Wen bewegt Europa? - Teil zwei

, von  Christian Simon

Wen bewegt Europa? - Teil zwei
In einer vierteiligen Interviewserie hat Treffpunkteuropa.de Deutsche aller politischen Richtungen gefragt, warum sie für Europa sind. Foto: © European Commission / 2007

Treffpunkteuropa.de hat in einer vierteiligen Interviewserie Deutsche aller politischen Richtungen befragt, was ihnen an Europa liegt. Alle vier sind bekannte Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, die von ihrer eigenen Sichtweise auf Europa berichten und ihre Verbesserungsvorschläge darstellen. Im zweiten Teil der Interviewreihe beantwortete Claus Mayr unsere Fragen. Er arbeitet seit 1992 beim Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), schon damals mit einem Fokus auf europäische Umweltpolitik. Seit 2007 ist er als Direktor für Europapolitik bei NABU im Brüsseler Büro tätig. Dort pflegt er die Netzwerke zwischen den verschiedenen Sektoren des Naturschutzbunds und den europäischen Institutionen.

Herr Mayr, mal provokant gefragt: Das Europäische Handelssystem für CO2-Zertifikate (ETS) gilt bei Kritikern als wirkungslos. Nachhaltige Technologien werden eher als Problem, denn als Lösung angesehen. Viele sehen einen Rückzug der EU von ihren ökologischen Zielen im Zuge der Finanzkrise. Wie kann man als „Grüner“ eigentlich für Europa sein?

Zunächst sollten wir einmal festhalten: ETS ist ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Und neben dem Klimawandel sind der Verlust der biologischen Vielfalt und die Schädigung der Ökosysteme mit ihren Dienstleistungen für den Menschen wie sauberes Wasser und fruchtbare Böden, die Konkurrenz um Ressourcen und Lebensmittel, sowie die Armutsbekämpfung die größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Zum einen haben diese Probleme gemeinsam, dass sie eng zusammenhängen. Zum anderen ist keines dieser Probleme auf nationaler Ebene zu lösen; weder ziehende Tierarten auf dem Land, in Flüssen oder Meeren, noch Schadstoffe in Luft und Wasser oder radioaktive Strahlung kennen Grenzen. Gemeinsame Mindeststandards sind also zwingend erforderlich, auf EU-Ebene, besser noch auf gesamteuropäischer oder internationaler Ebene.

In diesen Bereichen ist die Europäische Union mit ihren Umweltaktionsprogrammen seit Anfang der 1970er Jahre und den entsprechenden Richtlinien für den Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz sehr gut aufgestellt. London würde vermutlich heute noch, wie zu „Jack the Ripper“s Zeiten, im Smog versinken, wenn nicht die Vordenker der Mitgliedstaaten der EU schon damals Luftreinhalteprogramme auf den Weg gebracht hätten.

Dennoch haben Sie natürlich Recht, momentan werden diese Errungenschaften angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise oft vernachlässigt, weil Nachhaltigkeit einigen Politikern wieder als Luxusgut erscheint und jeder nur noch bis zur nächsten Wahl denkt. Selbst auf EU-Ebene wird derzeit zu oft nur an kurzfristige nationale Interessen gedacht. Eine starke EU-Umweltpolitik mit nachhaltig denkenden Politikern insbesondere im Europäischen Parlament ist daher wichtiger denn je – das muss auch die Meßlatte für die Europawahlen im Mai 2014 sein!

Manch einer würde sagen: „Wenn Europa weniger CO2 produziert, produzieren China und die USA halt mehr“. Ist die EU überhaupt die geeignete Ebene für effektive Umweltpolitik?

Die EU war bisher immer ein Vorreiter im Klimaschutz, und sollte es – nach den Rückschlägen ab Kopenhagen – auch wieder werden. Schließlich haben wir in den letzten einhundert Jahren viel „verbrannte Erde“ hinterlassen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Das gilt auch für das Beispiel ETS. Ich bin kein ETS-Experte. Aber soweit ich informiert bin, zählt es nach Auffassung aller führenden Experten auf internationaler, EU und nationaler Ebene zu den bisher besten Instrumenten, um die dringend erforderliche globale Senkung der CO2-Emissionen zu erreichen. Es ist daher erfreulich, dass das Europäische Parlament inzwischen sein Votum von Mitte April korrigiert hat, als die bekannten „Klimaskeptiker“ eine knappe Mehrheit gegen die notwendige Reform organisiert hatten.

Neben der EU, die hier Schrittmacher war, gibt es inzwischen in fast allen führenden Wirtschaftsnationen wie den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Südkorea, Norwegen und der Schweiz Emissionshandelssysteme, oder sie sollen in Kürze eingeführt werden. Selbst China hat vor kurzem in einigen Großstädten und Provinzen solche Systeme eingeführt. Eine Harmonisierung wäre der bessere Weg als rein nationale Modelle, wie sie bisher Japan vorzieht, und auch dabei könnte und sollte die EU wieder Vorreiter sein!

Anlässlich der Hälfte der Amtszeit der Kommission Barroso II haben Europas führende Umweltverbände vor etwa einem Jahr in einem Bericht scharfe Kritik an der Umweltpolitik der EU geübt. Hat sich seitdem etwas getan?

Es stimmt, BirdLife International und die anderen „Green Ten“ haben insbesondere die wenig ambitionierte Arbeit der EU-Kommission gerügt, aber sie spiegelt natürlich auch den Druck aus Mitgliedstaaten und Parlament wider.

Wie schon erwähnt, beobachten wir nach wie vor sehr deutlich, dass die großen Ziele der „Europa 2020“-Strategie eines nachhaltigen und intelligenten Wachstums derzeit oft kurzfristigem Aktionismus geopfert werden. Der Streit um die Schwerpunkte des neuen EU-Haushaltes 2014 bis 2020 war und ist ein gutes Beispiel, bei dem insbesondere der Rat eine enttäuschende Rolle einnahm: Da wurde viel beim Naturschutz gekürzt, aber vergleichsweise wenig bei den Agrarsubventionen. Da waren die Milliarden für den Fusionsreaktor ITER unstrittig, während das Austauschprogramm für Studenten, ERASMUS, auf der Kippe stand.

Immerhin, gerade in der Agrar- und Fischereipolitik, aber auch bei der Schwerpunktsetzung hin zu erneuerbaren Energien sehen wir schon einige Fortschritte, wenn auch langsam. Hier werden sicher auch die Wahlen im September und im Mai 2014 eine Rolle spielen, da eine neue Bundesregierung, ein neues, nicht mehr ganz so konservatives EP und eine ambitioniertere Kommission die EU wieder zum Vorreiter in Sachen „nachhaltige Entwicklung“, Umwelt- und Klimaschutz machen könnten!

Was wäre für Sie der wichtigste Punkt oder das wichtigste Gesetz, der oder das am dringendsten von der EU in Angriff genommen werden müsste, um einen echten ökologischen Fortschritt zu erreichen?

Nachdem sich die EU-Staatschefs im März 2010 verpflichtet hatten, den weiteren Verlust an biologischer Vielfalt in der EU bis zum Jahr 2020 zu stoppen und auch den sogenannten „ökologischen Fußabdruck“ der EU in der Welt – denken Sie nur an den Raubbau der Meere durch die EU-Fangflotten oder die Rodung tropischer Wälder für Bioethanol und Tierfutter für die EU - , wurde im Mai 2011 eine EU-Biodiversitätsstrategie bis 2020 verabschiedet.

Die prioritären Aktionsfelder dieser Strategie wie die bessere Umsetzung des vorhandenen Umweltrechtes, die bessere Vernetzung von Schutzgebieten durch eine „grüne Infrastruktur“, die auch der besseren Anpassung an den Klimawandel dient, sowie vor allem eine naturverträglichere Agrar-, Forst- und Fischereipolitik müssen jetzt Schritt für Schritt umgesetzt werden.

Weitere wichtige umweltpolitische Impulse, auch für den Energie- und Ressourcenbereich sowie den Bodenschutz, setzt das 7. Umweltaktionsprogramm bis 2020. Auch hier gilt: Ministerräte und EP dürfen die Vorschläge der EU-Kommission nicht abschwächen, sondern müssen sie verbessern!

treffpunkteuropa.de ist ja das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Was ist Ihrer Meinung nach die Rolle unserer Generation im Kampf für ein vereintes Europa?

Die Auswirkungen der oben dargestellten zentralen Probleme des 21. Jahrhunderts werden vor allem Ihre und nachfolgende Generationen zu spüren bekommen. Dies gilt auch und insbesondere für die Folgen der EU-Politik und die Folgen der Schwerpunktsetzung bei den EU-Milliarden: wir müssen zukünftig in Köpfe und nicht mehr in noch mehr Beton und Schweineställe investieren.

Spanien etwa ist durch seine Immobilienblase in die Krise gestürzt; mir ist schleierhaft, wieso noch mehr Betonruinen an den Küsten das Land jetzt retten und dauerhaft Arbeitsplätze schaffen sollen. Und wenn eine alternde Riege von Politikerinnen und Politikern in Brüssel, Berlin und den anderen Hauptstädten dies vergisst oder bewusst missachtet, liegt es an Ihrer Generation, die richtigen und wichtigen Themen wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte zur rücken und nachhaltige Lösungen einzufordern!

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