Es ist nicht lange her, da erinnerten Porträts in Zeitungen über den ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker an politische Nachrufe. Amtsmüde sei der 59-Jährige, ausgezehrt von den Jahren als Chef der Euro-Gruppe und resigniert angesichts der Krisenentwicklungen in Europa. Dem Kontinent, den er über Jahrzehnte in wichtigen Funktionen gestaltete. Nun haben ihn die europäischen Konservativen zum gemeinsamen Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai auserkoren. Sollte die EVP erfolgreich daraus hervorgehen, wird der Luxemburger wahrscheinlich Präsident der Europäischen Kommission. Junckers Weg ist noch nicht vorbei.
Spitzname: Mr. Euro
Für Jean-Claude Juncker spricht seine große Erfahrung in der Europapolitik. Er war 18 Jahre lang Luxemburgischer Premierminister, darunter die meiste Zeit in Personalunion auch Finanzminister des Großherzogtums. Ganz wie sein Heimatland Luxemburg stand Juncker oftmals zwischen den großen Nachbarn Deutschland und Frankreich. Als luxemburgischer Finanzminister verhandelte er den Vertrag von Maastricht mit aus - Helmut Kohl und François Mitterrand hatten erbittert um Einheit und Euro gerungen. Auf dem EU-Gipfel in Dublin 1996 leistete Juncker abermals als Vermittler zwischen Berlin und Paris einen erheblichen Beitrag zur Durchsetzung des Euro-Stabilitätspaktes. Juncker war damit ein maßgeblicher Geburtshelfer der gemeinsamen europäischen Währung. Sein Spitzname: „Mr.Euro“.
Seit den Verwerfungen der Krise wird ihm ein getrübtes Verhältnis zu Angela Merkel attestiert. Vor allem das Streitthema Eurobonds entzweite die deutsche Regierungschefin und den damaligen Chef der Euro-Gruppe. Juncker kann sich eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden in Europa vorstellen, die CDU-geführte Bundesregierung lehnt diesen Gedanken kategorisch ab. Vorbei ist die Zeit der Einigkeit zwischen Merkel und Juncker, der noch im Bundestagswahlkampf 2009 in Deutschland Werbung für die Kanzlerin machte. Ein Blick auf die Rednerliste des CDU-Parteitages zur Europawahl spricht Bände: Für den europäischen Spitzenkandidaten Juncker sind zehn Minuten vorgesehen, für den nationalen Spitzenkandidaten David McAllister 15 Minuten, für Angela Merkel 90 Minuten.
Unbequemer Gegenpol in Brüssel
Jean-Claude Juncker wäre als Kommissionspräsident selbst für seine deutschen Parteifreunde ein unbequemer Gegenpol in Brüssel. Man mag dies als Schwäche deuten. Doch der Luxemburger könnte die Kommission als unabhängiger Kopf weiterentwickeln, wie es die EU-Verträge als ureigene Aufgabe des supranationalen Organs beschreiben:
„Die Mitglieder der Kommission werden aufgrund ihrer allgemeinen Befähigung und ihres Einsatzes für Europa unter Persönlichkeiten ausgewählt, die volle Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten. Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus.“ (Vertrag von Lissabon, Artikel 9d)
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung betont Juncker seinen Willen, die EU-Kommission umzukrempeln: „Reformistisch tätig werden“ laute der Plan, um eine „starke Kommission mit starken Kommissaren“ zu schaffen, die „auf Augenhöhe mit den Mitgliedsstaaten“ arbeiten werde. Diese Ambition gilt laut Juncker für die Auswahl der Kommissare, die Koordination der Haushaltspolitik sowie die Ernennung von zusätzlichen Kommissionsvizepräsidenten.
Als einer der Architekten der Währungsunion lastete die Euro-Krise umso schwerer auf den Schultern Junckers. Doch wer wäre besser geeignet, den eigenen Konstruktionsfehler zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten? Dazu zählen die bessere Koordinierung der Fiskalpolitik in Europa und die konsequente Überwachung des Stabilitätspaktes.
„Wer an Europa zweifelt, soll einen Soldatenfriedhof besuchen“
Für den Luxemburger spricht nicht zuletzt seine Strahlkraft als europäischer Bürger. Juncker setzte sich in seiner gesamten Laufbahn für den europäischen Einigungsprozess ein - in vier Sprachen. Wer an Europa zweifle, solle einen Soldatenfriedhof besuchen, lautet ein wiederkehrender Satz in seinen Reden. Europa sucht in dieser Wahl eine glaubwürdige Identifikationspersönlichkeit. Jean-Claude Juncker ist mit seiner Biografie als überzeugter Europäer der richtige Kandidat. Es wird voraussichtlich ein enges Rennen bis zu den Wahlen am 25. Mai. In Umfragen liegt die EVP nur noch knapp vor den Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz. Jean-Claude Juncker, dieses vermeintlich müde Urgestein der Europapolitik, scheint noch etwas vorzuhaben. In einem Zeit-Interview sagte Juncker: „Politik ist ein Seil mit tausend Fäden. Und ich habe noch nicht alle Fäden aneinandergeknüpft.“
Was spricht gegen Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident? Auf OneEurope könnt ihr eine andere Meinung über den konservativen Spitzenkandidaten auf Englisch lesen.
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