Transferunion? Gibt es doch schon lange!

Teil eins der Serie: Die Transferunion ist nicht genug.

, von  Christoph Sebald

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [français]

Transferunion? Gibt es doch schon lange!
Europäische Fonds für regionale Entwicklung 2007-2013 nach Ziel der Förderung: Rot = Regionen mit Förderung nach Ziel „Konvergenz“ | Rosa = Regionen mit Phasing-out-Förderung (abnehmende Übergangshilfe) | Hellblau = Regionen mit Phasing-in-Förderung (abnehmende Übergangshilfe) | Blau = Regionen mit Förderung nach Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ Karte von San Jose, bestimmte Rechte vorbehalten

Die „Transferunion“, das Unwort schlechthin

Regelmäßig warnen vor allem konservative Medien vor der Transferunion. Mit eindringlichen Worten beschwören sie, dass mit „unseren Steuergeldern“ andere Länder „gerettet“ würden. Durch die Verkürzung der Transferunion auf die „europäische Schuldenunion“, wird sie rhetorisch unmöglich gemacht. Dabei meint die Transferunion in meinen Augen eigentlich jeden Transfer von Mitteln über europäische Ländergrenzen hinweg. Der gegenwärtige Populismus ist nicht nur unsachlich, sondern er manipuliert den öffentlichen Diskurs. Gerade in der Debatte um EFSF (Europäische Finanzstabilisierungs Fazilität) und ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) bemühen sich Politiker, das „Unwort“ zu vermeiden und jeden diesbezüglichen Verdacht zu dementieren.

Die Transferunion ist im öffentlichen Raum derart negativ besetzt, dass kein Politiker sie fordern wird, der sich um seine Wiederwahl Gedanken macht. Das ist unvernünftig, denn tatsächlich gibt es viele Argumente, die für eine Ausweitung der Transferunion sprechen.

Transferunion? Gibt es doch schon lange!

Bereits seit den 1960er Jahren gibt es in Europa Strukturfonds, die insbesondere seit dem Beitritt Großbritanniens und Irlands 1973 zur EWG auch zur transnationalen Unterstützung strukturschwacher Regionen verwendet werden. In der Förderperiode 2007 – 2013 umfassen Strukturfonds über 308 Mrd. Euro. Von diesem Gesamtbudget fließen 251 Mrd. Euro in Staaten und Regionen mit weniger als 75% des EU-weiten Pro-Kopf-BIP. Im Kohäsionsfonds stehen bezüglich des Ausbaus transeuropäischer Verkehrsnetze für Länder, deren Pro-Kopf-BIP unter 90% des EU Durchschnitts liegt, weitere 70 Mrd. Euro zur Verfügung. Bemerkenswert: Die regionale Förderung bildet den zweitgrößten Posten im EU Haushalt – nach den Landwirtschaftsfonds.

Die Transferunion ist also bereits Realität! Problematisch ist jedoch ihre Umsetzung. Zum einen sind die größten Geber ebenfalls Empfänger hoher Summen (v.a. bei den Landwirtschaftsfonds), was den Gedanken der Transferunion ein Stück weit konterkariert. Auch werden die Gelder in den Strukturfonds nicht immer sinnvoll investiert. Zum anderen wird generell zu viel Geld in Landwirtschaftsfonds gesteckt. Zugegeben: Wenn die EU Bauern in Spanien und Griechenland stark subventioniert, werden die Lebensmittel in der EU günstiger.

Nichtsdestotrotz sind die Kollateralschäden in- und außerhalb der EU enorm. Man sollte besser in die Bildung und Infrastruktur schwach entwickelter Staaten investieren, um deren Bürgern Zukunftsperspektiven zu erschließen, anstatt sie mit Subventionen künstlich auf den Agrar- und Tourismussektor zu fixieren. Falsche Subventionierung bindet wichtige Mittel und behindert in der Tendenz nötige Entwicklungen.

Selbst eine europäische „Schuldenunion“ ist seit einiger Zeit Realität. Mit dem Ankauf europäischer Staatsanleihen in dreistelliger Milliardenhöhe durch die Europäische Zentralbank gibt es bereits eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden. Künstliches Echauffieren ist hier höchstens populistisches Instrument, um sinnvolle Ausweitungen der Transferzahlungen aufgrund nationaler Eigeninteressen zu vereiteln. Bei nüchterner Betrachtung wird jedoch schnell klar: Die Transferunion ist Fakt und das schon lange.

Serie: Die Transferunion ist nicht genug

Den gesamten Dezember lang widmet sich Christoph Sebald jeden Freitag dem Thema Transferunion.

Ihr Kommentar
  • Am 2. Dezember 2011 um 11:19, von  simon Als Antwort Transferunion? Gibt es doch schon lange!

    „Man sollte besser in die Bildung und Infrastruktur schwach entwickelter Staaten investieren“

    10 zeilen weiter oben wusste der verfasser noch: „Im Kohäsionsfonds stehen bezüglich des Ausbaus transeuropäischer Verkehrsnetze für Länder, deren Pro-Kopf-BIP unter 90% des EU Durchschnitts liegt, weitere 70 Mrd. Euro zur Verfügung.“

    bildung ist zumindest für deutsche ein föderales gut, wie kann die EU sich da einmischen wenn man föderalismus und subsidarität auf den eigenen fahnen stehen hat?

  • Am 3. Dezember 2011 um 08:01, von  Christoph Als Antwort Transferunion? Gibt es doch schon lange!

    Hallo Simon,

    leider bin ich mir nicht ganz sicher, was du mit den zwei Zitaten eigentlich sagen willst, vielleicht kannst du da noch einmal präzisieren, dann gebe ich dir auch gerne eine passende Antwort.

    Wieso soll denn bitte die Förderung von Bildung gegen Föderalismus und Subsidiarität verstößen? Die Ausführung und Umsetzung, also die Ausgestaltung der Bildung läge doch weiterhin bei den bisher einschlägigen Verwaltungsebenen. In Deutschland wären das weiterhin die Länder (wobei man streiten kann, ob Bildung tatsächlich auf der Ebene der Länder noch sinnvoll geregelt werden kann).

  • Am 4. Dezember 2011 um 19:17, von  Aymeric L Als Antwort Transferunion? Gibt es doch schon lange!

    „wie kann die EU sich da einmischen wenn...“

    Ganz präzis weil Deutschland die EU-Verträge unterschrieben hat, die der EU eine eindeutige Kompetenz in Bildung (Titel 12) und Infrastruktur (Titel 16) zuschreiben. Also das stimmt gar nicht dass in Deutschland Bildung nur eine Kompetenz der Länder oder des Bundes ist.

    Als Franzose versuche ich folglich das Deutsche Bildungssystem zu erklären...:
     Die Länder sind zuständig für Schulen und Hochschulen,
     Der Bund für außerschulische berufliche Bildung, Weiterbildung, Ausbildungsförderung, Forschung, internationalen Austausch, und BAföG,
     Und die Union für die europäische Dimension im Bildungswesen, die Förderung der Mobilität, der Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen, Erfahrungsaustausche im Bereich Bildung, Jugendaustausche, Entwicklung der Fernlehre, berufliche Bildung. Diese Kompetenz ist nur eine ergänzende Kompetenz (= nur durch Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, Unterstützung der Mitgliedstaaten, oder Ergänzung ihrer Initiativen durchführbar).

    Hast du schon vom Erasmusprogramm gehört, Simon? ;)

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