Als der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorschlug, war von europäischer Demokratie keine Rede. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging es den Staatschefs von Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden darum, eine Organisation zu schaffen, die künftige Kriege zwischen den europäischen Staaten verhindern sollte. Diese Staaten traten einen Teil ihrer Kompetenzen an die EGKS ab, um durch wirtschaftliche Zusammenarbeit gegenseitige Abhängigkeiten zu schaffen. Die Beteiligung der Bürger*innen war dabei zunächst zweitrangig.
Die Anfänge des Europäischen Parlaments
Die EGKS hatte zwar bereits eine parlamentarische Versammlung, diese wurde jedoch nicht direkt durch die Bürger*innen gewählt. Stattdessen entsandten die nationalen Parlamente der EGKS-Mitgliedstaaten insgesamt 78 Abgeordnete, die zusammen die Gemeinsame Versammlung bildeten. Die Versammlung hatte dabei deutlich weniger Rechte als das Europäische Parlament heute. Interessant ist jedoch, dass sich die Zusammensetzung der Versammlung von Anfang an nicht an der nationalen Zugehörigkeit, sondern an politischen Positionen orientierte.
Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) 1957 gewann die Gemeinsame Versammlung an Bedeutung. Sie war nun für alle drei Gemeinschaften zuständig und die Anzahl ihrer Mitglieder verdoppelte sich nahezu. Außerdem bekam sie nach und nach immer mehr Kompetenzen. Zu dieser Zeit etablierte sich auch die Bezeichnung als „Europäisches Parlament“, die von den Mitgliedstaaten jedoch erst 1986 offiziell anerkannt wurde. Gleichzeitig blieb die politische Bedeutung der Versammlung gering und diente bisweilen als Abstellgleis für altgediente Abgeordnete aus den Mitgliedstaaten.
1979: Die Bürger*innen wählen das Europaparlament
Dies änderte sich 1979 mit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament zwischen dem 7. und 10. Juni, ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Demokratie. Zum ersten Mal hatten die Bürger*innen der damals neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Möglichkeit, ihre Vertreter*innen direkt zu wählen. Simone Veil, Holocaust-Überlebende und engagierte Verfechterin der europäischen Integration, wurde zur ersten Präsidentin des direkt gewählten Parlaments gewählt. Ihre Wahl symbolisierte den Aufbruch in eine neue Ära der europäischen Demokratie, in der die Stimme der Bürger*innen mehr Gewicht erhielt.
In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Europäische Parlament kontinuierlich weiter. Mit den Verträgen von Maastricht (1992) und Lissabon (2007) wurde die Rolle des Parlaments erheblich gestärkt. Der Vertrag von Maastricht führte die Unionsbürgerschaft ein und gab dem Parlament mehr Mitspracherechte, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung und des Haushalts. Der Vertrag von Lissabon dehnte diese Kompetenzen weiter aus, sodass das Europäische Parlament heute ein Mitgesetzgeber neben dem Rat der Europäischen Union ist. Diese Verträge verbesserten die demokratische Legitimation und Transparenz der EU-Entscheidungen und ermöglichten es dem Parlament, eine zentrale Rolle im politischen Gefüge der Union zu übernehmen.
Das Europäische Parlament: Das Herz einer unfertigen Demokratie?
Das Europäische Parlament hat als Herz der EU bedeutende Erfolge erzielt. Es repräsentiert die Bürger*innen der Mitgliedstaaten und hat durch seine legislativen und kontrollierenden Aufgaben einen wichtigen Einfluss auf die EU-Politik. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union im Jahr 2012 unterstreicht die wichtige Rolle des Parlaments und der gesamten EU bei der Förderung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa. Das Europäische Parlament ist damit zu einem der wichtigsten demokratischen Organe der Welt geworden und repräsentiert heute alle EU-Bürger*innen.
Trotz dieser Erfolge gibt es für das Europäische Parlament noch Raum für Verbesserungen. Eine der größten Herausforderungen bleibt die Kluft zwischen den EU-Institutionen und den Bürger*innen, die oft als Demokratiedefizit bezeichnet wird. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen ist im Vergleich zu nationalen Wahlen niedrig, was auf ein mangelndes Interesse oder Vertrauen der Bürger*innen in das Europäische Parlament hinweisen könnte. Um dem entgegenzuwirken, könnte eine bessere Kommunikation und Transparenz der Entscheidungsprozesse die Bürger*innen stärker einbeziehen und das Verständnis für die Arbeit des Parlaments fördern. Allein die Tatsache, dass das Parlament offiziell seinen Sitz in Straßburg hat, aber ein Großteil der Ausschussarbeit und zusätzliche Plenardebatten in Brüssel stattfinden, ist schwer zu vermitteln. Eine weitere Demokratisierung der EU-Institutionen könnte das Parlament somit zu einer noch effektiveren und repräsentativeren Institution machen.
Kommentare verfolgen: |