Deutschland träumt von einem „Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit“, wobei es auf seine Doktrin der Haushaltsdisziplin in Verbindung mit einer starken Exportwirtschaft vertraut. Mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als drei Prozent in der Bundesrepublik, während die anderen Mitgliedstaaten hinter herhängen, hält man sich für ein Modell, dem die übrigen folgen sollten.
„Der Pakt für die Wettbewerbsfähigkeit“
Der große Plan, der im Umfeld des Rates zwischen den Regierungen gezeichnet wird, sieht die Schaffung einer stärker integrierten Eurozone vor:
- Die Steuersysteme würden einander angeglichen. Ein Land wie Irland könnte keine so niedrigen Unternehmenssteuersätze mehr festlegen.
- Die Rentensysteme würden auf europäischer Ebene festgelegt, in der Form, dass alle Mitgliedstaaten die Rente mit 67 einführen müssten.
- Die Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt würde gestärkt. Die gegenseitige Anerkennung von Studienabschlüssen und Berufsausbildungen erhielte einen neuen Antrieb.
- Die Begrenzung der öffentlichen Schulden behielt eine Priorität. Massive Einschnitte wären erforderlich, um die Verwaltungen zu modernisieren und den Bankrott einiger Staaten zu verhindern.
Anders gesagt müssten sich alle Mitgliedstaaten an die Regeln anpassen, die Deutschland bereits umsetzt. Ein solcher „Pakt“ ist in Wahrheit nichts anderes als ein Mittel, um seine Ansichten den Anderen aufzuzwingen. Es handelt sich um die endgültige Umsetzung eines gemeinsamen europäischen Marktes, die als nötig erachtet wird, um gegenüber den asiatischen Mächten wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Forderungen sind bloß das Gegenstück zum dauerhaften europäischen Rettungsfonds, den Deutschland weiterhin trägt.
Wird aus dem europäischen Projekt ein Deutsches?
Neuerdings sträubt sich Deutschland nicht mehr dagegen, eine stärkere Kooperation in Aussicht zu stellen. Zuvor hatte es darauf beharrt, dass jede Entscheidung gemeinsam von allen 27 Staaten getroffen wird, also auch von den Staaten außerhalb der Eurozone, die wie Polen unter seinem direkten Einfluss stehen.
Heute sind die Diskussionen über eine mögliche Umschuldung das Eingeständnis, dass manche Staaten nicht mehr zahlungsfähig sind und man sie nicht wird retten können. Dabei hat man Griechenland im Blick, mit seinem Negativwachstum und seinem Plan zur Haushaltssanierung, der immer härter wird, ohne dass er die geringste Entspannung bringen würde. Die Bundesbank, das Parlament, der Mittelstand und die Wissenschaft sprechen sich klar gegen jeden neuen Rettungsschirm aus. In einem offenen Brief an die Bundesregierung vom 25. Februar fordern 189 bedeutende Wirtschaftswissenschaftler unverzüglich, einen Mechanismus für die Möglichkeit einer Staatsinsolvenz.
Unbewusst riskiert Deutschland, die solidesten Staaten um sich zu versammeln, während diejenigen links liegen gelassen werden, die ein anderes Modell haben, das weniger geeignet für die Globalisierung ist. Ist das europäische Projekt dabei, ein deutsches Projekt zu werden?
Die „Wettbewerbsfähigkeit“ bleibt die Patentlösung, die tief verankert ist im Bewusstsein der Politikerinnen und Politiker, die aus Mangel an Zeit und innerer Distanz auf die Grundsätze einer Wirtschaftswissenschaft zurückgreifen, die die Krise nicht vorausgesehen hat. Wurde nicht Irland als „keltischer Tiger“ immer als Musterbeispiel der Wettbewerbsfähigkeit hochgehalten? Hat man das außergewöhnliche Wirtschaftswachstum im Spanien zu Beginn der 2000er Jahre nicht stets bewundert?
Das deutsche Modell hat längst nicht nur Vorteile: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind der Normalfall geworden, die Landesbanken befinden sich in einem desaströsen Zustand und die Wirtschaft ist den Launen des Weltmarktes in hohem Maße ausgeliefert.
Der Wunsch nach einer positiven Integration
Auch wenn eine bessere Koordinierung von Fiskal- und Sozialpolitik notwendig ist, bedeutet die europäische Integration nicht einfach das Einebnen von Unterschieden. Haushaltsdisziplin ist sicherlich ein wichtiges Ziel, aber sie kann nicht der Dreh- und Angelpunkt der gesamten europäischen Politik werden. Das exportorientierte deutsche Modell funktioniert nur, wenn andere bereit sind, die angebotenen Waren zu kaufen.
Der Schwerpunkt des deutschen Außenhandels liegt innerhalb der Eurozone. In ganz Europa durch Haushaltsdisziplin die Binnennachfrage zu reduzieren – wie es die Deutschen in der Ära Schröder getan haben – würde in die Sackgasse führen oder zur Bildung eines kleinen Kerneuropas.
Man wird sich also fragen, ob die kleine Gruppe wettbewerbsfähiger Staaten den Namen „Europäische Union“ verdient und ob deren sehr harte Währung sich noch „Euro“ nennen dürfte. Lasst uns hoffen, dass man nicht versuchen wird, zum „Heiligen Reich“ zurückzukehren… Eine positive Integration der Eurozone mit einem großen Plan für die Wiederbelebung Europas ist trotzdem keine Utopie.
1. Am 22. März 2011 um 19:45, von Niklas Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
„Lasst uns hoffen, dass man nicht versuchen wird zum Heiligen Reich zurückzukommen“ Also Bitte!! Genausogut kann ich die Angst eines neuen französischen Interventionismus an die Wand malen. Nach meinen Kenntnisse sind in dem Pakt für den Euro die Vorgaben längst nicht so engmaschig auf Deutschland ausgerichtet. Das würde auch gar nicht gehen und würde ja den Wettbewerb einstampfen (und nicht entfachen wie das hier dargestellt wird!). Die Krise wurde im Übrigen auch nicht durch das deutsche Model ausgelöst. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine soziale Marktwirtschaft, bei denen präkere Arbeitsverhältnisse längst nicht die Regel sind. Die Finanzkrise wurde ja ausgelöst gerade durch Regeln, die nicht mehr eingehalten wurden und Kapitaleigner ungeheure Risiken eingehen konnten ohne dafür mit eigenen Kapital zu haften. Dies ist genau das Gegenteil von einer sozialen Marktwirtschaft und im Übrigen auch wieder der Fall bei Risikoanlegern in Griechenland! (Keine Spekulanten!) Klar muss Deutschland mehr für die Nachfrage tuen, aber das geschieht gerade auch eher automatisch. Der Kern der Eurorise liegt in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Peripherieländer!
2. Am 22. März 2011 um 21:11, von Uli Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
interessante Meinung von Pascal (unverkennbar eine französische Sicht der Dinge ;), die aber ein paar Fragen aufwirft:
– sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland wirklich ’der Normalfall’ geworden?
– steht Polen wirklich unter dem ’direkten Einfluß’ Deutschlands? und vor allem:
– funktioniert Haushaltskonsolidierung (also weniger Ausgaben auf Kosten zukünftiger Generationen) wirklich nur durch Reduzierung der Binnennachfrage oder mit Exportüberschuss?
3. Am 22. März 2011 um 21:43, von Pascal Malosse Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
Dieser Artikel wurde vor ein paar Wochen geschrieben und ist immer noch aktuell. Ich war immer ein Befürworter der deutschen EuropaPolitik. Ich mache mich aber jetzt Sorge... Ich verweise auf den Heiligen Reich, weil ich provozieren wollte. Ich meinte damit eher ein geographischer Kern um Deutschland.
„Der Kern der Eurokrise liegt in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Peripherieländer!“ Ich kann leider nicht zustimmen. Falls Sie auf französich lesen, empfhele ich die Lektüre dieser Studie von Natixis: http://cib.natixis.com/flushdoc.aspx?id=57308 Irland war doch ein Modell der Wettbewerbsfähigkeit oder?
Die Peripherieländer tuen schon viel um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wir können derzeit nicht weitere strenge Massnahmen fordern. In diesen Länder drohen schweren Unruhe und politisches Chaos. Die Lebensqualität in Griechenland und in Portugal ist schon stark gesunken.
Der Kern der Eurokrise liegt im Bankensystem und in den privaten Schulden. Da hat die deutsche Regierung viel Arbeit und Verantwortung. Z.B in den regionalen Länderbanken.
4. Am 22. März 2011 um 22:11, von Pascal Malosse Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
@Uli: Ich möchte unterstreichen dass es nicht eine französische Sicht ist! Ich bin halb Polen und in Belgien gewachsen.
=> sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland wirklich ’der Normalfall’ geworden? Es geht mehr um eine starke Steigerung. Die Tendenz ist jedoch klar.
=> steht Polen wirklich unter dem ’direkten Einfluß’ Deutschlands? Eigentlich sehr. Deutschland ist wirtschaftlich der erste Partner Polens
=> funktioniert Haushaltskonsolidierung (also weniger Ausgaben auf Kosten zukünftiger Generationen) wirklich nur durch Reduzierung der Binnennachfrage oder mit Exportüberschuss? Wir brauchen unbedingt mehr Wachstum für eine Haushaltkonsolidierung und nicht nur die Reduzierung der Binnennachfrage. Meiner Meinung nach, liegt der Kern der Krise zuerst im Bankensystem.
5. Am 22. März 2011 um 23:36, von Frank Stadelmaier Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
@ Pascal "=> steht Polen wirklich unter dem ’direkten Einfluß’ Deutschlands? Eigentlich sehr. Deutschland ist wirtschaftlich der erste Partner Polens"
Frankreich ist wirtschaftlich der erste Partner Deutschlands. Was folgere ich jetzt daraus?
Bitte Vorsicht mit solchen Aussagen in historisch nicht einfachen Beziehungen!! Wirtschaftliche und politische (Inter!)Dependenzen müssen analytisch getrennt betrachtet werden, zuallererst in Europa mit seinem Binnenmarkt. Oder ist die Wirtschaft nur der verlängerte Arm der Politik? Das wäre dann doch eine sehr „französische“ Sicht der Dinge...
6. Am 23. März 2011 um 00:21, von Christoph Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
„Der Kern der Eurokrise liegt im Bankensystem und in den privaten Schulden.“ Ja, das ist sicher einer der wesentlichen Gründe. Ich denke aber auch, dass die Spannung zwischen europäischen Wirtschaftsinteressen und politischer nationalstaatlicher Interessenpolitik und deren Abbau ein wesentlicher Faktor sein wird, ob, wann oder wie man aus der Eurokrise herauskommt. Ein ganz wesentliches Problem liegt in der freien Marktwirtschaft (d.h. das Fehlen von Zollschranken), die für den europäischen Raum derzeit kontraproduktiv ist, denn da alle in Konkurrenz zueinander stehen, wird jeder weiterhin vor allem seine eigenen Interessen schützen. Statt also den Griechen und Iren durch technologischen Wissenstransfer zu einem Produktivitätsanstieg zu verhelfen, werden Staaten wie Deutschland und Frankreich weiterhin lieber in die heimische Wirtschaft investieren, um „Arbeitsplätze zu sichern“. Da die Produktivität der periphären EU-Mitgliedsländer so relativ gering bleibt, werden sie auf absehbare Zeit keinen Handelsüberschuss erzielen können, weil sie in freier Konkurrenz zu z.B. deutschen Produkten immer den Kürzeren ziehen werden. Die Einsparmaßnahmen, welche man jetzt allerorten fordert sind der größte Schwachsinn und ein selten dummer Schuss ins Knie, weil durch die sinkenden Lohn- und Sozialausgaben dem Bürger auf Kurz oder Lang das Geld in der Tasche ausgehen wird, welches er dann nicht mehr ausgeben kann. Und wie eben dargelegt, werden die Griechen oder Iren keine Exportüberschüsse erwirtschaften, die dieses Defizit ausgleichen könnten, denn eins ist klar - wir können nicht alle überschusswirtschaften, das haut logisch nicht ganz hin!!!
Richtige Lösungen liegen fernab der derzeitig diskutierten. Umverteilung von Kapital und Know how sind in meinen Augen zwei unerlässliche Maßnahmen, wenn man alle Staaten in eine langfristig stabile EU integrieren will, ohne sie zum Bittsteller bei Banken und den „Kernstaaten“ verkommen zu lassen. Eine wäre die Einführung von Schutzzöllen, damit die geschädigten Länder die Möglichkeit haben, ihre heimische Wirtschaft zu schützen und durch Zolleinnahmen an der Reduzierung ihres Haushaltsdefizits zu arbeiten. Dadurch hätten diese Staaten vielleicht die Möglichkeit ihr Außenhandelsdefizit einzudämmen. Konsequenz wäre allerdings ein kontrolliertes Aussetzen der Zollunion. Eine andere wäre die konsequente und zügige Zentralisierung der politischen Gewalt, so dass das Parlament befähigt wäre, sozialen und technologischen Ausgleich zu fördern und somit allen europäischen Staaten zu einem annehmbaren Lebensstandard zu verhelfen. Das liefe auf einen radikalen Abbau der Spannungen von zentraler Zoll- und Währungspolitik gegenüber mangelnder wirtschaftspolitischer Koordination und politisch nationalstaatlicher Interessenpolitik hinaus. Der radikalste weg schließlich wäre, eine zentrale europäische Gewalt einzusetzen, die einen Teil des Geldmarktes kontrolliert; mit anderen Worten: die Teilverstaatlichung der Banken, um die technologische und soziale Entwicklung der rückständischen europäischen Länder durch zinslose Kredite ausgleichen zu können. Sicher, die Maßnahmen sind durch die Bank schmerzhaft, aber ich bin mir sicher, dass sie eine echte Besserung der Lage sehr viel wirkungsvoller erreichen könnten, als ein Rettungsschirm oder krude Sparmaßnahmen, die nichts anderes zur Folge haben, als in wirtschaftsschwachen Ländern breite Gesellschaftsschichten verarmen zu lassen und selbige Länder in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale zu drängen, aus der sie sich aus eigener Kraft kaum mehr befreien können. Historische Anwendungsbeispiele liefert uns hier der IWF - welcher oft sehr ähnliche Mittel angewendet hat - in Hülle und Fülle.
Der europäische Gedanke ist zu wichtig, um ihn den gierigen Hälsen einiger Spekulanten opfern zu sollen und die Gefahr, dass das europäische System kollabiert, halte ich für nicht gerade gering. Man muss sich jedoch klar sein, dass - sollte die EU erst einmal gescheitert sein und gerade die osteuropäischen Staaten wirtschaftlich ruiniert aus solch einem Desaster hervorgehen - der europäische Gedanke auf absehbare Zeit unerreichbar würde.
7. Am 23. März 2011 um 08:13, von Pascal Malosse Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
@ Frank: Ich meinte nur: Deutschland wollte lieber Polen in den Diskussionen einbeziehen, weil sie witschaftlich eng miteinander verbunden sind. Nichts anderes. Vielleicht ist das Wort „Einfluss“ geprägt mit historischen Erinnerungen. Ich habe daran nicht gadacht. Ich will aber nicht an Paranoia leiden wenn ich über Deutschland und Polen schreibe...
8. Am 23. März 2011 um 09:39, von Frank Stadelmaier Als Antwort Plant Deutschland ein Kerneuropa?
@ Pascal: bei „direkter Einfluss“ denkt man sofort an politischen Einfluss. Dass die beiden Länder umfassende, durchaus auch ungleichgewichtete Wirtschaftsbeziehungen verbinden, ist unbestritten. Ich folge Dir inhaltlich. Missverständnisse um politische Dominanzverhältnisse sollten wir aber vermeiden, da wir eben sonst ganz schnell bei den Teilungen Polens, dem Generalgouvernement und der zu vermeidenden Paranoia sind. Gerade um die Paranoia zu vermeiden, müssen wir auf rhetorische Minen achten ;)
Kommentare verfolgen: |