Die Demontage des politischen Erbes von Ex-Außenminister Guido Westerwelle geschah kurz und schmerzlos in drei Akten: Der alte und neue Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verkündete nach der Jahreswende, dass sich Deutschland stärker bei der Lösung internationaler Konflikte einbringen muss. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen brachte daraufhin ein stärkeres Engagement der Bundeswehr in Afrika ins Gespräch.
Den Überbau des Mentalitätswandels leistete schließlich Bundespräsident Joachim Gauck mit einer Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Der Bundespräsident mahnte, Deutschland dürfe weder aus Prinzip nein noch reflexhaft ja zu Militäreinsätzen sagen und müsse sich „früher, entschiedener und substantieller“ in Konflikten einbringen. Es ist keine Übertreibung, von einer Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik in diesen Tagen zu sprechen.
Der Bundespräsident definiert in seiner Rede das Kerninteresse deutscher Außenpolitik: „Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung – einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden. Aus all dem leitet sich Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert ab: dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.“
Neue Herausforderungen der deutschen Außenpolitik
Der Zerfall von Staatlichkeit, Menschenrechtsverletzungen und Bürgerkriege sind aus dieser Definition heraus für die deutsche Außenpolitik nicht zu ignorieren. Daraus erwachsen Herausforderungen, die bereits heute an drei Punkten ihre Schatten vorauswerfen: Deutschland wird erstens sein Engagement in Afrika ausweiten. Verteidigungsministerin von der Leyen ließ ihrer Ankündigung eines verstärkten Beitrags im westafrikanischen Mali schnell Taten folgen. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch, dem Parlament die Aufstockung des Bundeswehrkontingents im Mali von 180 auf 250 Soldaten vorzuschlagen.
Zweitens steht die humanitäre Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft gegenüber gewalttätigen Regimen vor einer Bewährungsprobe. Joachim Gauck sagte in seiner Rede, dass Deutschland anderen die Hilfe nicht versagen könne, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden. Ein bewusster Fingerzeig auf die Fälle Syrien und Libyen, in denen sich die Bundesregierung in Enthaltung übte.
Drittens wird Deutschland aller Voraussicht nach einen stärkeren Beitrag zur internationalen Sicherheitsarchitektur leisten. Einerseits in der finanziellen und militärischen Kapazität der NATO. Andererseits in der politischen Dimension: Eine Enthaltung wie im Falle Libyens scheint nicht mehr denkbar, oder um es in den Worten von Verteidigungsministerin von der Leyen zu sagen: „Gleichgültigkeit ist keine Option.“
Internationale Verantwortung heißt Mitverantwortung
Wenn Gauck von einem Ordnungsgefüge spricht, das in einer globalisierten Welt Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden vermag, spannt sich der Bogen zur Europäischen Union. Ist die Forderung nach einer entschiedeneren Außenpolitik deshalb gleichzusetzen mit einem deutschen Führungsanspruch in Europa? Nein, denn der Gestaltungsspielraum der deutschen Außenpolitik liegt in der Kooperation mit den Bündnispartnern, nicht im Widerspruch zu ihnen. Unter dieser Annahme ist die Einbeziehung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Sicherheitskooperation mit europäischen Partnerländern elementar – sowohl in strategischer Perspektive als auch in Bezug auf Ressourcen.
Die anstehende EUFOR-Mission in der Zentralafrikanischen Republik wirft in dieser Hinsicht Fragen auf: Wo liegen Europas Interessen in Afrika? Und mit welchen Mitteln können diese Interessen umgesetzt werden? Grundsätzlich braucht es zunächst eine politische Einigung über die Zielsetzungen der außenpolitischen Maßnahmen. Der Journalist Tobias Armbrüster formulierte diesen Gedanken im Deutschlandfunk: „Vorgelagert müsste eigentlich eine politische Einigung darüber sein, welche Einsätze man will und ob man dann wirklich auch bereit ist, für diese Einsätze diese Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.“
Die Zivilmacht Europa als Anker der deutschen Außenpolitik
Hierin liegt die entscheidende Prämisse für das neue Paradigma der internationalen Verantwortung: Wenn sich die Bundesrepublik in einer globalisierten Welt voller Konflikte nicht verlieren will, braucht es in Kooperation mit den europäischen Partnern ein Leitbild seiner Außenpolitik. Das Konzept der Zivilmacht bildet diese Grundlage – womöglich heute passender denn je zuvor. Versteht sich die Bundesrepublik als von Normen und Werten geleiteter Akteur, der auf die Zivilisierung der internationalen Politik hinarbeitet, erhält der Anspruch an internationale Verantwortung ein Fundament. Aus diesem Fundament lassen sich Interessen, Strategien und Maßnahmen der Außenpolitik ableiten – für Deutschland wie für die Europäische Union. Die militärische Intervention bleibt in jedem Fall die Ultima Ratio.
Um in den Worten des Bundespräsidenten zu bleiben: Es gilt „dieses Ordnungsgefüge zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.“
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