Es ist eine surreale Szene im Willy-Brandt-Haus. Martin Schulz betont: "Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU in der großen Koalition!„Euphorischer Jubel erfasst das Publikum, ganz so als hätte die SPD die Wahl gewonnen. Es erinnert an die Euphorie eines frisch geschiedenen Partners, der eine deprimierende und krank machende Ehe hinter sich lässt, seine Ketten sprengt und die Freiheit umarmt. Das dumme ist nur, dass man die oppositionelle Freiheit im neuen Bundestag, gerade mal mit 153 Mandaten ausleben kann. Mit 20,5 Prozent hat die SPD eines ihrer schlechtesten Ergebnisse in der Geschichte eingefahren, doch sie ist nicht der einzige Verlierer des Abends. Selbst wenn Angela Merkel wiedergewählt werden sollte, so hat ihr Stern seinen Zenit offensichtlich überschritten. Mit einem Verlust von über 8 Prozent scheint auch die“Muttivation" der CDU zurückgegangen zu sein.
Die kleinen Wahlgewinner
Zwei Wahlgewinner des Abends sind die FDP und die Grünen. Letztere schnitten deutlich besser ab, als es die Umfragen sahen. Die FDP versuchte ein wenig den Raum rechts neben der CDU zu füllen, ohne dabei in den Populismus der AfD abzudriften. Dabei hat man im Wahlkampf zumindest rhetorisch eine proeuropäische Attitüde beibehalten. Doch der Ruf nach einer europäischen Armee soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FDP in Eurofragen praktisch auf einer Linie mit der AfD steht, genauso wie weite Teile der CDU/CSU. Nun wird aus diesen höchst unterschiedlichen Parteien eine Koalition geschmiedet werden müssen. Nicht zu vergessen die CSU, die wie die Grünen, Kröten wird schlucken müssen, wenn man wirklich zusammenarbeiten will. Die Grünen werden bei einer Jamaika-Koalition das europäische Gewissen der Regierung sein. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich dieser Rolle bewusst sind und bei den Koalitionsverhandlunegn auf eine Reform der Eurozone im Sinne Emmanuel Macrons drängen, oder vielleicht sogar das mächtige Bundesfinanzministerium für sich beanspruchen. Als einzig „nicht-konservativer“ Fremdkörper einer Jamaika-Koalition, der viel zu verlieren hat, könnten sie ihren Preis in die Höhe treiben.
Die neuen Nationalen im Reichstag
Der hauptsächliche Wahlgewinner, ausgehend vom Stimmenzuwachs heißt ganz klar die AfD. Sie ist mitnichten einfach nur eine rechtsextreme Partei. Viele behaupten dies, um die Partei zu diskreditieren, damit man sich nicht weiter mit ihnen beschäftigen muss. Eine Strategie, die gescheitert ist, wie das Wahlergebnis offenbart. Die AfD ist der Schmelztiegel für einen abgespaltenen rechten Flügel der CDU/CSU, mit dem linken Flügel der NPD, wenn man so will. Eine Partei von Nationalisten und Nationalkonservativen, die rechtsradikale Mitglieder und rassistisches Gedankengut bedenkenlos in ihren eigenen Reihen tolerieren, was sie in der Tat sehr gefährlich macht. Viele im wahrsten Sinne des Wortes „konservative“ Menschen, die Angst vor Veränderungen haben und Menschen, die unter der sozialen Kälte der Merkel-Jahre litten, sehen in der Partei aber die Stimme der wahren Opposition, die Stimme der Opfer eines Systems und Stimme gegen das dekadente, selbstzufriedene Establishment. Wenn eben jenes Establishment es vorzieht die AfD per se als Nazis und Irre zu diffamieren, anstatt die Partei inhaltlich zu widerlegen oder sich mit den sozialen Problemen jener Menschen zu beschäftigen, gar leugnet, dass sie existieren, macht man es den Rattenfängern sehr einfach. Die Sympathisanten wählen dann allein schon aus Trotz die Nationalisten.
Merkels Verantwortung
Die AfD entstand aus Frust, aufgrund des gebrochenen, doch letztlich unhaltbaren und ökonomisch sinnfreien Versprechens der Kohl-CDU, dass die Bundesrepublik in einer Währungsunion nicht für die Schulden anderer Staaten haften wird. Dennoch hat der Frust über die Eurorettung nicht ausgereicht, die AfD 2013 über die 5% Hürde zu hieven. Anders war es mit der Flüchtlingskrise im Jahre 2015. Angela Merkels übliche Passivität im Angesicht von Katastrophen und drängenden Problemen, hat dem Gefühl des staatlichen Kontrollverlusts Vorschub geleistet, was insbesondere konservative Wähler in die Hände der AfD trieb. Die CDU hat die Strauss-Doktrin des Einsammelns der rechten demokratischen Ränder endgültig aufgegeben und eher eine linke Position besetzt, was Merkel Sympathien von Grün- und SPD-Wählern einbrachte, die zuvor Merkels Kälte in der Eurokrise bemängelten. Dabei entstand ein Vakuum am rechten Rand, das die CSU, als rein bayrische Partei vergeblich, zu füllen versuchte. Dieses Vakuum saugte die AfD in den Bundestag. Des weiteren ist es die Weigerung von Frau Merkel, die soziale Spaltung und Armut im Land zur Kenntnis zu nehmen, von der die AfD profitierte, obwohl sie mitnichten eine Partei ist, die dafür sorgen wird, dass die Armut zurückgedrängt wird.
Die Fehler im Wahlkampf der SPD
Viele unterstellen der SPD mit der sozialen Gerechtigkeit auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Doch vielleicht war der Einsatz der SPD auf das Pferd nicht hoch genug? „Zeit für Gerechtigkeit“ wird von vielen enttäuschten Wählern nur als Wahlkampfrhetorik einer Partei wahrgenommen, die nicht wirklich mit der Agenda 2010 brechen will. Warum holt man auf einem Parteitag den Kanzler AD und Wiedergänger Schröder aufs Podest, der für die Demontage der Sozialen Marktwirtschaft steht? Will man jetzt R-2-G oder doch vielleicht eine Ampel mit der FDP. Die SPD und Schulz hätten ihre trotzige und großkotzige Linie bis zum Wahlabend halten müssen: „Wir stellen den Kanzler, regieren und setzen unser Programm durch, korrigieren die Fehler der Agenda, mit wem auch immer!“ Anstatt sich ins latente Eiern drängen zu lassen, mal den Linken und mal der FDP zuzuzwinkern, die beide mit Angriffen auf Schulz und die SPD reagierten. Zu oft hat sich Schulz Debatten und Bilder aufdrängen lassen, zu oft auf mediale und politische Kritik reagiert, anstatt aktiv sein Ding zu machen. Ein massiver Fehler, war es die Landtagswahlen mit der Bundestagswahl zu verknüpfen. Insbesondere war es unklug von Schulz nach jeder Landtagswahl vor die Kameras zu treten und eine Niederlage einzugestehen, so als ob er diese zu verantworten hätte. Es wurden Landesregierungen abgewählt und über die Landespolitik abgestimmt, nicht über die Bundespolitik. Dennoch verfestigte sich ein mediales Bild über die Pressekonferenzen: Martin Schulz - der Wahlverlierer. So mangelte es Schulz an Autorität, um seine konsequente „Ich-werde-Kanzler“-Attitüde authentisch durchzuhalten.
In der Elefantenrunde attackierte Schulz Merkel so, wie man sich das vom Kanzlerduell gewünscht hätte. Im großen und ganzen zeigte er sich wieder als der streitlustige Parlamentarier, den man aus dem Europaparlament kennt. Wahrscheinlich war dies eher ein internes Bewerbungsgespräch für den neuen SPD-Fraktionsvorsitz. Als europäischer Föderalist, Demokrat und Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft, kann man sich nur wünschen, dass Schulz dieses Amt bekommt. Auch wenn er nicht zeigen konnte, dass er ein guter Kanzler sein kann, so weiß man doch um seine Stärken als streitbarer und schlagfertiger Redner, der dem Merkel’schen Mehltau und den Rattenfängern was entgegensetzen kann.
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