Der österreichische Sonderweg

, von  Michael Vogtmann

Der österreichische Sonderweg
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). © SPÖ Presse und Kommunikation / Flickr/ CC BY-SA 2.0-Lizenz

In der Flüchtlingskrise der Europäischen Union erlaubt sich die kleine Alpenrepublik Österreich zunehmend eine eigenständige Politik gegenüber Brüssel. Dabei entwickelt sich Wien wie zur Zeit des Kaiserreichs zu einer Art Schutzmacht für den slawischen Balkan. Das hat gravierende Auswirkungen auf EU-Schwergewichte wie Deutschland und Italien und dramatische Konsequenzen für Griechenland.

Wien steht unter Druck

Es ist durchaus fraglich ob der sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann der Hauptarchitekt des neuen politischen Kurses ist oder ob er nur Getriebener seines eigenen Koalitionspartners, der konservativen ÖVP, ist. Der junge Außenminister Sebastian Kurz, dem man größere Ambitionen nachsagt, und die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sind mindestens im selben Maße verantwortlich für die aktuelle Neupositionierung Österreichs in Sachen Flüchtlingspolitik. ÖVP und SPÖ sind aber in gleichem Maße getrieben durch die erstarkenden Rechtspopulisten, die von Umfrage zu Umfrage neue Rekordergebnisse erzielen. Laut Kurz wurden in Österreich letztes Jahr proportional gesehen doppelt so viele Asylanträge gestellt wie in Deutschland. Die Regierung fühlte sich gezwungen, umzusteuern.

Kaiserreich 2.0 ?

Faymanns Große Koalition reagiert mit dem Bau von Grenzzäunen in Kombination mit strengen Grenzkontrollen, die auch in Zurückweisungen an der Grenze münden können. Wer Österreich aber nun in einen Topf mit Ungarn werfen will, tut Werner Faymann Unrecht. Der Ansatz Österreichs ist weitaus komplexer, durchdachter und weniger radikal als Viktor Orbans schlicht auf Xenophobie basierender nationaler Alleingang. Vor allem koordiniert sich Österreich besser mit den Staaten des Balkans und setzt sich an die Spitze einer eigenen Koalition der Willigen - zum Unmut der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Kommission. Diese Koalition Österreichs mit den Balkanstaaten erinnert an vergangene Zeiten, in denen das Kaiserreich als europäische Mittelmacht den Balkan als seine Einflusssphäre sah. Dazu lud Österreich zu einem eigenen Gipfel in Wien, zu dem weder deutsche, griechische noch Vertreter der EU-Kommission eingeladen wurden.

Von B nach A

Neben der Befestigung der österreichischen Grenzen selbst, die klar gegen den Geist von Schengen verstößt, forciert Österreich einen Plan B: die Abriegelung der „Balkanroute“ an der Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland. Ursprünglich stammte der Plan vom slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar. Dafür wurden die mazedonischen Behörden durch Polizei- und sogar Militärkräfte verschiedener Westbalkanstaaten, Österreichs, Sloweniens aber auch der mittelosteuropäischen Visegard-Staaten unterstützt. Den Nationalisten in Polen und Ungarn scheint das Schicksal Griechenlands, das ironischerweise über keine Binnengrenze zu einem anderen Schengenstaat verfügt, egal zu sein. Faymanns Regierung behauptet auch weiterhin Plan A zu Verfolgen, eine gesamteuropäische Lösung mit dem Schutz der Schengenaussengrenzen am Mittelmeer, nur will man mit Plan B Druck auf Griechenland aufbauen um Plan A realistischer zu machen. Paradoxerweise könnte der Schengenraum von diesem de facto Ausschluss Griechenlands insgesamt profitieren, da die unkoordinierten Flüchtlingsbewegungen ein abruptes Ende finden könnten.

Österreichische Türsteher

Die Bundesregierung beschwert sich über den österreichischen Sonderweg. Tatsächlich könnte jedoch auch sie von dieser provisorischen Rückkehr zu Dublin, einem eigentlich diskreditierten Verfahren, profitieren. Österreich selbst lässt theoretisch nur noch 3280 Flüchtlinge täglich seine Südgrenze passieren. 80 dürfen in Österreich pro Tag um Asyl bitten, 3200 dürfen nur ins Land, wenn sie versichern nach Deutschland weiter zu reisen. Auf die Beschwerde Bundesinnenminister de Maizières über die hohe Zahl folgte aus Österreich prompt die Aufforderung, doch selbst eine Zahl zu nennen. Man könnte fast schon sagen Österreich bietet sich als Türsteher Deutschlands an. Jedenfalls wären die Kontrollen an deutschen Grenzen im Falle strenger Kontrollen an der Südgrenze Österreichs eigentlich überflüssig.

Hinzu kommt, dass Österreichs Lage mitten in den Alpen die Effektivität der Kontrollen erhöht. Die Alpen sind auf Trampelpfaden zu Fuß nur unter großen Anstrengungen zu passieren. Das Befestigen der Grenzanlagen an den Nadelöhren der Alpenpässe und -tunnel ist leichter zu bewerkstelligen als das Bewachen einer Hunderte Kilometer langen Grenze. Italien ist über die neuen Kontrollen an Stellen wie dem Brenner-Pass wenig erfreut. Es wird befürchtet, dass sich Norditalien zu einem Hotspot entwickelt, zumal der Weg über Italien wieder zur Hauptroute für Flüchtlinge werden könnte, sollte die Balkanroute tatsächlich abgeriegelt werden. Ganz zu schweigen über den Unmut der Südtiroler über die erneute Teilung Tirols.

Immer auf die Griechen

Dramatisch sind die Konsequenzen für Griechenland. Das Land, das ohnehin von einer schweren wirtschaftlichen Depression gebeutelt wird, wird nun schlagartig zu einem gigantischen Flüchtlingscamp, in dem es keine sozialen Mindeststandards für niemanden mehr gibt. Die griechische Politik weiß sich lediglich mit Verzweiflungstaten zu helfen. Der griechische Botschafter wurde aus Wien abgezogen, was in früheren Zeiten als Vorstufe zu einer Kriegserklärung galt. Außerdem droht Tsipras nun mit der Blokade sämtlicher EU-Beschlüsse, sofern die Balkanroute nicht wieder geöffnet wird. Ob die Strategie Österreichs aufgeht, die griechischen Behörden zur besseren Grenzsicherung zu zwingen, ist mehr als zweifelhaft. Der Schutz der Ägäischen Inseln ist ohne Kooperation der Türkei ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst wenn Frontex genug Personal und Mittel hätte, könnte man die Flüchtlinge nicht einfach wieder in die Türkei bringen, sollte das Land den europäischen Einsatzkräften den Eintritt in seine Gewässer verbieten.

Griechenland nach der Eurokrise erneut fallen und im Chaos versinken zu lassen, ist weder nachhaltig noch solidarisch. Ist Österreichs neuer Kurs nun gut oder böse, pragmatisch, menschenfeindlich oder human? Vielleicht ist es auch schlicht Realpolitik im Angesicht krisenhafter Zustände. Das muß jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist: Die kleine Alpenrepublik schafft unter Werner Faymann gerade Tatsachen, die die gesamte Europäische Union betreffen werden.


Veranstaltungshinweis: Das Parlamentarische Europaforum am Mittwoch, den 16. März 2016, im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin


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