Die EU-Frage trifft den wunden Punkt der Ideologie britischer Parteien

, von  Juuso Järviniemi, übersetzt von Alina te Vrugt

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Die EU-Frage trifft den wunden Punkt der Ideologie britischer Parteien
Da sich sowohl die Konservativen als auch die Labour Partei mit ihren Positionen zu Europa unwohl fühlen, könnte die britische EU-Politik auf eine neblige Zukunft zugehen. Fotoquelle: Sandra Ahn Mode / Unsplash / CC0 1.0

Der Brexit-Prozess zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ständig innerhalb der britischen Regierung verhandelt wurde, aber nicht mit den anderen 27 EU-Mitgliedstaaten. Die Frist rückt näher, aber das Land hat noch nicht entschieden, was es will. Hinter dem Drama steckt im Wesentlichen die ideologische Problematik der beiden Hauptparteien des Vereinigten Königreichs – die Konservativen und die Labour Partei – und des Zwei-Parteien-Systems, das nach wie vor in England und Wales herrscht.

Was ist den Konservativen wichtiger: Traditionen oder Handel?

Den Grundpfeiler des britischen Konservatismus bildet die Überzeugung, dass sich die gesellschaftlichen Institutionen mit der Zeit „organisch“ und von selbst entwickeln. Die sich schnell entwickelnde EU, die von Staatsoberhäuptern konzipiert wurde, passt nicht zu dieser gemäßigten Denkweise. Wenn die Entscheidungsbefugnis gemeinsam mit anderen Ländern ausgeübt wird, und nicht mehr nur im Palace of Westminster, der erstmalig im Jahre 1016 errichtet wurde, ziehen die Konservativen instinktiv die Bremse.

Insbesondere seit den Zeiten von Margaret Thatcher hat die konservative Partei gleichzeitig den freien Handel und die Deregulierung forciert. Thatcher gehörte zu den enthusiastischsten Befürworter*innen des europäischen Binnenmarktes und das Vereinigte Königreich gehörte zu dessen Hauptbegründern.

Das Problem der Konservativen besteht darin, dass der Erhalt Jahrhunderte alter Traditionen auf der einen Seite und dem nahtlosen Handel mit den Nachbarn auf der anderen Seite sich im heutigen Europa gegenseitig ausschließen.

Während der Brexit-Verhandlungen hat die britische Regierung versucht, an beidem festzuhalten. Aber sie konnte ihren Kopf nicht durch die Steinmauer rammen. Beispielsweise hat Theresa May anfangs verlangt, dass das Vereinigte Königreich nicht länger der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs unterliegt. Wenn das Vereinigte Königreich allerdings von Entscheidungen der EU verschont bleiben will, die die nationalen Traditionen der Rechtsprechung gefährden, werden die Handelsbeziehungen bedroht. Die britische Regierung hat verschiedene komplizierte Lösungen vorgeschlagen, um dem Problem aus dem Weg zu gehen, aber die EU hat kaum nachgegeben. Der Europäische Gerichtshof hat das letzte Wort, wenn ein Streit die Auslegung des EU-Rechts betrifft.

Die zwei Gesichter der Labour Partei

Das britische (beziehungsweise hauptsächlich das englische und walisische) Zwei-Parteien-System hat die verschiedenen Abstufungen zwischen mitte-rechts und dem Recht auf Zusammenarbeit in derselben Partei vereint. Die konservative Partei spaltete sich zuletzt Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der sogenannten Corn Laws – damals ebenfalls wegen eines Streits über den Freihandel. Falls das Vereinigte Königreich die EU ohne einen Deal verlässt, könnte sich die Partei wieder teilen. Die Labour Partei für ihren Teil hat sich zuletzt 1981 gespalten und eine neue Spaltung ist derzeit im Gange.

Vier bekannte Abgeordnete des Parlaments, darunter der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission Roy Jenkins, schieden 1981 aus der Labour Partei aus. Einer der Hauptgründe für ihren Austritt war, dass der Parteichef Michael Foot, der den rechten Flügel der Labour Partei repräsentierte, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorgänger der EU, forderte.

In diesem Winter wiederholt sich die Geschichte: bisher haben acht Abgeordnete der Labour Partei diese verlassen, um sich der sogenannten Unabhängigen Gruppe anzuschließen. Die Abgeordneten, die die Labour Partei verlassen haben, sind dem politischen Zentrum viel näher als der Parteichef Jeremy Corbyn vom linken Flügel, unter dessen Führung die Labour Partei des Antisemitismus und EU-feindlicher Positionen beschuldigt wurde.

Nach monatelangem Druck unterstützt Corbyn nun widerwillig ein neues EU Referendum. Die Teilung der Labour Partei in zwei Lager bleibt allerdings sichtbar. In vielen anderen Ländern sind die Linken und die Sozialdemokraten in zwei verschiedenen Parteien vertreten, wobei die linken Parteien der EU zurückhaltender gegenüberstehen.

Im britischen Zwei-Parteien-System, kämpfen diese beiden Flügel um die Führung in der Labour Partei und die Haltungen der Parteiführer gegenüber der EU sind ein eindeutiges Signal ihrer politischen Ausrichtung. Der Zentrist Tony Blair ist ein Unterstützer der EU, wohingegen Jeremy Corbyn seine gesamte Karriere hindurch im britischen Parlament gegen die europäische Integration gestimmt hat. Vor allem jetzt, da die EU zum wichtigsten Thema in der britischen Politik geworden ist, könnte es bei der Wahl der nächsten Labour-Parteiführung zu einem fulminanten Showdown zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei kommen.

Der Mittelweg?

Es wird spekuliert, dass die neue Unabhängige Gruppe die nächste neue politische Partei des Vereinigten Königreichs wird. Beim letzten Mal ist die SDP von Roy Jenkins und den anderen innerhalb von ein paar Jahren dahingeschwunden, da sie bei den Wahlen von 1983 und 1987 nur wenige Sitze für sich beanspruchen konnte, obwohl sie ungefähr 10% der Wahlstimmen erhielten. Das britische Wahlsystem ist ein Garant dafür, dass sich ein Alleingang nur selten auszahlt.

Aber vielleicht hat sich die Politik seit den 1980ern verändert, schließlich gehen wir schon auf die 2020er zu. Wirtschaftliche Bedenken werden niemals aus der Welt geschafft. Aber heutzutage bewegt die Frage nach Werten – wie zum Beispiel dem Konflikt zwischen Offen- und Geschlossenheit – die Wahlberechtigten in eine andere Richtung, als dies vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Da sowohl die Konservativen als auch die Labour Partei beide unsicher sind, was ihre Position gegenüber der EU angeht, könnte möglicherweise Platz für eine neue Partei vorhanden sein.

Gleichzeitig haben beide traditionellen Parteien immer die Macht, die Tore des Palace of Westminster vor der Nase von Neuankömmlingen zuzuschlagen. Wenn die Labour Partei oder die Konservativen auf einer Parteikonferenz eine*n moderne*n, pro-europäische*n Politiker*in an die Parteispitze wählen, schließt sich das klaffende Loch im politischen Zentrum innerhalb eines Wochenendes.

Andererseits kann sich diese Lücke immer wieder öffnen – vor allem falls der öffentliche Zuspruch für die Mitgliedschaft in der EU bei ungefähr 50% bleibt. In diesem Fall haben sowohl pro-europäische als auch anti-europäische Politiker*innen die gleichen Chancen, eine Wahl zu gewinnen. Der Zweck eines Zwei-Parteien Systems besteht darin, politische Stabilität zu garantieren. Aber zu einer Zeit, in der die Nation und die beiden Parteien wegen der EU-Frage tief gespalten sind, könnte sich die britische EU-Politik in den nächsten Jahrzehnten stark verändern.

Der Artikel erschien im Original bei JEF Tampere, der lokalen Gruppe in Juusos Heimatstadt.

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