Wen bewegt Europa? - Teil drei

, von  Christian Simon

Wen bewegt Europa? - Teil drei
In einer vierteiligen Interviewserie hat Treffpunkteuropa.de Deutsche aller politischen Richtungen gefragt, warum sie für Europa sind. Foto: © European Commission / 2007

Treffpunkteuropa.de hat bekannte Persönlichkeiten aller politischen Richtungen befragt, was ihnen an Europa liegt. Sie berichten von ihrer eigenen Sichtweise auf die EU und ihren Verbesserungsvorschlägen. Im dritten Teil unserer Interviewreihe beantwortet Stefan Gehrold unsere Fragen. Der promovierte Jurist leitet seit zwei Jahren das Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Zuvor koordinierte er unter anderem die Stiftungsarbeit in der Tschechischen Republik und Kroatien.

Herr Dr. Gehrold, provokant gefragt: Verlust nationaler Souveränität, Zuzug in unsere Sozialsysteme, Deutschland als Zahlmeister der EU: Wie kann man als Konservativer eigentlich für Europa sein?

Wir sollten aufhören mit der Schwarzmalerei! Die europäische Idee ist ein Geschenk. Wir haben einen Staatenbund verwirklichen können, der in seiner Art und Vielfalt einzigartig ist. Nationale Souveränität ist kein Wert an sich. Davon ist noch niemand satt geworden. Der Missbrauch von Sozialsystemen ist eine europäische Herausforderung, aber auch eine innerdeutsche, hat also mit Europa allenfalls am Rande zu tun.

Der Zuwachs ausländischer Arbeitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist durchaus zu begrüßen. Das ist marktgerechte Ressourcenallokation. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel ist der Austausch qualifizierter Kräfte im Interesse aller Europäer. Gut ausgebildete Arbeitnehmer aus der ganzen Welt machen die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger und dynamischer. So gehen zwei Drittel des britischen Wachstums auf die Einwanderung zurück. Die hohe Zuwanderungsrate führt dazu, dass Großbritannien 2050 bevölkerungsstärker als Deutschland sein wird. Vielleicht sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen.

Die Vorteile der Wirtschafts- und Währungsunion sind für Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft nicht zu unterschätzen. Der europäische Markt und seine Wettbewerbsbedingungen ermöglichen es den Mitgliedsstaaten, ihre Waren unkompliziert abzusetzen. Handelsbarrieren durch Wechselkurse sind ein Relikt der Vergangenheit. Das ist Grundlage der wirtschaftlichen Stärke Europas!

Wo sehen Sie das größte Problem der Europäischen Union zurzeit?

Ohne Zweifel die Staatsschuldenkrise. Sie gefährdet die Stabilität der Währung, bedroht das Wachstum und unterminiert das Projekt der europäischen Integration als Ganzes.

Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Verschiedene Mechanismen sind auf Vorschlag der Troika, bestehend aus Kommission, EZB und IWF ins Werk gesetzt worden, wie das Europäische Semester. Sie zeigen Wirkung. Es sind also die richtigen Instrumente. Ob sie ausreichen, muss sich erst noch zeigen.

Die Schuldenkrise in Europa können und müssen wir alle gemeinsam lösen. Dafür müssen wir ein Bewusstsein für unsere einmalige Werte- und Rechtsgemeinschaft bei den Unionsbürgern schaffen. Das Ansehen der EU hat seit Beginn der Krise gelitten. Es scheint, als würde derzeit außer der Schuldenkrise, den drohenden Staatspleiten und immer höheren Krediten zur Euro-Rettung nichts anderes in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das ist eine große Herausforderung, die wir als Staatengemeinschaft meistern müssen.

In seinem Kommentar „Die zweite Wiedervereinigung“ spricht der konservative Journalist Michael Spreng von Europa als einer „Jahrhundertaufgabe der deutschen Politik“. Dennoch scheint diese die Herausforderung nicht annehmen zu wollen, im Gegenteil: Die Euroskepsis wächst. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Ich kenne den Kommentar Herrn Sprengs nicht. Völlig richtig ist, dass dies eine Jahrhundertaufgabe ist, für alle Beteiligten: Regierungen, Parlamente, nationale, regionale und europäische Institutionen. Sicher sind die integrativen Stimmen derzeit eher in der Defensive. Na und? Das fordert. Und gefordert zu werden ist nie schlecht. Die europäische Sache hat die Tagespolitik erreicht und ist nicht mehr nur eine Angelegenheit Weniger, die eine Vision haben. Immerhin beschäftigen sich jetzt deutlich mehr Menschen mit europäischen Themen als früher. Plötzlich lässt sich damit auch nationaler Wahlkampf führen. Das ist begrüßenswert. Die Bundesregierung geht in der Schuldenkrise, die zum Teil auch eine Währungskrise geworden ist, einen vernünftigen Weg. Ich teile die Auffassung nicht, dass sich die deutsche Politik der Aufgabe nicht annimmt.

Natürlich würde ich mir als überzeugter Europäer mehr Mut, den großen Wurf, wünschen. Natürlich wäre die Dienstleistungsrichtlinie in ihrer ursprünglichen Form ein großes europäisches Projekt gewesen. Natürlich missfällt mir die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Aber man muss doch auch die Bevölkerung mitnehmen können, sonst läuft das Projekt Gefahr, seine demokratische Legitimation zu verlieren. Wenn die Menschen in ihrer Mehrheit eine beschleunigte Integration nicht wünschen, kann man nur Schritt für Schritt vorgehen.

Dramatisch wäre es, wenn der Integrationsprozess so langsam verläuft, dass Europa aufgrund seiner abnehmenden wirtschaftlichen und demographischen Bedeutung in 50 Jahren auf dem Abstellgleis stünde. Schlimmer noch: Wenn die Europäer sich dann gezwungenermaßen den Spielregeln der dynamischen Regionen der Welt unterwerfen müssten und unsere Werte und Überzeugungen weggefegt würden.

Ist die mediale Berichterstattung über die EU mitverantwortlich für die Europa-Skepsis?

In Brüssel sind die Medienvertreter generell unterrepräsentiert. Zu wenige Journalisten müssen zu weite Themengebiete abstecken. Um zu bestehen, müssen die Meldungen oft reißerisch und plakativ formuliert sein. Dies spitzt sich sogar noch zu, wenn dann ein Ergebnis auf Interesse stößt. In jüngster Zeit ist die Schuldenkrise Dreh- und Angelpunkt einer Vielzahl von Berichten. Auch dies verhindert einen allumfassenden Einblick in die EU. Hinzu kommt die vorgegebene Kürze der Beiträge. Die gesamten Aufgaben und Tätigkeiten der Europäischen Union sind in einfachen und inhaltlich komprimierten Beiträgen nicht darstellbar.

Kurz: Wenn es Europaskepsis verstärkt geben sollte, dann tragen die Medien daran eine Mitschuld. Nach meinem Eindruck aber nicht weniger oder mehr als Politiker, die Wissenschaft, oder auch die Menschen selbst. Die Europa-Union und die JEF tragen daran nun wirklich keine Schuld.

treffpunkteuropa.de ist ja das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Was ist ihrer Meinung nach die Rolle unserer Generation im Kampf für ein vereintes Europa?

Sie – die junge Generation – sie sind die glücklichste seit langem. Freiheit, Frieden, Wohlstand und viele andere Dinge sind für Sie alltäglich. Ihnen obliegt die Aufgabe, die gewonnenen Freiheiten zu schützen und zu behaupten! Es ist ein wunderbares Geschenk, das die junge Generation es als so selbstverständlich nimmt, wovon die Älteren nicht zu träumen gewagt hätten. Diese Möglichkeiten müssen Sie ausleben und auch über die europäischen Grenzen hinweg als Ihre Werte behaupten. Sie sind die Zukunft und entscheiden, ob die Europäer in der Lage sind, gemeinsam die Herausforderungen zu meistern!

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