Angesichts der Probleme, die die Visegrád-4-Staaten der Europäischen Union schon jetzt - etwa mit ihrer vehementen Ablehnung der Flüchtlingspolitik - bereiten, sind dies keine guten Aussichten. ANO ist eine junge Partei: Erst 2011 wurde sie vom tschechischen Milliardär und Lebensmittelmogul Andrej Babiš gegründet. Die Partei wirbt mit dem Slogan: „Ano, bude líp“ - „Ja, es wird besser.“ Weniger Einwanderung, ein geringerer Einfluss der EU-Kommission, ein „sicherer“ Staat und Anreize für eine höhere Geburtenrate sind zentrale Punkte auf der Agenda der Partei. ANOs Wähler sind die Verunsicherten, die, die um ihren postkommunistischen Wohlstand fürchten und vor dem „Zerfall des Abendlandes“ Angst haben. Parteigründer Babiš könnte bald Tschechiens neuer Ministerpräsident werden.
In seinem Babiš-Porträt für das Magazin „Politico“ charakterisiert Adam Drda den Unternehmer als dubiosen Oligarchen: Während des Kommunismus soll er als Spitzel für den tschechischen Geheimdienst, die ŠtB, gearbeitet haben, was allerdings nicht eindeutig bewiesen ist. Nach der Wende Anfang der 1990er baute er sich aus undurchsichtigen Finanzquellen ein Firmenimperium auf, das heute verschiedene Branchen wie Chemie, Agrarhandel und Lebensmittelherstellung auf sich vereint. Spätestens seit er 2013 zwei der meistgelesenen Zeitungen des Landes gekauft hat, wird Babiš auch als der „tschechische Berlusconi“ bezeichnet. In der aktuellen Legislaturperiode war er Finanzminister, musste aber Mitte des Jahres wegen Vorwürfen des Steuerbetrugs zurücktreten. In Zusammenhang mit einem weiteren Betrugsvorwurf mit EU-Subventionen läuft momentan auch ein Antrag auf Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter. Babiš streitet alle Vorwürfe ab und stilisiert sich weiterhin als erfolgreichen Entrepreneur, der die Korruption in der tschechischen Politik beenden wird.
Im Juni hat Babiš ein knapp 300-Seiten langes Buch mit seiner Vision für das Jahr 2035 veröffentlicht. Titel: „Wovon ich träume, wenn ich gelegentlich schlafe“. Da die Partei ANO sehr eng mit ihrem Gründer zusammenhängt, kann das Buch Aufschluss darüber geben, wie die tschechische Politik nach einem Wahlsieg ANOs aussehen könnte. Ganz gezielt wird darin mit den Versagensängsten der tschechischen Bürger gespielt, genau wie mit ihrem Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen. (Beispiel: „Auch wenn unser Land nicht so groß ist wie Deutschland, Italien oder Polen, sind wir doch ein großes Volk und talentiert darin, uns richtig zu orientieren und zu überraschen.“) Nationalismus klingt auch an anderen Stellen durch, etwa wenn Babiš schreibt: „Kultur wird unsere nationale Identität sein.“
Besonders interessant ist die beschriebene „Vision“ für die Zukunft der Demokratie in Tschechien. Der Staat soll entschlackt, Entscheidungen „schneller und effektiver“ gefällt werden - ähnlich dem Management einer Firma. So plädiert Babiš dafür, die politische Organisation auf Landkreisebene in Tschechien abzuschaffen und stattdessen auf regionaler Ebene nur noch Bürgermeister einzusetzen. Abgeordnete sollen zukünftig ausschließlich per Direktwahl gewählt werden. Außerdem will Babiš den Senat, und damit das Zweikammersystem in Tschechien, abschaffen. Zitat aus dem Buch: „Bei den letzten Senatswahlen wählten in der zweiten Runde nur 15 % der Bürger. Das reicht ja wohl als Begründung.“ Wie die Wahlbeteiligung erhöht werden könnte oder ob die Besetzung des Senats auf andere Weise zustande kommen könnte, wie etwa der Bundesrat in Deutschland, steht nicht zur Debatte. Genauso wenig wie der große Vorteil des Zweikammernsystems, die Gewaltenteilung. Im MDR sagte der Politologe Jiří Pehe, dass Babiš mit seiner Argumentation an die Jahre der Normalisierung (Zeit der Repression nach dem Prager Frühling) anknüpfe, wo ein bequemes Leben für viele Tschechen wichtiger gewesen sei als Freiheit.
Auch über die mögliche künftige Zusammenarbeit Tschechiens mit der EU gibt das Buch Aufschluss. „Brüssel darf nicht entscheiden“, ist ein Absatz auf Seite 257 überschrieben. Es folgt: „Die Tschechen und tschechische Firmen sollten auswählen dürfen, wer bei uns leben und arbeiten darf. Und wenn jemand bei uns arbeiten will, muss er sich an unsere Gewohnheiten und unseren Lebensstil anpassen.“ Damit positioniert sich Babiš einerseits klar gegen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Flüchtlingsquoten. Andererseits stellt er aber auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit einen wichtigen Grundpfeiler der EU infrage. Ein weiteres Kapitel trägt den Titel „Traum von der Unabhängigkeit“. Darin ist unter anderem herauszulesen, dass Tschechien unter einem Ministerpräsidenten Babiš nicht den Euro einführen würde. Tschechien würde allerdings in der EU bleiben und sollte eine aktivere Rolle spielen. Nach Brüssel sollten laut Babiš Experten gesendet werden, die sich für „Czech Republic“ als Marke einsetzen sollen. Die EU wird in diesem Zusammenhang als ein „strategisches Ziel“ beschrieben. Von den inspirierenden Reden des ehemaligen tschechischen Präsidenten und Bürgerrechtlers Václav Havel, der die EU als wichtigen Garant von Frieden, Demokratie und Menschenrechten gesehen hat, ist dabei nichts zu spüren.
Es wird klar: Hier schreibt nicht einer, um sein Wahlprogramm vorzustellen. Hier schreibt einer, der sich seines Gewinnes bei den nächsten Wahlen schon fast sicher ist und die Bürger rechtzeitig auf seine Linie einzuspielen versucht. Richtung einer Politik, die die Demokratie in der Tschechischen Republik nachhaltig schwächen würden. Für Europa kann das nichts Gutes bedeuten.
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