Das Recht auf Abtreibung und damit auch das Recht der Frau, über den eigenen Körper zu bestimmen, war immer schon hart umkämpft. Nicht nur bei den Protesten in Polen, die sich gegen das faktische Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen richten, sondern immer wieder in verschiedenen Teilen Europas wird der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen rechtlich erschwert, und das nicht nur in eher konservativ oder religiös geprägten Staaten. Zum Beispiel wurde 2019 eine Frauenärztin vor einem deutschen Gericht verurteilt, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informierte. Weltweit ist ein Schwangerschaftsabbruch in zwei Dritteln aller Länder erlaubt, wenn die Fortführung der Schwangerschaft die psychische oder körperliche Gesundheit der Mutter beeinträchtigen würde. Die EU ist im internationalen Vergleich zwar eher liberal eingestellt, jedoch stößt man beim Vergleich der Abtreibungsrechte auf einen Flickenteppich der Mitgliedsstaaten.
Abtreibung unter Bedingungen
Die meisten Länder erlauben eine Abtreibung unter bestimmten, rechtlich festgelegten Bedingungen. Dabei spielt die Dauer der Schwangerschaft, der Umstand der Zeugung, die Gesundheit und das Alter der Frau eine Rolle. Neben medizinischen Gründen entscheiden also auch Schädigungen des Fötus und teilweise auch die soziale beziehungsweise ökonomische Situation der Frau darüber, ob sie ein Kind austragen muss oder nicht. Wenn eine Frau beweisen kann, dass sie vergewaltigt wurde, kann das ebenfalls etwas an der rechtlichen Situation ändern. Neben der rechtlichen Grundlage erschwert aber auch der direkte Zugang zu durchführenden Ärzt*innen einen sicheren Schwangerschaftsabbruch – diese dürfen nach persönlichem Gewissen entscheiden, ob sie Abtreibungen durchführen wollen. In vielen Ländern ist die Zahl der durchführenden Ärzte seit Jahren rückläufig und so gibt es teilweise kaum erreichbare Praxen in der Nähe. Bei der Entscheidung für bzw. gegen eine Schwangerschaft spielt auch die Kostenübernahme für den Eingriff eine Rolle, denn oft muss die Frau selbst zahlen. Abhängig von der Art der Methode können sich die Kosten auf bis zu 570 Euro belaufen, was vor allem als junge Frau, die in der Ausbildung ist oder studiert, eine hohe finanzielle Belastung sein kann. Zum Beispiel in Deutschland sind die Frauen im Alter von 18-25 die Gruppe, die am meisten Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen. Das ist genau die Gruppe, die größtenteils mit geringem Ausbildungsgehalt, Bafög oder Minijobs leben muss und noch wenig Zeit hatte Ersparnisse anzulegen, ökonomische Gründe sind also durchaus nicht zu vernachlässigen.
Entscheidung auf Länderebene
Wenn man sich entschieden hat, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, hat man je nach Herkunftsland unterschiedlich hohe Hürden zu bewältigen. Länder mit leichtem Zugang sind z.B. Österreich, Frankreich, Belgien und fast alle skandinavischen Staaten. In Österreich sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Schwangerschaftswoche auf Wunsch der Frau, also ohne medizinischen Grund, legal. In Frankreich wiederum muss die Frau eine persönliche Notlage nachweisen. Nach einem Arztbesuch und fünftägiger Bedenkzeit ist in den Niederlanden eine Abtreibung auf Wunsch bis zur dreizehnten Schwangerschaftswoche und unter bestimmten Umständen bis zum sechsten Monat legal, die Kosten werden für alle Niederländerinnen übernommen, doch Ausländerinnen müssen den Abbruch selbst zahlen. Damit zählen die Niederlande zu den Staaten mit den liberalsten Bestimmungen. Es gibt kaum illegale Abtreibungen und die meisten Eingriffe werden in Non-Profit-Kliniken durchgeführt.
In Irland hingegen waren Abtreibungen bis 2018 fast vollständig kriminalisiert, auch nach Vergewaltigungen oder bei schweren Fehlbildungen des Fötus. Seit einer Volksabstimmung 2018 ist die rechtliche Situation ähnlich der in Deutschland, die Abtreibung in der zwölfwöchigen Frist straffrei stellt. In Portugal sind Abtreibungen bis zu zwölf Wochen legal, wenn sie folgenschwere psychische oder physische Schäden oder den Tod der Frau verhindern können. Eine Verlängerung der Frist ist möglich, wenn der Fötus bei einer Vergewaltigung entstanden ist, die sich strafrechtlich belegen lässt oder wenn das Kind mit einer schweren oder unheilbaren Krankheit geboren werden würde. Wie auch in Italien, wo fast zwei Drittel der Ärzte und Anästhesisten die Durchführung aus Gewissensgründen verweigern, gibt es kaum ausreichende Kapazitäten. Frauen müssen sich dann an private Einrichtungen wenden, was die durchführenden Hebammen und Ärzt*innen in die Illegalität zwingt.
Polen hat nach dem neu erlassenen Gesetz eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Wenn Frauen sich im legalen Rahmen bewegen wollen, müssen sie eine Schwangerschaft austragen, auch wenn das Kind möglicherweise mit schweren Behinderungen oder gar nicht lebensfähig zu Welt kommt. In Andorra wird eine Frau mit Freiheitsstrafe bestraft, wenn sie einer Abtreibung zustimmt bzw. sie durchführen lässt. Auch auf Malta ist eine Abtreibung unter allen Umständen illegal, gleiches gilt für Nordirland.
Was soll Frau tun?
Doch was soll Frau tun, wenn sie in ihrem Heimatland keinen Zugang zu einer sicheren Abtreibung hat, sie diese also nicht legal in Anspruch nehmen kann, weil die ungewollte Schwangerschaft zu spät bemerkt wurde oder sie das Kind aus anderen Gründen nicht zur Welt bringen möchte?
Viele Polinnen reisen über die Grenzen in die EU-Nachbarländer nach Deutschland oder Tschechien, wo sichere Abtreibungen leichter zugänglich sind. Laut Berichten der taz lässt fast jede dritte deutsche Frau, die sich nicht mehr innerhalb der zwölfwöchigen Frist befindet, in niederländischen Kliniken abtreiben. Hier müssen dann nicht nur die Kosten für den Eingriff, sondern auch die für Anreise und Unterkunft bezahlt werden.
Hilfe aus dem europäischen Umland
Es gibt einige Organisationen, die Frauen, welche in Ländern mit strikten Abtreibungsgesetzen ungewollt schwanger werden, an Hilfe aus dem europäischen Umland vermitteln. Unter dem Namen „Abortion Without Borders“ vereinen sich sechs Organisationen, wie das britische „Abortion Support Network“ die Berliner Gruppe „Ciocia Basia“, die polnische Organisation „Kobiety W Sieci“ und die internationale Organisation „Women Help Women“, um Frauen in dieser Notlage zu unterstützen.
Das Abortion Support Network bietet individuelle finanzielle Unterstützung, Beratung und sogar die Organisation einer vorübergehenden Unterkunft an. Ihr Hilfsangebot richtet sich explizit an Menschen in Irland, Nordirland, Malta, Gibraltar und Polen. Sie geben an, dass meist die Menschen zu ihnen kommen, die sowieso schon zu marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen gehören – Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, finanziell Benachteiligte und Opfer von familiärer und partnerschaftlicher Gewalt. Für die Mitarbeiter*innen der Organisation ist es wichtig, dass sich niemand für einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen muss – unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Auf ihrer Internetseite finden sich E-Mails von hilfesuchenden Frauen, veröffentlicht unter Pseudonymen.
Persönliche Einblicke schockieren
„Jess“ ist eine einundzwanzigjährige Studentin aus Irland, die noch bei ihren Eltern wohnt und ihre derzeitige Beziehung als „nicht sehr stabil“ bezeichnet. Sie möchte niemandem davon erzählen, dass sie ungewollt schwanger ist, doch der Schwangerschaftsabbruch kostet dreihundert Pfund. Das entspricht in etwa ihrem Monatslohn, doch weil es nur ein Nebenjob mit unregelmäßigem Gehalt ist, ist es unsicher, ob sie dies überhaupt rechtzeitig zusammen bekommt. Zusätzlich müsste sie von ihrem Wohnort bis nach Dublin fliegen, um den Eingriff durchführen zu lassen. Alleine könnte sie diese hohe finanzielle Belastung wohl nicht stemmen.
Eine andere Mail kommt von Alicia, sie ist alleinerziehend und ihr Verhütungsmittel hat versagt. Sie möchte eine ambulante Abtreibung, weil sie schon eine medikamentöse Abtreibung hinter sich hat und diese Erfahrung emotional nicht noch einmal durchhalten kann. Sie muss einen Flug zu der Klinik buchen, weil sie wegen ihres Kindes nicht lange wegbleiben kann. Auch sie kann sich sonst niemandem anvertrauen, fürchtet die Reaktion ihrer Familie und schämt sich. Was würde sie tun, wenn sie keinen Zugang zu ärztlicher Hilfe hat?
Diese Geschichten sind nur ein Einblick in die mögliche Erfahrungswelt einer – ungewollt - Schwangeren in Europa. Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch ist selten einfach, gerade weil er vielerorts immer noch gesellschaftlich stigmatisiert wird. Und schlicht und einfach auch deswegen, weil ein Schwangerschaftsabbruch, ob medikamentös oder chirurgisch, immer auch eine Belastung für Körper und Psyche ist und viele Betroffene sich in ihrem Umfeld dennoch nichts anmerken lassen dürfen, weil sie sonst mit gesellschaftlicher Ächtung, Verurteilung und sogar Gewalt rechnen müssen. Neben diesem ganzen Stress müssen diese Frauen sich nicht nur um finanzielle Unterstützung bemühen, sie bekommen in den meisten Ländern nicht einmal ausreichende öffentlich zugängliche Informationen über ihre Möglichkeiten, die Risiken des Eingriffs und erreichbare Kliniken zur Verfügung gestellt.
Frauen helfen Frauen
Da diese Art der Aufklärung in vielen Ländern staatlich eingeschränkt wird, bietet zum Beispiel Women Help Women Hotlines an, die beraten und vermitteln. Die Aktivistin Anne Pfautsch von Ciocia Basia berichtet in einem Interview der deutschen Zeitung taz, dass pro Woche circa sechs Personen ihre Unterstützung anfragen, seit Corona sogar doppelt so viele. Doch nicht nur individuelle Beratung ist gefragt, die Organisationen machen prophylaktische Öffentlichkeitsarbeit, klären auch über Empfängnisverhütung auf und stellen Netzwerke für Austausch unter Betroffenen zur Verfügung.
Laut Statistiken wurden im Jahr 2016 in europäischen Ländern zwischen 0,1 (Polen) und über 17 (Estland) Schwangerschaftsabbrüchen pro 1000 Frauen durchgeführt. Deutschland, Spanien und Rumänien sind hierbei die EU-Länder, in denen die meisten legalen Abbrüche gezählt werden. Über die Dunkelziffer lässt sich hierbei nur spekulieren. Einige Studien weisen darauf hin, dass das Verbot von Abtreibungen keineswegs dazu führt, dass weniger abgetrieben wird - es zeigen sich sogar gegenteilige Effekte. Frauen werden also fahrlässig dazu gedrängt, sich in anderen Ländern Hilfe zu suchen oder gar auf illegale und risikoreichere private Eingriffe zurückzugreifen. Die Frage, warum es vielen Europäer*innen so schwergemacht wird, steht hier nicht zu Diskussion. Doch wer könnte etwas an der prekären Situation ändern?
Und was passiert auf EU-Ebene?
Das Abtreibungsgesetz fällt nicht in den gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsbereich des EU-Parlaments, eine rechtliche Vereinheitlichung der Mitgliedsländer kann dementsprechend nicht auf der europäischen Ebene stattfinden. Dennoch hat die Diskussion über Abtreibungsrechte, vor allem auch durch die anhaltenden Massenproteste in Polen, das EU- Parlament erreicht. Ende November 2020 reichte ein Zusammenschluss verschiedener europäischer Fraktionen (u.a. Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne) einen Entschließungsantrag ein, der die europäische Kommission dazu aufruft, die Mitgliedsstaaten dabei zu unterstützen „allgemeinen Zugang zu ärztlichen Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit (…) sicherzustellen“ und daher das Recht auf Abtreibung in die nächste Gesundheitsstrategie der EU aufzunehmen. Ferner fordern sie eine finanzielle Unterstützung für Organisationen, die sichere und legale Abtreibungen durchführen. Entsprechende Leitlinien für die Mitgliedsstaaten sollten erlassen werden. Die Antragsteller*innen verweisen dabei auf die Menschenrechte, aber auch auf die sexuelle Selbstbestimmung der Frau und die Leitlinien der UNESCO zur sexuellen Aufklärung.
Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), welche sich aus Mitgliedern EU-kritischer und konservativer Parteien zusammensetzt, antwortete darauf mit der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten und verwies auf die staatliche Verfassungsmäßigkeit des polnischen Abtreibungsverbotes. Außerdem stützen sie sich auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie das Kinderrechtsabkommen der Vereinten Nationen, in dem es heißt, dass „das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt, bedarf“.
Beide Anträge befinden sich noch in der Phase der Aussprache, ob und wie es durch die Debatte Änderungen ergeben können, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass in der Frage einer einheitlichen europäischen Regelung für Schwangerschaftsabbrüche auf rechtlichem Weg derzeit wenig erreicht werden kann. Zukünftige Entwicklungen sind also sehr von Nichtregierungsorganisationen und der Arbeit ziviler Aktivist*innen abhängig. Bis dahin müssen Schwangere in Notlagen also auf die Gunst von Hilfsorganisationen hoffen oder sich auf privatem Weg Zugang zu unsichereren Methoden verschaffen, die sie möglicherweise in die Kriminalität drängen und ihre Gesundheit, im schlimmsten Fall sogar ihr Leben, gefährden.
*Der Begriff „Abtreibung“ wird in Deutschland teilweise abwertend verwendet, da lange zwischen einer illegalen „Abtreibung“ und einer legalen „Unterbrechung“ der Schwangerschaft unterschieden wurde. Die Begriffe werden heutzutage allerding synonym verwendet. In diesem Artikel werden bewusst beide Begriffe verwendet, um sich an einer weiteren negativen Konnotation nicht zu beteiligen.
*Wir sprechen in diesem Artikel von Schwangeren und von der hauptsächlich betroffenen Gruppe der Frauen. Natürlich können aber auch Menschen mit Uterus, die keine cis Frauen sind, trans Männer, non-binäre oder intersex Personen von einer ungewollten Schwangerschaft betroffen sein.
Kommentare verfolgen: |