Echte Nachrichten oder Fake News: Das ist die Frage

, von  Iris Pase

Echte Nachrichten oder Fake News: Das ist die Frage
„Wir müssen lesen, Schubladendenken vermeiden, unsere Nachrichtenquellen sorgfältig überprüfen und auswählen“ Illustration: Luzie Gerb für Meetinghalfway (Kooperationspartner von treffpunkteuropa.de)

Heutzutage ist das Postfaktische unbestreitbar das bestimmende Thema sowohl im Journalismus als auch in der politischen Debatte. Dadurch ist es zu einer der wichtigsten Angelegenheiten unserer Zeit geworden. Aber was ist ‘das Postfaktische’ eigentlich? Schauen wir uns diese Frage einmal mithilfe der Worte Roberto Savianos ein wenig genauer an.

Im Juni veranstaltete das randvoll gefüllte Stadttheater von Treviso (Norditalien) eine ‘Lectio magistralis’, organisiert vom Kommunikationsforschungszentrum “Fabrica”. Die Vorlesung trug den Titel “Wahrheit, nie wieder. Chronik und Datenanalyse im Zeitalter des Postfaktischen und der falschen Nachrichten” und wurde von Roberto Saviano gehalten, einem berühmten italienischen Schriftsteller und Journalisten, Autor von Bestsellern wie Gomorrah und ZeroZeroZero.

Das inflationär gebrauchte und missbrauchte Wort “post-truth” (postfaktisch) wurde zum ‘Oxford-Dictionaries’ Wort des Jahres 2016’ gewählt und bezeichnet “Umstände, in denen objektive Fakten weniger Einfluss auf die Bildung der öffentliche Meinung haben als Appelle an Gefühle und persönliche Überzeugungen”. Einfach gesagt hängt das Postfaktische unweigerlich mit einem Mangel an Informationen bei einem Überschuss von Gefühlen zusammen: Die Wahrhaftigkeit einer Aussage oder eines Ereignisses sind nicht mehr ausschlaggebend für die Behörden oder die Öffentlichkeit, weil im Gegenteil das Wichtigste ist, dass Ideen oder Behauptungen der eigenen Zuhörerschaft gefallen und diese eventuell sogar vergrößern können. Nehmen wir zum Beispiel den Fall von Kellyanne Conway, einer hochrangigen Beraterin im Weißen Haus: Konfrontiert mit der offenkundigen Verfälschung der Teilnehmerzahlen bei der Inauguration Trumps bestand sie darauf, dass Pressesprecher Sean Spicer schlicht alternative Fakten angeboten hätte. Das Problem ist, dass alternative Fakten keine Fakten sind, sondern deren Manipulation.

Die zeitgenössische politische Rhetorik spielt mit den Überzeugungen und Instinkten der Menschen, um Reaktionen hervorzurufen, die von Gefühlen statt von Vernunft geleitet sind; leider erzeugt das Postfaktische oft negative Gefühle, die zu rabiaten und gewalttätigen Ereignissen führen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass dies kein einseitiger Prozess ist, da Überzeugungen nicht nur ausgebeutet und gesteuert werden, sondern scheinbar auch als Bestätigung und Legitimierung dienen können. Man erinnere sich nur daran, wie Trump die öffentliche Meinung als Rechtfertigungsgrund für seine Behauptung angeführt hat, er hätte die Popular Vote nur aufgrund von Millionen falscher Stimmen verloren, indem er schlicht sagte: “Alle glauben das.”

In weiteren Erklärungen und Darlegungen gab Roberto Saviano zahlreiche Beispiele für dieses Phänomen, so unter anderem folgende: Während der US-Wahlen behauptete die Website Ending the Fed, dass Papst Franziskus Donald Trump unterstützen würde, was die Welt in Schock versetzte. Diese Story wurde geteilt von Leuten, die daran glaubten, und Leuten, die nicht daran glaubten (vielleicht, um sich darüber lustig zu machen oder sie zu kritisieren) und sie reiste einmal um den Globus – und wurde leider für einige Stunden für wahr gehalten. Obwohl diese Fake News extrem einflussreich in politischer Hinsicht waren, haben sie zumindest keine kriminellen Vorfälle begünstigt, anders als in der “Pizzagate”-Affäre. Während der gesamten Wahlen 2016 kursierte eine Verschwörungstheorie in den Vereinigten Staaten: Diese besagte, dass einige Restaurants in Menschenhandel und Pädophilie verwickelt wären. Entschlossen, die Sache auf eigene Faust zu untersuchen, beschoss der 28-jährige Edgar Maddison Welch im Dezember 2016 die Pizzeria Comet Ping Pong in Carolina, einen vermeintlichen Pädophilen-Ring. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber der Täter hat Wände, Tür und Empfangstisch beschädigt hätte leicht Leben zerstören können.

Sind wir verrückt geworden? Wollen wir mit Lügen gefüttert werden? Werden wir von irgendeiner geheimen, gigantischen Verschwörung hinters Licht geführt? Der Journalist verneinte die Existenz einer Verschwörung oder Loge, er konzentrierte sich vielmehr auf die sozialen Medien, darauf, wie Nachrichten wahrgenommen und gesammelt werden und wie die Mentalität der Menschen von der Ausweitung unserer nunmehr schnelllebigen Welt tiefgreifend beeinflusst wird. Eduardo Galeano zitierend sagte Herr Saviano: “Als wir alle Antworten hatten, haben sie die Fragen ausgetauscht”. Genau das ist mit den sozialen Medien eingetreten: Die Regeln haben sich geändert, eine neue Art der Kommunikation und der menschlichen Interaktion hat sich entwickelt, wodurch sich unsere Perspektive auf die Welt und die Art und Weise, wie wir Dinge wahrnehmen und wissen, gewandelt hat. Saviano unterstrich, wie sich die Menschen heutzutage nur auf kurzfristige Ziele konzentrieren: Alles muss jetzt getan und erreicht werden, Ergebnisse müssen unmittelbar sichtbar sein, wir haben keine Zeit für einen langfristigen Prozess. Wir lesen keine komplette, tiefgehende Analyse, wir bevorzugen einen Tweet. Nach einer kürzlichen Schätzung lesen 70% der jungen Amerikaner Nachrichten auf Facebook. Damit vertrauen sie einer weitaus ungenaueren Quelle als einem Zeitungsartikel, der eine tiefere Einsicht vermitteln könnte. Wir brauchen Zeit, um Gedanken zu artikulieren und Meinungen zu bilden, aber es ist viel einfacher, eine vier Zeilen lange Story zu lesen, als innezuhalten, alle Benachrichtigungen für zehn Minuten zu ignorieren und zu versuchen, das Problem zu verstehen.

Viralität wird immer mehr zu einem Synonym für Oberflächlichkeit, einem Mangel an wirklichem Inhalt und wir können das an dem erstaunlichen Erfolg von Kim Kardashian festmachen, einer wunderschönen jungen Frau, die nicht dafür berühmt ist, irgendwelche Fähigkeiten oder Talente zu besitzen, außer dem, ihr Hinterteil zu zeigen. Sie ist viral, weil sie sich für nichts einsetzt, weil sie nichts zu vermitteln hat. Deshalb ist ihre Rhetorik so inklusiv: Meinungen schließen aus, sie schließen diejenigen aus, die nicht mit dir übereinstimmen, da sie dich “verlassen” und dir entfolgen könnten.

Aber wie können wir die Komplexität des Lebens bewältigen, wenn wir diese oberflächliche und ignorante Attitüde beibehalten? Wie können wir das postfaktische Zeitalter überwinden? Wir müssen uns Zeit nehmen, zum Lesen, zum Reflektieren, um uns von dem schnellen Fluss dieser Welt abzukoppeln und nachzudenken. Große Ideen können nicht aus einem ständig getrübten Geisteszustand entstehen, unablässig konzentriert auf soziale Medien, Benachrichtigungen, Teilen und Tweeten. Wir brauchen Zeit, das zu verdauen, was uns umgibt, und um kritisches Denken zu üben. Das ist der einzige Weg, die Akzeptanz von Fake News als zulässige Quellen zu hintertreiben und Politiker davon abzuhalten, unsere Ignoranz auszunutzen und ihre Macht zu missbrauchen.

Wir können etwas verändern, indem wir rücksichtsvolle Mitbürger und Menschen sind: Wir müssen lesen, Schubladendenken vermeiden, unsere Nachrichtenquellen sorgfältig überprüfen und auswählen; wir dürfen unsere Gefühle nicht über unsere Meinungen bestimmen lassen; wir müssen nachdenken und vielleicht wird das Stichwort ‘postfaktisch’ dann eines Tages nur noch eine Erinnerung sein.

Dieser Artikel ist zuerst bei unserem Kooperationspartner Meetinghalfway erschienen. Dieser Text ist zuerst auf Meeting Halfway erschienen. Meeting Halfway ist ein mehrsprachiges europäisches Magazin mit Schwerpunkt Kultur und Gesellschaft.

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