Rio +20: Stell Dir vor, es ist Gipfel, und keiner sieht hin!

, von  Marian Schreier

Rio +20: Stell Dir vor, es ist Gipfel, und keiner sieht hin!
In einem Monat trifft sich die Welt in Rio Bestimmte Rechte vorbehalten von Ricardo Scholz

2012 ist das Jahr der Nachhaltigkeit. Zumindest sollte es dies sein. Denn: es stehen gleich mehrere Jubiläen an. Vor 40 Jahren betrat das Thema „Umwelt“ mit der „United Nations Conference on the Human Environment“ in Stockholm die Bühne der internationalen Politik. Auch das daraus hervorgegangene Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) feiert seinen vierzigsten Geburtstag. Das Konzept „nachhaltige Entwicklung“ wird 25 und schließlich komplettiert das zwanzigjährige Jubiläum des ersten Erdgipfels den Reigen. Ihren Höhepunkt finden die diesjährigen Jubiläen in Rio de Janeiro im Juni, wenn die Neuauflage des Erdgipfels von 1992 ansteht. Die Vereinten Nationen rechnen mit mehr als 50.000 Teilnehmern und 130 Staats- und Regierungschefs. Es wäre die größte Konferenz ihrer Geschichte. Trotzdem findet der Gipfel keine öffentliche Aufmerksamkeit, nirgends

Dabei geht es um Themen, die Europa und Deutschland – Stichwort: Energiewende – maßgeblich betreffen. Beispielsweise Vorschläge zur Synthese von Wirtschaft und Ökologie. Diese firmieren in der internationalen Debatte unter dem Schlagwort „Green economy“. Wie eine solche grüne Wirtschaft aussehen kann werden die Staats-und Regierungschefs der Welt vom 20.-22. Juni in Rio de Janeiro im Rahmen der „United Nations Conference on Sustainable Development“ (oder kurz: Rio +20) diskutieren. Als zweites Überthema, neben der Transition zu einer grünen Wirtschaft, wurde die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens für nachhaltige Entwicklung bestimmt.

Die Geschichte der nachhaltigen Entwicklung

Die Vorgängerkonferenz fand 1992 als Reaktion auf den Brundtland-Report von 1987 ebenfalls in Rio de Janeiro statt und löste eine erste Neuorientierung der Politik aus. Konkret manifestierte sich dies auf globaler Ebene z.B. in der Klimarahmenkonvention und dem 1997 verabschiedeten Kyoto-Protokoll, aber auch national und lokal zeitigte der erste Erdgipfel Wirkung. Viele Länder verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategien, so auch Deutschland im Jahr 2002, und auch Kommunen räumten dem Thema Nachhaltigkeit im Rahmen der sogenannten lokalen Agenda 21 einen größeren Stellenwert ein.

Trotz dieses gesellschaftlichen Wandels, der das Thema Nachhaltigkeit in die Mitte der Gesellschaft spülte, Bioprodukte in Discounter brachte und Baden-Württemberg den ersten grünen Ministerpräsidenten bescherte, lief die Umsetzung der 1992 in Rio vereinbarten Ziele schleppend, wie Nachfolgekonferenzen 1997 in New York und 2002 in Johannesburg konstatierten. Ebenso ist es um die sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme bestellt. Diese sind seit 1992 nicht weniger, sondern mehr geworden. Ökonomisch sehen sich weite Teile der Welt unvorstellbar hohen Schuldenbergen gegenüber; die sozialen Problematiken, unter anderem die Jugendarbeitslosigkeit, haben sich verschärft und auch um die ökologische Dimension ist es nicht gut bestellt: so verbuchte die Internationale Energieagentur 2010 den höchsten Ausstoß an CO2, der jemals gemessen wurde.

Warum Rio+20 nicht wie 1992 ist

Doch zwei Merkmale unterscheiden Rio 1992 wesentlich von der diesjährigen Ausgabe. Zum einen ging es in Rio 1992 maßgeblich darum, dass Thema nachhaltige Entwicklung auf die Agenda zu hieven; 20 Jahr später stehen die Lösungsansätze im Fokus des Gipfels. Zum anderen bietet das Zusammenfallen multipler Krisen ökonomischer, ökologischer und sozialer Natur ein einmaliges Handlungsfenster, in welchem sich allmählich das Bewusstsein durchzusetzen scheint, dass die einzelnen Dimensionen von Nachhaltigkeit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern dass viel mehr eines ganzheitlichen Ansatzes bedarf.

Es ist deswegen mehr als überfällig, in Europa eine öffentliche Diskussion über die in Rio anstehenden Themen zu führen. Von welch fundamentaler Bedeutung die dort zu verhandelnden Fragen sind, zeigt ein Blick in eine der jüngeren Publikation des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Dort haben mehrere hundert Wissenschaftler aus aller Welt 21 Herausforderungen zusammengestellt, die, ihrer Meinung nach, das 21. Jahrhundert bestimmen werden. Drei Beispiele der Liste zeigen exemplarisch die Reichweite der diskutierten Probleme und warum es notwendig ist darüber öffentlich zu debattieren.

Drei zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Als drängendstes Thema haben die Wissenschaftler auf Platz eins die gegenwärtigen Regierungsstrukturen identifiziert, welche den Herausforderungen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft nicht mehr gewachsen sind. Dies gilt für die nationale ebenso wie die internationale Ebene. In den ersten Entwürfen für das Abschlussdokument des Gipfels in Rio finden sich interessante Lösungsvorschläge. Einer davon ist die Schaffung einer sogenannten Ombudsperson für zukünftige Generationen – eine Idee, die in Ungarn seit 2007 erfolgreich praktiziert wird.

Die grundsätzliche Aufgabe der Ombudsperson ist es dafür zu sorgen, dass Politiken dem Nachhaltigkeitsgedanken folgen und nicht die Rechte zukünftiger Generationen verletzen. Konkret umfasst dies drei Aufgaben. Erstens, können sich Bürgerinnen und Bürger an die Ombudsperson wenden, wenn sie vermuten, dass eine Politik nicht nachhaltig ist. Zweitens, tritt die Ombudsperson selbst als Fürsprecher zukünftiger Generationen auf und versucht nachhaltige Politikvorschläge zu befördern. Drittens, initiiert er oder sie Forschungsprojekte, welche sich mit den Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit beschäftigen. Auch wenn alle Instrumente ‚weicher Natur’ sind, können sie, wie das Beispiel Ungarn zeigt, erfolgreich eingesetzt werden.

Auf Platz fünf der Liste findet sich ein Thema, das noch wesentlich fundamentaler und heikler als der Spitzenreiter ist: Wie kann durch politische Entscheidung unser aller Verhalten in eine umweltfreundlichere Richtung ‚gelenkt’ werden? Inspiriert ist diese Fragestellung von der Idee des „nudging“, also dass Politik den Rahmen setzt, um Entscheidungen in die „richtige Richtung“ zu stoßen. In seiner elaboriertesten Form findet sich dieses Konzept in „Nudge“, einem gemeinsamen Buch von Cass Sunstein, amerikanischer Rechtswissenschaftler und Obama-Berater, und Richard Thaler, Ökonom. In dem Bericht des Umweltprogramms wird die veränderte öffentliche Wahrnehmung des Rauchens, von einer akzeptierten Freizeitbeschäftigung zu einer gesundheitsgefährdenden Aktivität, als idealtypisches Beispiel angeführt, wie die Politik durch Anreize und Verbote Verhaltensweisen ändern kann

Die letzte hier kurz angerissene Herausforderung – der Nexus zwischen Wissenschaft und Politik – rangiert auf Platz vier. Die Verbindung zwischen der wissenschaftlichen Community und der Politik, so der Bericht, ist inadäquat und das Vertrauen der letzteren in die erstere erschüttert. Dazu beigetragen haben, neben anderen Entwicklungen, die Ende 2009 im Vorfeld des Klimagipfels in Kopenhagen publik gewordenen Emails einiger Klimaforscher, auch bekannt als „Climategate“.

Darüber hinaus trägt auch die wachsende Fragmentierung der Wissenschaften mit Bezug zur Nachhaltigkeit dazu bei, dass es schwieriger wird, Ergebnisse klar zu kommunizieren und Politikempfehlungen zu formulieren. In diesem Zusammenhang und gerade im Vorlauf zur Konferenz in Rio wird ein Vorschlag zur Schaffung eines „Intergovernmental Panel on Sustainable Development (sciences)“ diskutiert, angelehnt an das Modell des „Intergovernmental Panel on Climate Change“. Dieser zwischenstaatliche Ausschuss würde den wissenschaftlichen Fortschritt in allen relevanten Disziplinen, von den Natur – bis zu den Sozialwissenschaften, begutachten und in Sachstandsberichten zusammenführen. Hauptaugenmerk läge dabei, neben der dringend benötigten Konsolidierung eines wissenschaftlichen Minimalkonsenses, auf der Formulierung von klaren Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträger.

Europa muss die in Rio anstehnden Fragen diskutieren

Auch knapp einen Monat vor der UN-Konferenz in Rio de Janeiro sind die dort auf der Agenda stehenden Fragen kaum Gegenstand des öffentlichen Diskurses in Europa geworden. Trotz ihrer potenziell weitreichenden Auswirkungen. Wie können im Jahr 2050 mehr als 9 Milliarden Menschen ernährt werden? Wie lassen sich das Recht auf Entwicklung und Umweltschutz vereinen? Wie kann intergenerationale Gerechtigkeit garantiert werden? Diese und viele weitere Fragen sollten diskutiert werden- jetzt!

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