Tarinda Bak aus Frankreich: Zu spät gehandelt
Im Januar und Februar kündigte die Regierung eine neue Gesundheitspolitik an und versuchte, die französische Nation zu beruhigen: Das Virus würde sie nicht befallen, hieß es. Nachdem die Regierung jedoch die ersten Auswirkungen der Krise teilnahmslos beobachtet hatte, beschloss Emmanuel Macron Maßnahmen zu ergreifen. Zunächst schloss er Schulen, Hochschulen und Universitäten. Dann kündigte er an, dass Restaurants, Cafés und Bars geschlossen werden würden. Drittens teilte er mit, dass Bürger*innen mindestens zwei Wochen lang zu Hause bleiben müssten. Wann immer sie sich draußen bewegen, müssen Sie jetzt ein Dokument mit sich führen, in dem sie angeben, warum sie ihr Haus verlassen haben. Die Polizei ist auf den Straßen und sorgt dafür, dass die Ausgangssperre eingehalten wird.
Diese energischen Schritte waren notwendig, weil die Regierung nicht früher gehandelt hatte: Die Maßnahmen kamen viel zu spät. Tatsächlich spiegelt sie die Gesundheitspolitik des Präsidenten perfekt wider. Nehmen wir das Beispiel der Lubrizol-Krise: Nachdem ein Feuer in einem Lubrizol-Werk in Rouen ausgebrochen war, waren die Menschen sehr besorgt über die Folgen der dortigen Verbrennung von Chemikalien. Ähnlich wie jetzt reagierte der Präsident, indem er dem Thema auswich und keine Maßnahmen ergriff, um weitere Gefahren zu mindern. In der Folge ist Frankreich inzwischen stark vom Corona-Virus betroffen und hat viele kranke und sogar tote Bürger*innen zu verzeichnen. Die Regierung beginnt nun, Militärkrankenhäuser und Flugzeuge zur Bewältigung der Krise einzusetzen. Im Vergleich zu anderen Ländern Europas ist Frankreich nicht der letzte Staat, der reagiert, aber eben auch nicht der erste. Die ergriffenen Maßnahmen scheinen dieselben zu sein wie in Italien - nur viel später.
Vera Dvořáková über Dänemark und Tschechien: EU gegen China
In der Tschechischen Republik, wo ich aufgewachsen bin, wurden knapp 1000 Infektionen bestätigt. Ein Todesfall wurde registriert, nur wenige Menschen haben sich von der Krankheit erholt. In Dänemark, wo ich wohne, gibt es bisher etwa 1500 bestätigte Fälle von Infektionen und 13 Todesfälle. In der vergangenen Woche haben beide Regierungen den Ausnahmezustand ausgerufen. In der Folge wurden alle Schulen geschlossen, der Großteil der industriellen Produktion wurde unterbrochen und viele kleine Unternehmen wurden geschlossen. Die Staatsgrenzen wurden bis auf wenige Ausnahmen geschlossen.
In der Tschechischen Republik darf niemand nach draußen - außer zur Arbeit und zum Einkaufen. Die Menschen müssen Masken tragen, wenn sie sich auf öffentlichen Plätzen, in Geschäften oder in öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen. In Dänemark gibt es hingegen keine Vorschriften zu Gesichtsmasken oder Ausgangssperren, solange man nicht krank ist. Der dänische Staat hat auch zwei Rettungspakete beschlossen, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer*innen und Kleinunternehmen, die in dieser Situation nicht arbeiten können, trotzdem überleben. Das steht in krassem Gegensatz zur Tschechischen Republik: Kleinunternehmer*innen, deren Unternehmen geschlossen wurden, müssen dort sogar weiterhin ihre Sozial- und Krankenversicherung bezahlen.
In beiden Ländern waren die Menschen anfangs skeptisch und nannten das Virus „nur eine schlimmere Art von Grippe“. In der Tschechischen Republik kritisieren die Menschen die Regierung und den Premierminister und behaupten, die Maßnahmen seien chaotisch, unorganisiert und schlecht durchgeführt worden. Trotz dieser Kritik scheinen sich die Menschen an die Regeln zu halten. Es sind auch Stimmen laut geworden, die die EU für ihre Untätigkeit kritisieren, obwohl dieser Notfall nicht in ihrer Zuständigkeit liegt. Hoffnungsvoller blicken diese Stimmen nach China, welches Hilfe versprochen hat: Von dort sollen Masken in die Tschechische Republik geliefert werden.
Marie Menke aus Deutschland: Kontaktverbot statt Ausgangssperre
Im Vergleich zu vielen Nachbarländern hat Deutschland noch keine Ausgangssperre. Was es bisher flächendeckend hat ist ein Kontaktverbot: Ansammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, sind verboten. Einige Bürger*innen fordern ein härteres und schnelleres Eingreifen und bejubeln den bayrischen Ministerpräsident Markus Söder, der in seinem Bundesland bereits am 21. März eine vorerst 14-tägige Ausgangssperre erlassen hat. Auch das Saarland und Sachsen ziehen inzwischen nach – der deutsche Föderalismus macht es möglich.
Andere spielen das Ausmaß der Krise herunter: In mehreren Städten gingen Ordnungsämter gegen sogenannte „Corona-Partys“ vor, bei denen gerade junge Leute die neu gewonnene, freie Zeit zum Feiern nutzten. Wieder andere weisen darauf hin, dass es nicht gesichert sei, ob eine Ausgangssperre tatsächlich helfe, oder argumentieren, dass gerade aufgrund des besonderen historischen Erbe Deutschlands eine Ausgangssperre ein allerletztes Mittel bleiben sollte. Im Internet kursieren zugleich Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, die das Virus als eine Art „organisierte Aktion durch Eliten“ beschreiben. Selten war mediale Desinformation so tödlich wie jetzt.
Um 21:00 hört man in vielen Straßen Menschen auf Balkonen klatschen, um sich bei den vielen Menschen in systemrelevanten Berufen, darunter Krankenpfleger*innen, Supermarktmitarbeiter*innen und mehr, zu bedanken. Was Corona damit auch in den Mittelpunkt rückt: Viele der Berufe, die jetzt als “systemrelevant” bezeichnet werden, gehören zu denen, die zum einen überdurchschnittlich oft von Frauen ergriffen werden und zum anderen oftmals schlecht bezahlt sind und wenig gesellschaftliches Ansehen genießen.
Von der „schwarzen Null“, dem Vorhaben, keine neuen Schulden zu machen, hat sich Deutschland währenddessen verabschiedet: 150 Milliarden Euro will die Regierung aufnehmen, unter anderem um unbegrenzte Kredite für Firmen und Soforthilfen für Selbstständige zu gewährleisten. Weil sie Kontakt zu einem infizierten Arzt hatte, arbeitet inzwischen auch Kanzlerin Angela Merkel aus dem Homeoffice.
Flavia Sandu aus Rumänien: Zuerst kamen Hamsterkäufe
Rumänien bestätigte seinen ersten Fall am 26. Februar, aber die Hamsterkäufe begannen bereits Tage zuvor. Ein beträchtlicher Teil der Medien trug dazu bei, weit verbreitete Panik zu erzeugen, die zu Hamsterkäufen im ganzen Land führte, bevor der erste Fall überhaupt bestätigt wurde. Etwa Mitte Februar begann die rumänische Regierung mit Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus wie dem Streichen von Flügen aus den betroffenen Regionen, dem Verbot von Versammlungen mit als 1000 Menschen und der Quarantäne von Personen, die aus Risikogebieten wie Italien einreisten.
Eine der härtesten Maßnahmen, um mit der Situation umzugehen, war ein Erlass, der die Strafen für alle, die sich nicht an die Quarantäne oder die Krankenhauseinweisung hielten, verschärfte. Sie können nun zu Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und drei Jahren verurteilt werden oder eine Geldstrafe erhalten. Wenn jemand, der*die positiv getestet wurde, dies den Behörden nicht meldet, kann er*sie mit einer Gefängnisstrafe von zwei bis sieben Jahren rechnen. Wenn jemand in Folge dessen angesteckt wird und daran stirbt, kann die Gefängnisstrafe sogar bis zu 15 Jahre betragen.
Am 14. März rief Rumänien den Notstand aus und schloss damit alle Bildungseinrichtungen. Bis zum 22. März gab es 433 bestätigte Fälle, darunter 64 Genesungen und zwei Todesfälle, so die Gruppe für strategische Kommunikation des Innenministeriums. Die Zahl der Fälle könnte jedoch bald steigen, da viele Angehörige der rumänischen Diaspora aus Ländern wie Spanien und Italien zurückkehren. Gegenwärtig ist in Rumänien keine Abriegelung in Kraft, aber es wurde eine Militärverordnung verabschiedet, die Gruppen von mehr als drei Personen auf der Straße verbietet, den Verkehr während zwischen 22:00 und 6:00 einschränkt und kommerzielle Aktivitäten mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Reinigungsdiensten aussetzt.
Madelaine Pitt über das Vereinigte Königreich
Eine Satirezeitung scherzte, dass Premierminister Boris Johnson seine Strategie zur Bekämpfung des Coronavirus täglich neu wähle, indem er jeden Morgen würfelt. Zunächst sagte die Regierung, dass sie eine „Herdenimmunität“ anstrebe, eine barbarische Strategie, die sich darauf verließe, dass genügend Menschen infiziert werden, sich erholen und anschließend nicht wieder krank werden können. Noch schlimmer war, dass Johnson in einer Talkshow argumentierte, eine weitere Strategie könnte darin bestehen, das Virus „durch die Bevölkerung fegen zu lassen“ und „es mit einem Schlag zu ertragen“. Sein Hauptberater verriet, er habe ihm gesagt, „wenn Rentner sterben, was soll’s“. Die Regierung begann erst verspätet, davon abzuraten in Bars, Clubs, Kneipen, Restaurants und Theater zu gehen - jedoch ohne deren Schließung zu erzwingen. Obwohl Schulen und nicht unbedingt notwendige Einrichtungen inzwischen geschlossen wurden, bleibt die Kommunikation der Regierung vage und verwirrend - ein Beweis dafür, wie ziellos diese ist.
In einer verspäteten, aber positiven Wende kündigte der Schatzkanzler ein Kreditpaket in Höhe von 330 Milliarden Pfund an, um Unternehmen zu unterstützen, sowie die Verpflichtung, 80 Prozent der Gehälter von Mitarbeitenden zu zahlen, die nicht aus dem Homeoffice arbeiten können. Auch wenn diese Umstellung viele Unsicherheiten gerade für Selbstständigen hinterlässt, stellt das beispiellose Aufstocken der staatlichen Unterstützung einen wesentlichen Schritt im Kampf gegen die Auswirkungen des Virus dar.
Die tragisch langsame Reaktion auf den Ausbruch hat dazu geführt, dass vielen Krankenhäusern nun eine angemessene Ausstattung fehlt. Nach einem Jahrzehnt der Sparmaßnahmen, die sich besonders auf den nationalen Gesundheitsdienst ausgewirkt haben, befürchte ich, dass die Auswirkungen des Virus in Großbritannien besonders schlimm sein werden. Das Virus könnte Johnsons Inkompetenz und Ahnungslosigkeit entlarven - das aber auf Kosten von Menschenleben.
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