Was zuvor geschah
Die 27 Verkehrsminister*innen hatten ihre gemeinsame Position zu dem Vorschlag der Kommission schon am 29. Juni 2022 im Rahmen eines Europäischen Rates zum Thema Umwelt abgestimmt. Dabei ging es um die Anpassung an das Ziel Nr. 55. Das Ziel sieht vor, dass die EU ihre Treibhausgase bis 2025 um 55 Prozent zu reduziert.
Danach hat der Rat der EU eine Verhandlungsphase mit dem Parlament eingeleitet. So schreibt es das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vor. Das Ziel war, einen gemeinsamen Kompromiss zur Verabschiedung zu finden. Das Parlament hat sich an dieses Verfahren gehalten und sich am 14. Februar 2023 dafür ausgesprochen, den Verkauf von Neuwagen mit Verbrenner-Motoren nach 2035 zu verbieten.
Alles schien im Rat der EU auf einen formalen Abschluss des Verbots hinauszulaufen. Bis Deutschland und Regierungschef Olaf Scholz alle überraschten. Tatsächlich wäre das deutsche Votum notwendig gewesen, um die qualifizierte Mehrheit zu erreichen. Andere Mitgliedsstaaten (Italien, Polen und Bulgarien) hatten bereits angekündigt sich zu enthalten.
Kompromissvorschlag E-Fuels
Inmitten eines politischen und legislativen Chaos, befand sich die Kommission mit ihrem vorgeschlagenen Text in einer Sackgasse. Ohne die qualifizierte Mehrheit könnte das gesamte Paket zurückgewiesen werden. Und Deutschland war in einer starken Position und schlug der Kommission einen Kompromiss bezüglich sogenannter „E-Fuels“ vor.
Die deutsche Bundesregierung befürwortet die Weiternutzung synthetischer Treibstoffe. Diese werden mit Strom und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden und sind verglichen mit Erdöl weniger umweltverschmutzend. Gegner*innen hingegen bewerten sie als energetisch ineffizient, teuer und auf dem Markt kaum verfügbar. Obwohl die Meinungen weit auseinander gehen, was E-Mobilität und seine Nachteile angehen, sind sich Expert*innen einig, dass sich diese Lösung für den Moment besser eignet als synthetische Treibstoffe.
Niederlage für den Klimaschutz
Um zu verhindern, dass der Text als Ganzes abgelehnt wird, hat die Kommission einen Annex über die Nutzung von E-Fuels in den Entwurf mit aufgenommen. Der Verkauf von Automobilen mit Verbrenner-Motor ist nach 2035 weiterhin erlaubt, solange diese mit synthetischen Treibstoffen betrieben werden. Das ist ein Sieg für diejenigen, die dem Verbot von Anfang an kritisch gegenüberstanden und eine Niederlage für den Klimaschutz, für die Europäische Union und für ihre Bürger*innen.
In einer Zeit, in der die EU die Dringlichkeit der Klimakrise erkannt zu haben scheint, und in ihrer Politik eine grüne Linie erkennen lässt, markiert diese Episode 2023 einen Tiefpunkt. Der Europäische Gründe Deal, der 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellt worden ist, sieht zahlreiche Ziele vor. Darunter die energetische Unabhängigkeit, die Reduktion von Treibhausgasen, nachhaltigen Verkehr, bessere Gesundheit für die Bürger*innen und eine dritte industrielle Revolution. Diese Zielsetzung hat mit dem Europäischen Klimagesetz, das 2021 in Kraft getreten ist, sogar einen gesetzlichen Rahmen gefunden. Die Mitgliedstaaten habe keine Wahl, als ihre europäische Politik danach auszurichten.
Was ist also passiert? Deutschland sieht sich international als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und im Ausbau erneuerbarer Energien. Wie konnte einer der wichtigsten Mitgliedsstaaten der EU sich hinter eine der umweltschädlichsten Praktiken unserer Gesellschaft stellen?
Automobilstandort Deutschland
Deutschland ist als Automobilindustrie bekannt – ähnlich wie Italien. Mercedes Benz, Volkswagen und Porsche sind weltweit renommierte Hersteller und blicken auf Erfolgsgeschichten. Die meisten von ihnen sind aber im Begriff sich neu zu erfinden, um das Versprechen einer neuen, Automobilindustrie einzulösen, die auf elektrischen Antrieb setzen soll. Mercedes Benz arbeitet seit Jahren an diesem Ziel und sieht sich als Vorreiter auf dem Gebiet. Bei Porsche sieht es anders aus. Seit Porsche angefangen haben in Chile zu produzieren, setzt sich das Weltunternehmen aktiv für „E-Fuels“ ein.
Deutschland argumentiert außerdem mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen. In Europa sind 12 bis 13 Millionen Beschäftigte von der Automobilindustrie abhängig. Das betrifft Hersteller, Zulieferer und Verteilstellen. Weil Elektro-Autos einfacher zu bauen sind, wird die Umstellung auf 100% E-Autos auch Arbeitsplätze kosten.
Zwischen gegensätzliche Meinungen und nationalen Interessen
Diese verschiedenen Überlegungen scheinen die Koalition von Kanzler Olaf Scholz (SPD) dazu bewegt zu haben, die Kehrtwende einzulegen. Die Bundesregierung aus Grünen, Liberalen (FDP) und Sozialdemokraten (SPD) ist Kompromisse gewöhnt.
Die Grünen setzten sich zwar dafür ein, den Verkauf von Verbrenner-Autos ab 2023 zu verbieten, aber die Liberalen sind anderer Meinung. Um die Koalition nicht platzen zu lassen, hat die Regierung sich dafür entschieden, zurückzurudern und der Kommission einen Kompromiss vorzuschlagen. Diese Aktion lässt schmunzeln, denn im deutschen Koalitionsvertrag steht eigentlich:
„Die strategische Souveränität Europas wollen wir erhöhen. Dies bedeutet in erster Linie eigene Handlungsfähigkeit im globalen Kontext herzustellen und in wichtigen strategischen Bereichen […] weniger abhängig und verwundbar zu sein“.
Eine institutionelle Finte oder europäische Gewohnheit?
Die Ablehnung eines Textes ist im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU immer möglich. Auch, wenn ein ausgeklügeltes Absprachen-System zwischen dem Rat und dem Parlament eigentlich genau das verhindern soll. Das zeigt, dass die EU trotz ihrer Intention die 27 Mitgliedsstaaten nicht allzu sehr zu drängen, weiterhin an der Idee arbeitet, gemeinsam voranzukommen.
Nichtsdestotrotz passiert es allzu oft, dass nationale Interessen gegenüber der Idee eines föderalen Europas überwiegen. Auch wenn das gemeinsame Ziel eines effektiven Klimaschutzes eine neue Einigkeit hätte hervorbringen können, so haben Deutschland, Italien, Polen und Bulgarien anders entschieden.
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