Bayern: historische Schlappe für CSU und SPD

, von  Thomas Arnaldi, übersetzt von Annika Klein

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Bayern: historische Schlappe für CSU und SPD
Markus Söder, seit März 2018 Ministerpräsident Bayerns und Spitzenkandidat der CSU bei der Landtagswahl am 14. Oktober 2018 Fotoquelle: Flickr / Markus Spiske / CC BY 2.0

9,5 Millionen Bayer*innen waren am Sonntag, den 14. Oktober 2018, dazu aufgerufen, die Mitglieder des Landtages des Freistaates Bayern wiederzuwählen. Aus der Wahl, die eine Pleite für die CSU und die SPD bedeutet, gehen die Grünen und die Freien Wähler als Sieger hervor.

Zu den Landtagswahlen in Bayern veröffentlichen wir heute sowohl eine bayrische als auch eine französische Perspektive: Neben dieser Einordnung der JEF Frankreich könnte ihr außerdem eine Einordnung der JEF Bayern lesen.

Die Wahlen in Bayern wurden mit Spannung erwartet, ja sogar gefürchtet. Ein Jahr nach den Bundestagswahlen im September 2017 befand sich Bayern an einem Scheideweg. Horst Seehofer, CSU-Chef und damaliger Ministerpräsident Bayerns, zog den rechten Flügel der Christdemokraten in eine neue große Koalition. Mittlerweile ist Seehofer Bundesinnenminister und zögert nicht, sich auf polemische Weise zur Einwanderung und insbesondere zur Willkommenspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu äußern. Markus Söder, der auf Seehofer nach dessen Rücktritt zugunsten seines neuen Postens in Berlin folgte, hat in den letzten Wochen und Monaten genauso wenig gezögert, seine Kampagne um Identitätsfragen herum zu gestalten. Davon zeugen seine Maßnahmen zur Stärkung der bayerischen Polizeikräfte und die Einführung von Kruzifixen in Schulen.

Ende der politischen Vormachtstellung der CSU?

Schon kurze Zeit nach der Bildung der neuen Großen Koalition auf Bundesebene fingen die Parteien an, die Wahlen in Bayern zu fürchten. Schon im September 2017 erzielte die CSU bei den Bundestagswahlen ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis, als die seit 1962 im Landtag stärkste Partei weniger als 42% der Stimmen erhielt. Und das, obwohl das deutsche Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme eigentlich nicht die Vormachtstellung einer Partei fördert, sondern vielmehr die Bildung von Koalitionen vorsieht. In Bayern jedoch dominiert die CSU die Politik mit Wahlergebnissen, die anderswo ihresgleichen suchen: Seit 1962 hat es nur eine Wahl gegeben, bei der die Partei nicht die absolute Mehrheit im Landtag erreicht hat: Lediglich 2008 musste die CSU einen Koalitionspartner finden.

Seit den schwierigen und langwierigen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene taumelt die CSU. Auf ihrer rechten Seite hat die AfD die CSU in den letzten Monaten genauestens dabei beobachtet, wie sie die Flüchtlingskrise für ihre Wahlkampagne genutzt hat und dabei immer tiefer in der Gunst der gemäßigten Wählerschaft gesunken ist. Die populistische AfD, die erst 2012 gegründet wurde, war 2013 noch nicht stark genug war, um bei den bayerischen Landtagswahlen anzutreten, und holte auch bei den Bundestagswahlen im selben Jahren nicht die benötigten 5% der Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Fünf Jahre später ist die AfD größte Oppositionsfraktion auf Bundesebene und wird mit 10,4% der Stimmen in den bayerischen Landtag einziehen.

Die AfD zieht in den bayerischen Landtag ein. (Fotoquelle: Flickr / Markus Spiske / CC BY 2.0)

Hohe Wahlbeteiligung von 72,4%

Die Beteiligung an den Wahlen, denen zweifellos politische Spannungen und die bedeutende Medienwirksamkeit Bayerns in den vergangenen Monaten zugutekamen, ist im Vergleich zu 2013 um fast 8 Prozentpunkte gestiegen, was den Eindruck einer Wahl verstärkt, die unter Hochspannung stattfand.

Obwohl die CSU ihre absolute Mehrheit verloren hat, bleibt sie mit 37,2% der Stimmen stärkste Partei des wohlhabenden Freistaates. Der Verlust von mehr als 10 Prozentpunkten (bis zu 20 Prozentpunkten in manchen Wahlkreisen) im Vergleich zu den letzten Wahlen, ein noch größerer Verlust als der bei den Bundestagswahlen 2017, führt zu einem katastrophalen Ergebnis für das Image des Freistaates, was gravierende Auswirkungen auf die Bundespolitik haben wird. Die Strategie der CSU war während des gesamten Wahlkampfes katastrophal. Der bisherige Ministerpräsident Markus Söder, der den Extremrechten die Stirn bieten und die Wähler*innen wieder einfangen wollte, die mit der AfD liebäugelten, hat es nicht geschafft, seine gemäßigten Wähler*innen bei sich zu halten, die nun zu den Grünen oder den Freien Wählern, einer konservativen Partei des rechten Parteienspektrums, abgewandert sind.

Jubel bei den Grünen

Die Grünen und die Freien Wähler sind die großen Sieger der Wahl. Die Grünen haben eines ihrer besten Ergebnisse in einem Landtag und einen historischen Erfolg in Bayern eingefahren. 17,5% der Stimmen entsprechen 38 von 205 Sitzen im Landtag, womit die Grünen zweitstärkste Kraft in Bayern sind. Außerdem haben die Grünen über die Erststimmen sechs Direktmandate erhalten, ein Rekord für eine Partei, die nicht CSU heißt. In München haben bis zu 44% der Wähler*innen ihre Stimme der Umweltpartei gegeben. Laut Spitzenkandidatin Katharina Schulze hat dieses Ergebnis Bayern „jetzt schon verändert“. Mit dem Wahlwochenende der Kammerwahl in Luxemburg, der Landtagswahl in Bayern und den Kommunalwahlen in Belgien haben die Grünen einen sehr starken Wahlerfolg auf europäischer Ebene erreicht.

Die Freien Wähler waren derweil auch schon im Landtag von 2013 mit fast 9% der Stimmen vertreten. Die direkten Konkurrenten der AfD bei den Themen Einwanderung und Euro sind in Bayern gut etabliert. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem sie in einem Landtag vertreten sind. Die Partei profitiert davon, dass man sie nicht zu den rechtsextremen zählt, und hat mit einem Gewinn von 2,6 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2013 und insgesamt 27 Sitzen im Landtag ein besseres Ergebnis erzielt als die AfD, ganz zu schweigen von den Sozialdemokraten.

Herbe Niederlage und historische Schlappe für die Sozialdemokraten

Die SPD hat weniger als 10% der Stimmen bekommen und damit ein so miserables Ergebnis eingefahren, wie die Partei es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht erlebt hat, selbst in Bayern nicht, wo ihre Ergebnisse nie besonders beachtlich gewesen sind. Als um 18 Uhr die Wahlergebnisse verkündet wurden, war den Anhänger*innen der SPD ihre Enttäuschung deutlich anzusehen. Bei der Pressekonferenz in Berlin gab SPD-Vorsitzende Andrea Nahles zu, das miserable Wahlergebnis sei auf die „schlechte Performance“ der Großen Koalition zurückzuführen. Mehr als die Hälfte der bayerischen SPD-Wähler*innen stimmten für eine andere Partei, ein herber Rückschlag für die älteste Partei Deutschlands.

Zittern war derweil bei der FDP angesagt: Den ganzen Abend mussten sie bangen, ob sie wieder in den bayerischen Landtag einziehen und somit zukünftig in einem zehnten Landtag vertreten sein würden. Mit 5,1% der Stimmen erreichen die Liberalen jedoch gerade so die Fünf-Prozent-Hürde und können 11 Abgeordnete in den Landtag schicken. Währenddessen kann die AfD nur in örtlichen Wahlkreisen richtig punkten. Insgesamt erhielt die Partei 10,2% der Stimmen, in Wahlkreisen an der Grenze zu Tschechien jedoch bis zu 17%. Nachdem sie jetzt in 15 von 16 Landesparlamenten vertreten ist, erwartet die Partei die Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober 2018, um auch noch in das letzte Landesparlament einzuziehen.

Noch ist unklar, welche Koalition zukünftig Bayern regieren wird. (Fotoquelle: Flickr / Marco Verch / CC BY 2.0)

Welche Koalition wird sich bilden?

Trotz des historischen Wahldebakels ist Markus Söder nicht zurückgetreten, sondern gedenkt noch stets, ein „bürgerliches Bündnis“ zu formen. Dabei gibt es wenig Spielraum für Koalitionsspekulationen: Es wird auf eine Koalition der CSU mit den Freien Wählern oder mit den Grünen hinauslaufen. Keine der beiden Parteien hat Koalitionsverhandlungen mit der CSU von vornherein ausgeschlossen. Während es bei den Freien Wählern und der CSU viele inhaltliche Übereinstimmungen gibt, könnten die Grünen versuchen, sich mit einer geschwächten CSU zu verbünden, um auf ihrer neuen Beliebtheitswelle zu reiten. Diese letztgenannte Koalition würde jedoch viele Fragen in Bezug auf die innere Sicherheit, die Umsiedlung von Flüchtlingen und insbesondere den Bau einer dritten Startbahn am Flughafen München aufwerfen.

Eine ebenfalls mögliche Koalition mit der SPD ist hingegen aufgrund der internen Spannungen in der Großen Koalition auf Bundesebene auszuschließen. Die von der CSU nach rechts gezogene CDU hat Schwierigkeiten, das Gleichgewicht mit der SPD aufrechtzuerhalten, die seit September 2017 immer wieder Schlappen erleidet. Die SPD steckt in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite könnte sie die Koalition verlassen und bei Neuwahlen einen historischen Tiefstand riskieren, auf der anderen Seite könnte sie in der Koalition bleiben und schwere Niederlagen erleiden in der Hoffnung, die Dinge in den kommenden Monaten irgendwie zu ändern. Andrea Nahles hat es am Sonntagabend auf den Punkt gebracht: „Das muss sich ändern.“ Doch meint sie hiermit eine Veränderung in den Köpfen der Führungskräfte oder eine radikalere Entscheidung? Die Hessen-Wahl am 28. Oktober wird zweifellos Klarheit bringen.

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