Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

Kolumne „Ein Brief an Europa“

, von  Stéphanie-Fabienne Lacombe

Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

1887 erfand der polnische Arzt Ludwik L. Zamenhof die internationale Plansprache „Esperanto“, um eine einfache Kommunikationsmöglichkeit für Menschen aus aller Welt zu schaffen. Für dieses Vermächtnis erhält Zamenhof heute den „Brief an Europa“.

Lieber Ludwik L. Zamenhof,

dir ist eine Idee zu verdanken, die nicht in Vergessenheit geraten darf. Eine Idee, die viele Missverständnisse aus dem Weg räumen, den interkulturellen Austausch vereinfachen, den Grad der Verständigung erhöhen und letztendlich sogar für mehr Gleichheit sorgen würde.

Du, als Polyglott, aufgewachsen in Warschau zwischen Russisch, Yiddisch und Polnisch, begeistertest dich früh für Sprachen und Kommunikation und lerntest ergänzend noch Deutsch, Französisch, Latein und Griechisch. Doch schon in der Schule hast du erkannt, dass es auch einfacher gehen muss. 1887 erfandest du die Hilfssprache Esperanto.

Esperanto ließt sich wie ein Mix aus all den Sprachen die du beherrschtest. Viele Wörter basieren auf romanischen Wurzeln, doch auch die germanische und slavische Einflüsse sind stark. Für europäische Sprecher ist Esperanto nicht schwer zu lernen, da egal bei welcher Muttersprache einige Elemente mit dem eigenen Idiom verwandt sind. Das Erlernen von Esperanto sollte durch eine einfache Grammatik und Rechtschreibung möglichst vielen Menschen leicht fallen. Deklinationen werden durch hinzufügen von Endungen gebildet, der Wortstamm bleibt jedoch gleich. Ebenfalls regelmäßig konjugieren sich die Verben, das Auswendiglernen von Ausnahmelisten fällt demnach weg. Auch die Rechtschreibung, die auf dem lateinischen Alphabet basiert, ist einfach gehalten: es werden nur die Laute geschrieben, die auch gesprochen werden.

Auch wenn sich Esperanto (bisher) nicht als Weltsprache etablieren konnte, hat sich eine weltweite Esperanto sprechende Community gebildet. Aktuelle Schätzungen gehen von rund zwei Millionen Sprechern aus, die meisten von ihnen in Europa, Japan, China und Brasilien. Auch in Madagaskar hat sich Fanclub gebildet. Beim jährlichen Esperanto Weltkongress gaben einige hundert Familien an, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen. Das bedeutet, sogar Esperantomuttersprachler sind rund 130 Jahre nach Erfindung geboren.

Insbesondere für den Europäischen Kontinent, dessen Uneinigkeit man allzuoft der fehlenden gemeinsamen Sprache vorwirft, bietet Esperanto Potenzial. Auch wenn im Europäischen Parlament jeder seine Sprache sprechen kann und diese übersetzt wird, würde es manchmal mit einer gemeinsamen Verständigungsbasis schneller und besser gehen. Das Englische hat diese Rolle weitestgehend eingenommen, bevorzugt beim Erlernen aber eindeutig Sprecher mit germanischem Sprachhintergrund. Der Großteil der romanischen und slavischen Sprecher in Europa wird vernachlässigt. Eine Sprache, die für alle gleich schwer (oder besser: einfach!) zu lernen wäre, wäre ein Schritt für mehr Gleichberechtigung in Verhandlungen und Diskussionen. Danke Ludwig L. Zamenhof für dieses zukunftweisende Projekt. Über 200 000 Artikel sind in den letzten Jahren auf Wikipedia in Esperanto erschienen. Kann aus einem Hobbyprojekt doch noch eine europaweit gesprochene Sprache werden?

Ihr Kommentar
  • Am 29. Mai 2016 um 08:25, von  Helmut Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Ich selber bin auch einer der erwähnten Esperanto-Muttersprachler. Ich bin von meinen Eltern ganz im Geiste der Vörlkerverständigung erzogen worden. Esperanto hat mir im Leben viel Nutzen durch zahelreiche Kontakte gebracht, auch wenn man das nicht in € quantifizieren kann.

  • Am 29. Mai 2016 um 11:27, von  Ulrich Matthias Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Danke, Frau Lacombe, für diesen schönen, treffenden Artikel. Lediglich ein winziges Detail ist nicht ganz korrekt: Seit 1887 sind nicht „rund 140 Jahre“, sondern nur knapp 130 Jahre vergangen.

  • Am 29. Mai 2016 um 12:17, von  Louis v. Wunsch-Rolshoven Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Ein schöner Brief - danke sehr!

    Vielleicht noch ein paar Ergänzungen zum breiten Spektrum der Esperanto-Anwendung und der Lern-Angebote heute:
     Bei Duolingo haben in den letzten 12 Monaten über 400.000 Lerner mit dem Esperanto-Kurs begonnen; mehr als tausend am Tag. https://www.duolingo.com/course/eo/en/Learn-Esperanto-Online
     So ziemlich jede kostenlose Sprachlernseite mit zumindest 25 Sprachen hat heute auch Esperanto im Angebot; bei youtube gibt es Lernvideos. Spezialisiert auf Esperanto ist lernu.net.
     Die Zeitschrift „Le Monde Diplomatique“ kommt seit 2002 auch in Esperanto heraus, http://eo.mondediplo.com/
     Die chinesische Regierung veröffentlicht praktisch täglich Nachrichten in Esperanto, seit 2001, http://esperanto.china.org.cn/
     Die katholische Kirche hat Esperanto 1990 als liturgische Sprache anerkannt.
     Das Esperanto-PEN-Zentrum ist bei PEN International, seit zwei Jahrzehnten. Insgesamt sind bisher etwa 10.000 Esperanto-Bücher erschienen, jährlich nimmt z. B. der Buchversand des Esperanto-Weltbundes etwa 120 weitere ins Angebot auf.
     Es gibt ein Esperanto-Radio „Muzaiko“, http://muzaiko.info/ , und ein Esperanto-Fernsehen (abrufbare Sendungen), https://esperanto-tv.com/
     Mal als Beispiel zwei Playlists von Esperanto-Musik bei youtube, https://www.youtube.com/watch?v=Nw6V49hlx98&list=PLr4aASl-hp9Jxrczx0eTATw0U2gJ9XMJX und https://www.youtube.com/watch?v=4nH-j_ZEVGg&list=PL747931DF726CCBC7
     Und natürlich gibt es Esperanto auch bei Facebook (etwa 250.000 Nutzer geben Esperanto an), bei Google Translate, als Sprache für Mozilla Firefox, für Linux und viele andere Programme.

  • Am 29. Mai 2016 um 12:20, von  Louis v. Wunsch-Rolshoven Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Da Ihr Junge Europäische Föderalisten seid: Bisher unterstützt die EU-Kommission Esperanto noch nicht so besonders... :-( Es ist sogar so, dass die Kommission in ihren Broschüren über die Sprachensituation in Europa nicht einmal erwähnt, dass es auch Menschen in Europa gibt, die Esperanto sprechen, und sogar manche, für die Esperanto Muttersprache ist. Das ist etwas verblüffend, weil in Ungarn Esperanto als lebende Fremdsprache anerkannt ist. Dort ist Esperanto auch an den Hochschulen als Fremdsprachen-Nachweis zugelassen. So haben in den letzten fünfzehn Jahren in Ungarn über 35.000 Personen eine staatlich anerkannte Esperanto-Prüfung bestanden; http://www.nyak.hu/doc/statisztika.asp?strId=_43_ zeigt die Prüfungen; Google Translate kann das übersetzen. Esperanto liegt mit dem Französischen auf Platz drei bis vier in der Beliebtheit der Sprachen :-D

    Es ist auch schade, dass die EU-Kommission über Esperanto leider Dinge erzählt, die wohl eher falsch sind. Jedenfalls gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür. In einer „Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ wurde 2005 erklärt: „Das Verstehen anderer Kulturen wurzelt im Erlernen der entsprechenden Sprachen, die Ausdruck dieser Kulturen sind. Daher fördert die Kommission die Verwendung künstlicher Sprachen nicht, die per definitionem keine kulturellen Bezüge haben.“ http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52005DC0596&from=DE Dass Esperanto „keine kulturellen Bezüge“ habe, hat offensichtlich keinen Bezug zur Wirklichkeit... :)

    Der neueste Schlager der EU-Kommission in Sachen Esperanto sind Sätze wie „Hin und wieder werden Latein oder Esperanto als einzige, europaweite Sprache für die EU vorgeschlagen.“ http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-825_de.htm Wer soll das vorgeschlagen haben??? Esperanto soll nicht etwa „einzige“ Sprache sein, sondern die anderen Sprachen ergänzen. Außer der EU-Kommission glaubt auch wohl kaum einer Sätze wie: „Die Lehrerausbildung und der Sprachunterricht für fast 500 Millionen Europäerinnen und Europäer würden außerdem sehr viel Zeit und Geld kosten.“ Jeder weiß doch, dass Esperanto sehr viel schneller, also mit viel weniger Aufwand zu erlernen ist als andere Sprachen. Und die Sache käme auch ohne staatlichen Aufwand in Schwung, wenn man es nur unterstützen würde. Ungarn zahlt natürlich praktisch nichts für Esperanto-Unterricht - das lernen die Schüler selbständig oder in privaten Kursen. Der Abschluss lautet: „Mit ihrem Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit macht sich die Europäische Kommission daher für Vielfalt statt für Einförmigkeit stark.“ Bekenntnis ja, Praxis eher nein. Wenn man weiß, wie viele EU-Dokumente zunächst und teilweise auf Dauer nur auf Englisch und Französisch vorliegen, wirkt dieser Satz nicht überzeugend.

    Könntet Ihr der EU-Kommission nicht mal nahebringen, dass eine solche Kommunikation langfristig die Glaubwürdigkeit der Kommission nicht wirklich verbessern wird?

  • Am 2. Juni 2016 um 13:55, von  Stéphanie-Fabienne Lacombe Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Vielen Dank liebe Leser für diese interessanten Ergänzungen und Vorschläge! Tatsächlich ist Esperanto mit einem wachsenden Sprecherkreis ein etablierter Ausdruck von Kultur geworden, der über das Konzept einer rein künstlichen Sprache bereits hinausgeht. Dass das Erlernen einer gemeinsamen Sprache nicht das Vernachlässigen der Erstsprache bedeutet, muss wohl erst noch verstanden werden... p.s. der Rechenfehler ist nun auch korrigiert.

  • Am 21. Februar 2017 um 18:53, von  Walter Klag Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Danke für diesen Beitrag. Ich bin dafür, dass die internationale Verständigung von Englisch auf Esperanto umgestellt wird.

  • Am 11. April 2017 um 10:00, von  Steffen Eitner Als Antwort Esperanto: Der Traum einer gemeinsamen Sprache

    Ich möchte mich kurz fassen. Wem etwas an einem geeinten Europa liegt, der kommt möglicherweise zum Schluß, daß dieses Ziel ohne Esperanto kaum dauerhaft erreicht werden kann. Wer sich dafür einsetzen möchte, braucht nur nach den Worten Europa, Demokratie und Esperanto suchen und hat uns von E-D-E schon gefunden. Steffen

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