Schengen-Reform: Ihr macht Europa kaputt!

Eine Abrechnung mit den Innenministern der EU Mitgliedsstaaten.

, von  Julian Scholtes

Schengen-Reform: Ihr macht Europa kaputt!
Der neue französische Innenminister Manuell Valls (PS), der Ständige Vertreter Frankreichs bei der EU Philippe Etienne, und der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei der letzten Sitzung des Rats für Justiz und Inneres am 7. Juni 2012. Photo: The Council of the European Union

Es ist immer leichter, einzureißen als aufzubauen. Man braucht schließlich nicht groß nachzudenken. An die Stelle eines zuvor noch bestehenden Konstrukts tritt das schlichte Nichts. Man braucht keine große schöpferische Kraft dafür, man muss lediglich die immer gleiche Gewalt anwenden.

Die destruktiven Kräfte haben die Oberhand

So oder so ähnlich ist es mit Europa. Es gibt Kräfte, die der Meinung sind, bei dem geringsten Problem das europäische Haus einfach Schritt für Schritt zurückbauen zu müssen. Die Euro-Krise? Einfach zurück zur D-Mark! Der Bologna-Prozess? Europa ist schuld, dass es in Deutschland nicht klappt, zurück zum Diplom! Demokratiedefizit? Einfach raus aus der EU!

Ein Teil dieser Kräfte, die am liebsten wieder den status quo ante einrichten würden, hat gerade Einzug in die politische Praxis gefunden. Denn der Beschluss der Innenminister in Europa, Grenzkontrollen im Schengenraum wieder zu ermöglichen, entspringt genau dieser Idee.

Zumindest kann ich es mir nicht anders erklären. Vielleicht liegt es auch einfach in der Natur eines Innenministers eines europäischen Staates, Europa dafür zu verabscheuen, dass es ihm ständig Kompetenzen wegnimmt. Vielleicht ist das die Quittung dafür.

Vielleicht ist es auch einfach nur die reine Boshaftigkeit, die ich schon früher im Antlitz eines Innenministers Friedrich zu erkennen vermochte. Vielleicht sind das einfach keine guten Menschen. Argumentativ spricht nämlich wirklich nichts für den Beschluss, Grenzkontrollen wieder einführen zu wollen.

Ein Mittel gegen Einwanderungsmassen?

Die offizielle Begründung für die Schengen-Reform ist jedenfalls, dass man große illegale Einwanderungswellen eindämmen möchte. Blöd, dass man diese tendenziell eher an den Außengrenzen antrifft. Nun gut, zumindest sollen sie nicht so weit nach Europa eindringen. Der gemeinsame Grenzraum soll dafür beim Auftreten großer Flüchtlingsströme außer Kraft gesetzt werden können, für maximal zwei Jahre (bisher können maximal für 30 Tage Grenzkontrollen zu besonderen Anlässen durchgeführt werden).

Die Aussagen darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass von dieser Regelung Gebrauch gemacht wird, widersprechen sich. Wenn für Boshaftigkeitsminister Friedrich diese Regelung „etwas [ist], was nur ganz am Schluss infrage kommt - als Ultima Ratio, wenn alle Stricke reißen.“, stellt sich die Frage, wieso Friedrich zuvor noch in Frankreich Wahlkampf mit seinem Vorhaben gemacht hat. Anscheinend verändere es doch nichts und sei ohnehin gar nicht so wichtig, nur für den Fall eines Falles.

Die österreichische Innenministerin hingegen scheint, wahrscheinlich mangels geographischer Kenntnisse der europäischen Außengrenzen, in den „Zuständen an der griechisch-türkischen Grenze“ einen klaren Handlungsanlass zu sehen, zeigen diese doch, „dass wir hier einen ganz klaren Handlungsmechanismus brauchen im Schengenraum“. Und sie geht noch weiter, indem sie behauptet: „Hätten wir diesen Mechanismus vorher schon gehabt, würde es vielleicht die Situation, die derzeit in Griechenland besteht, nicht geben.“

Schlagbäume sind das falsche Mittel

So weit hergeholt ist das Szenario also nicht, dass in Europa bald wieder die Schlagbäume fallen. Dabei führt es am Problem, dem Problem der nicht vorhandenen gemeinsamen Asyl- und Grenzpolitik, vollkommen vorbei. Die Schengen-Reform ist nämlich lediglich eine Manifestation der gescheiterten und jüngst für teilweise grundrechtswidrig erklärten Politik der Dublin-II-Verordnung, nach der ein Flüchtling in dem europäischen Land seinen Asylantrag stellen muss, welches er als erstes betreten hat.

Die Ungleichverteilung der Lasten auf Kosten der Länder an den südlichen Außengrenzen wird durch die Schengen-Reform nun zusätzlich verstärkt. Die Möglichkeit, dass nach Griechenland aufgrund des Flüchtlings- und Migrationsandrangs bald wieder die Grenzen geschlossen sind, wird lediglich den zentraleuropäischen Staaten den Luxus bescheren, mit der lästigen Flüchtlingsfrage noch weniger zu tun haben zu müssen. Es wird kein Problem lösen, nicht in Bezug auf die innere Sicherheit, nicht in Bezug auf die Asylpolitik. Viel eher wird es zu einer Verschlimmerung der Zustände in den Flüchtlingslagern des ohnehin gnadenlos überforderten griechischen Staates kommen. Anstatt mit FRONTEX für einen besseren Schutz der Außengrenzen zu sorgen, schottet man sich einfach von den „Problemländern“ ab.

Von einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik mit einer echten Lastenverteilung hört man hingegen nichts, denn es ist ausgerechnet der Rat der europäischen Innenminister, der sich bisher einer solchen Reform verweigert.

Nun geht die Bequemlichkeit und Abgehobenheit der zentraleuropäischen VIP-Lounge schon so weit, dass man lieber die Reisefreiheit der europäischen Bürger untergräbt, als den gemeinsamen europäischen Grenzraum, eine der offensichtlichsten und wunderbarsten Errungenschaften Europas, konsequent zu Ende zu denken und dafür auch gewisse Lasten in Kauf zu nehmen. Lieber kratzt man am europäischen Haus, als es weiterzubauen. Vielleicht ist es tatsächlich Boshaftigkeit.

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