Deutsche in Polen und Pol*innen in Deutschland: ein Ringen um Identität

, von  Friederike Graupner

Deutsche in Polen und Pol*innen in Deutschland: ein Ringen um Identität
Zweisprachige Tafeln am Gemeindeamt in Cisek, Polen. Foto: Wikimedia Commons / Aotearoa / Copyright

Ab September 2022 wird es an polnischen Schulen weniger Deutschunterricht als Minderheitensprache geben, das hat das polnische Ministerium für Bildung und Wissenschaft beschlossen.

Aus Protest gegen diese Kürzung reichte der Verband deutscher Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen bei dem Europarat eine Beschwerde gegen die polnische Regierung ein, um die gleichen Rechte wie andere nationale Minderheiten im Land zu behalten.

Muttersprachlicher Deutsch-Unterricht gehört in Oberschlesien an vielen Schulen seit nun mehr als 25 Jahren zum Alltag, der dem Erhalt der nationalen, ethnischen und sprachlichen Identität von Schüler*innen dienen soll. Denn anders als im Fremdsprachenunterricht, der sich auf das Erlernen von Vokabeln und Grammatik konzentriert, kann der muttersprachliche Deutsch-Unterricht, „Deutsch als Minderheitensprache“ wie er offiziell heißt, Deutschland, Geschichte, Lieder und Traditionen auf deutsch thematisieren. Die Lehrerin Agata Makiola sagt dazu im Interview mit der tagesschau: „Wie soll man Stereotypen abbauen, wenn man nur Grammatik unterrichtet? Das geht nicht.

Der steinige Weg zur eigenen Sprache an den Schulen

Die Kürzungen der Gelder wecken negative Erinnerungen an eine Zeit vor mehr als 25 Jahren, in der die deutsche Sprache in Polen verboten war. Eine Zeit, in der die deutsche Sprache verboten war.

Die Bevölkerungswanderung zwischen Deutschland und Polen und damit sowohl die deutsche Minderheit in Polen als auch die in Deutschland lebenden Polen haben eine lange -von Flucht und Vertreibung geprägte- Geschichte.

Der traurige Höhepunkt dieser deutsch-polnischen Geschichte findet sich im Umfeld des zweiten Weltkriegs und daraus folgender Flucht, Vertreibung und Aussiedlung. Zu Beginn der 1950er stellten die in Polen lebenden Deutschen eine unverzichtbare Gruppe an Arbeitskräften dar. Dadurch endete - zumindest temporär - die durch den zweiten Weltkrieg entstandene gesetzliche Diskriminierung gegen Deutsche in Polen. Die Gruppe wurde erstmalig als Minderheit anerkannt.

Diesem kurzen Hoch des Bildes der deutschen Minderheit in Polen wurde allerdings, durch die immer stärkere Abwanderung der deutschen Minderheit nach Deutschland, der Boden entzogen, woraufhin Polen 1960 die Förderung der deutschen Kulturpolitik einstellte. Damit einher ging ein Verbot der deutschen Sprache und Kultur, was zu einem schrittweisen Verschwinden von allem Deutschen aus dem öffentlichen Leben führte.

Erst im Juni 1991 erhielt die deutsche Minderheit in Polen ihren Status als nationale Minderheit und damit auch das Anrecht auf eine Vertretung im polnischem Parlament- dem Sejm.

Als wir vor 25 Jahren angefangen haben, wir hatten keine Unterrichtsmaterialien!

Aufgrund des Verbotes der deutschen Sprache und Kultur bis 1991, sprachen viele Deutschstämmige der Nachkriegsgeneration entweder gar kein Deutsch mehr oder zumindest nicht mehr als Erstsprache.

Der Wiederaufbau ab 1991 gestaltete sich demzufolge als schwierig und wurde zu großen Teilen von der älteren Generation geprägt. Für die Etablierung des deutsch Unterrichts als Minderheitensprache bedeutete dies, so Lehrerin Agata Makiola: „Als wir vor 25 Jahren angefangen haben, wir hatten keine Unterrichtsmaterialen! Wir haben kopiert, wir haben alles ausgearbeitet.“ Hinter dem heutigen Deutschunterricht stecke sehr viel Arbeit, „Das ist superdidaktisch aufgearbeitet! Und jetzt sollen wir das, was auf drei Stunden ausgearbeitet war, auf eine Stunde verkürzen.

Wir fordern, dass die Bundesregierung die Menschenrechte zu beachten beginnt. Und wenn sie das tut, geben wir auch dieses Geld wieder her.

Als Hintergrund der Kürzungen für den muttersprachlichen Deutschunterricht wird von der polnischen Regierung die schlechte Behandlung von Pol*innen in Deutschland genannt. Während der Debatte zum neuen polnischen Haushalt und damit auch den Senkungen der Bildungssubvention um 39 Millionen 800.000 Zloty, formuliert der polnische Bildungsminister Premyslaw Czarnek dies sehr direkt: „Wir fordern, dass die Bundesregierung die Menschenrechte zu beachten beginnt. Und wenn sie das tut, geben wir auch dieses Geld wieder her.“ Konkret gehe es darum, dass die deutsche Regierung in Deutschland lebende Pol*innen schlecht behandle.

Polonia und ihre Identität in Deutschland

Im Ausland lebende Pol*innen werden Polonia genannt. Rund zwei Millionen von ihnen leben heute in Deutschland- ein Großteil von ihnen im Ruhrgebiet. Sie sind eine sehr heterogene Gruppe- eine Mischung aus Enkel*innen von Gastarbeiter*innen und Zwangsarbeiter*innen, später ergänzt durch Asylant*innen, Spätaussiedler*innen und seit Polens Beitritt zur EU im Jahr 2004 auch Pol*innen, die die dadurch entstandene Freizügigkeit nutzten.

Seit die PiS im Jahr 2015 die erste Alleinregierung stellte, ist das Thema polnische Identität in Deutschland wieder auf politischer Ebene präsent und damit auch die Forderung Pol*innen in Deutschland als offizielle Minderheit anzuerkennen. Das gab es vor dem Zweiten Weltkrieg schon einmal, wurde aber unter den Nationalsozialisten abgeschafft.

Die Wiedereinführung des Minderheitenstatus für Pol*innen in Deutschland hält Thorsten Klute, Staatssekretär für Integration im Düsseldorfer Sozialministerium, für unwahrscheinlich: „Rechtlich wird das nicht möglich sein, weil auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands keine polnischen angestammten Siedlungsgebiete da sind.

(k)eine anerkannte Minderheit: eine unlösbare Asymmetrie?

Die Deutschen in Polen sind seit den 1990er Jahren wieder als Minderheit anerkannt, die Polonia in Deutschland seit dem Nationalsozialismus nicht mehr - eine Asymmetrie, die seit langem immer wieder zu Reibungen führt.

Um diesen immer wieder kehrenden Reibungen zu begegnen, wurde im Juni 1991 der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet. Dort wurde festgelegt, dass Polen und Deutschland die jeweils vorhandene Minderheit bei ihrer Pflege von Kultur und Sprache unterstützen. Aus diesem Vertrag entsteht auch die Verpflichtung für die Bundesrepublik, „Zugang zu Sprachunterricht zu gewähren und man kann streiten, ob dies ausreichend geschieht.

Aufgrund der erneut auftretenden Relevanz des Status der Polonia in Deutschland, wurde der Vertrag 2011 noch einmal ergänzt. Um den nicht vorhandenen Minderheitenstatus für die Polonia auszugleichen, verpflichtete sich Deutschland auf Ebene von Bund und Ländern Ansprechpartner*innen für die Gruppe einzurichten.

Stimmen aus der Zivilbevölkerung

Doch nicht nur die PiS-Regierung fordert den Minderheitenstatus für die Polonia, auch die polnischen Dachverbände in Deutschland halten das Vorgehen Deutschlands für nicht ausreichend. „Wir müssen uns immer projektweise um Unterstützung bemühen, und wenn wir diesen Status der Minderheit bekämen, hätten wir diese Probleme nicht.

Rund 300.000 Euro stellt das Staatsministerium für Kultur und Medien jährlich für polnische Kultur- und Sprachprojekte zur Verfügung. Doch dieses Geld kommt nur den wenigsten Pol*innen zugute, da viele Pol*innen sich nicht über die Dachverbände organisieren.

Andreas Hübsch, Herausgeber der polnisch-sprachigen Zeitung Samo Zycie, fasst im Interview mit dem Deutschlandfunk zusammen, „die Forderung nach dem Minderheitenstatus [ist] ein Vehikel: Von der polnischen Regierung – um neues Salz in die offenen Wunden der Beziehungen zu streuen, von den Verbänden, um auf ihre finanzielle Lage aufmerksam zu machen.

Verunsicherung und Zukunftsängste

Die Kürzungen der Mittel für den muttersprachlichen Deutschunterricht werden am 01.September 2022 trotz mehrfachen Kommunikationsversuchen der deutschen Bundesregierung in Kraft treten. Doch schon jetzt seien die Auswirkungen der Kürzungen zu spüren und die Entlassung von ungefähr 500 Deutschlehrer*innen stehe bevor.

Die offiziell eingereichte Klage des Verbandes deutscher Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen bei dem Europarat und die darauf erhoffte Thematisierung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird kaum zu einer zeitnahen Lösung führen. Die Verfahrensdauer liegt hier bei durchschnittlich drei bis sechs Jahren.

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