Geschichte wiederholt sich nicht, das zeigt sich besonders im Falle Griechenlands: bereits 2011 wollte der damalige Premierminister Georgios Papandreou sein Volk über die von der EU geforderten Sparmaßnahmen abstimmen lassen. Damals brach sich die pure Angst unter den Staats- und Regierungschefs in der EU und auf den Finanzmärkten bahn. Ratingagenturen und Wirtschaftsanalysten wurden zu den Folgen für die anderen Mitgliedsstaaten im Falle eines Nein der Griechen befragt, denn damals wie heute stand die Frage im Mittelpunkt: Kann Griechenland den Euro behalten? „[E]in Machtkampf zwischen dem Primat des Ökonomischen und dem Primat des Politischen“ beobachtete der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Ersteres konnte diesen für sich entscheiden, Papandreou sagte das geplante Referendum ab und trat wenige Wochen später zurück. Es war eine Bankrotterklärung der europäischen Demokratie, die doch zum Wertefundament der EU gehört und für deren Umsetzung sich die EU international einsetzt.
Nun ist es Alexis Tsipras, der dem griechischen Volk sein Selbstbestimmungsrecht mit Hilfe eines Referendums zurückgeben möchte. Als Retter der europäischen Demokratie wird er in linken Kreisen deswegen gefeiert. Diesmal ist der Gegenwind aus Brüssel und von der Wall Street aber wesentlich geringer als vier Jahre zuvor. Die Folgen eines „Grexit“ scheinen beherrschbarer, ein Dominoeffekt gebannt. Eher reflexhaft werfen Kritiker der griechischen Regierung einen Vertrauensbruch vor allem deswegen vor, weil man mit der direkten Demokratie bisher keine guten Erfahrungen in der EU gemacht hat.
Doch die Flucht Tsipras in die nationalstaatliche Wagenburg ist keine Sternstunde der europäischen Demokratie – im Gegenteil. Es spielt dabei keine Rolle, ob über ein Spar- und Reformpaket abgestimmt wird, dass so gar nicht mehr zur Debatte steht. Politische Wirkung wird der Ausgang des Referendums allemal dadurch erzeugen, dass es die zukünftige Verhandlungsposition der Griechen im Rat festlegt. Viel wichtiger ist, dass auch für die 18 anderen Euro-Mitglieder die Abstimmung nicht wirkungslos bleibt. Denn trotz aller politischen Bekundungen sind die Folgen eines Nein der Griechen nicht vorhersehbar. Der Aufschwung in Krisenstaaten wie Spanien ist hart erkämpft und steht auf tönernen Füßen. Für sie könnte es schwieriger werden, Staatsanleihen an den Mann zu bringen. Hinzu kommt, dass Griechenland unter anderem dem europäischen Rettungsschirm EFSF 131 Milliarden Euro schuldet. Bei einer Pleite müsste Deutschland wahrscheinlich 39 Milliarden Euro, Frankreich 29 Milliarden Euro abschreiben. Auch werden die Hilfskredite in einigen Bevölkerungsteilen der Geldgeberländer abgelehnt. Das mag berechtigt sein oder nicht, in einer Demokratie müssen auch sie gehört werden. In diesem Sinne müsste also eigentlich auch in den anderen Euro-Staaten ein Referendum abgehalten werden.
Es zeigt sich ein demokratisches Grundproblem internationaler Zusammenarbeit, nämlich das Entscheidungsmacht und Entscheidungswirkung häufig weit auseinander liegen. Was es zu deren Lösung braucht sind keine weitergehenden direktdemokratischen Elemente über Ländergrenzen hinweg. Das ist aufgrund der Bevölkerungszahl kaum praktikabel. Vielmehr sollte ein eigenes Eurogruppen-Parlament als Abkömmling des Europäischen Parlaments geschaffen werden, welche Entscheidungen des Rates überwacht und legitimiert. Referenden über komplexe Fragen, die kaum mit ja oder nein beantwortet werden können, wie nun in Griechenland, wären damit obsolet.
„Ich will, dass Europa stärker aus der Krise herauskommt“, erklärte Angela Merkel während einer Bundestagsrede zu Griechenland. Dazu gehört, aus der Geschichte zu lernen.
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