Die deutsche Angst vorm Streiken
Streikrepublik Deutschland im Mai 2015: Die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und die Arbeitskämpfe der bei Dienstleistungsgewerkschaft ver.di organisierten Erzieher kommunaler Kindertagesstätten und Postbeschäftigten dauern an. Derzeit befindet sich die Bundesrepublik in vielen Regionen in einem fortwährenden Ausnahmezustand.
Wenn dann noch die Belieferung der Geldautomaten bestreikt wird und das Bargeld knapp wird, wird deutlich: der deutsche Bürger ist nicht mehr souverän, nein, sein alltägliches Leben wird immer mehr fremdbestimmt von Gewerkschaftsfunktionären und aufmüpfigen Arbeitnehmern. So jedenfalls liest sich derzeit ein Gros der deutschen Presse, wenn auch mal weniger tendenziös formuliert. Ein Grund mehr sich mit den genauen Fakten auseinanderzusetzen und den Blick auf die Situation in unsere europäische Nachbarstaate zu wagen.
Frankreich ist Mutterland des Streiks
Das wahre „Streikland“ ist unangefochten mit im Durchschnitt 139 arbeitskampfbedingten Ausfalltagen pro 1000 Beschäftige Frankreich. Dort wurde bereits 1864 der Streik als Instrument des Arbeitskampfes legalisiert. Nachdem das Streikrecht nach dem Zweiten Weltkrieg auch Einklang in die französischen Verfassungen fand, hat Streiken bis heute eine feste Tradition in der französischen Gesellschaft. Erst im April 2015 gingen hunderttausende Menschen auf die Straßen, begleitet von zahlreichen Streiks, um gegen die Sparpolitik zu demonstrieren.
Wesentlich erstaunlicher mag jedoch eine ähnlich hohe Streikbereitschaft in einem Land sein, das zusammen mit seinen nördlichen Nachbarn schlechthin als das Vorzeigemodell des Wohlfahrtsstaates gilt. Denn auch in Dänemark wird mit 135 Tagen pro Jahr nur unwesentlich weniger als in Frankreich gestreikt. Gleiches gilt für Norwegen, wo immerhin durchschnittlich 53 Ausfalltage pro Jahr zu verzeichnen sind. Mehr gestreikt wird in Belgien mit 77 Tagen und Finnland mit 76 Tagen pro Jahr.
Durchschnittlich 16 Streiktage in Deutschland
Und derweil im „Streikland“ Deutschland? Ganze 16 Tage wurde hier zuletzt durchschnittlich gestreikt. Das momentane Streikaufkommen in der Bundesrepublik mag viele Menschen betreffen, reicht aber bei weitem noch nicht an die Realität in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten heran. Von einem „Streikland“ Deutschland kann also noch lange nicht die Rede sein.
Und ist Streiken nicht auch typisch europäisch? Nicht etwa aufgrund der reinen Zahlen, sondern aufgrund dessen, dass uns Streiken und die Bildung von Gewerkschaften überhaupt möglich sind, dass Arbeitnehmer diese Rechte innehaben, ohne um ihren Arbeitsplatz oder sogar ihr Leben fürchten zu müssen. Wir können daher stolz auf unsere europäische Streikkultur sein. Ist sie doch ein wichtiger Gradmesser für die politische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit in der EU. Umso mehr Sorgen sollte uns aber das momentane Meinungsbild zu den Streiks in Deutschland machen.
1. Am 12. Juni 2015 um 17:07, von duodecim stellae Als Antwort Arbeitskämpfe in Europa
Die EZB strebt eine Inflationsrate von nahe aber unter zwei Prozent an. Damit der Lebenstandard bei einer solchen Inflation erhalten bleibt müßten eigentlich alle Arbeitnehmer ein Gehaltsplus von fast 2% pro Jahr bekommen. Für einen Wohlstandsgewinn sind mindestens 2% pro Jahr vorausgesetzt. Um die ungleichgewichte in Euroland wieder auszugleichen bräuchten wir eigentlich 4% Lohnerhöhung in Deutschland jährlich über 10 Jahre hinweg um die Lohndumpingjahre wieder auszugleichen, mit denen wir Deutsche unseren Europäischen Partnern und uns selbst geschadet haben.
Außerdem sind Lohnerhöhungen ein geeigneteres Mittel um gegen defalationäre Tendenzen zu kämpfen, zumindest geeigneter als das aktuelle Staatsanleihenaufkaufprogramm der EZB, nur kann die EZB eben keine Löhne für die Arbeitnehmer erhöhen. Das müssen die Arbeitgeber tun. Solange wir in der breiten Fläche keine Lohnerhöhungen über zwei Prozent jährlich haben, hat jeder Streik grundsätzlich seine Existenzberechtigung.
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