich dir den Unterschied zwischen Zentralismus und Föderalismus erklären? Ich glaube nicht :)

  • Am 7. Dezember 2011 um 09:55, von  Niklas Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Ja bin mir sicher. Das war auch nie breit in den Medien, ist aber der Grund. Die deutsche Rechtswissenschaft hat da aber darauf hingewiesen. Das umgekehrte Mehrheitsprinzip, Sanktionen im Vorverfahren genauso wie das Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichte können nicht auf den Art. 136 AEUV gedeckt werden. Denn der deckt nicht Vertragsänderungen, was die vom wären, da der Wortlaut der anderen Artikel diametral dagegen steht. Die Kommission agierte hier per Hintertür. Das mag verständlich sein, birgt aber die Gefahr, dass sobald mal jemand klagt, letztlich das Six-Pakt als ultra-vires Akt deklariert werden muss. Selbst wenn das der EuGH nicht macht, steht in deutschland dafür zumindest die Ultra-Vires Kontrolle bereit.

  • Am 7. Dezember 2011 um 12:25, von  Aymeric L Als Antwort Nicolas Sarkozy träumt von einem Europa ohne Europäische Kommission

    Ok, jetzt verstehe ich viel besser. Danke! Und los geht’s für ne kleine Vertragsänderung...

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