Beim Filmfestival Türkei Deutschland stehen Begegnungen im Vordergrund

Ein Dialog auf Augenhöhe

, von  Lukas G. Schlapp

Ein Dialog auf Augenhöhe
Foto: Filmfestival Türkei Deutschland In der Nürnberger Tafelhalle wurde das 26. Filmfestival Türkei Deutschland am 11. März 2022 eröffnet.

In Nürnberg ist das Filmfestival Türkei Deutschland gestartet – und das zum 26. Mal. Bei der Eröffnungsgala am Freitag, 11. März, wurde deutlich: Das Filmfestival ist mehr als eine Woche türkisches Programmkino. Noch bis zum 20. März liegt der Schwerpunkt auf Begegnungen zwischen beiden Ländern.

Es wird geklatscht. Nicht frenetisch, nicht lautstark. In der Nürnberger Tafelhalle herrscht am Ende eines langen Abends eine Mischung aus Aufgewühltheit und Anerkennung. Aufgewühltheit aufgrund der schrecklichen Geschehnisse, die der Film Bergen erzählt. Anerkennung gegenüber den anwesenden Regisseuren Mehmet Binay und Caner Alper sowie der Schauspielerin Tilbe Saran, die sich dieser Geschichte angenommen haben.

Dass sich die Leitung des Filmfestivals Türkei Deutschland (FFTD) beim Eröffnungsfilm für Bergen entschieden hat, kann als Statement verstanden werden. Der Film erzählt die Geschichte der gleichnamigen türkischen Arabesk-Sängerin. Das Biopic beginnt mit den Erfolgen einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen. Zeigt die Gewaltspirale, in der sie bald feststeckt und endet mit dem Tod der Sängerin durch ihren Exmann. Gezeigt wird der Film etwa eine Woche vor einem bitteren einjährigen Jubiläum: Dem Austritt der Türkei aus der Istanbulkonvention. Dem zentralen Übereinkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.

Aus der Pandemie zurück

Das Filmfestival ist politisch. Das zeigt sich nicht nur am Eröffnungsfilm, sondern auch am zehntägigen hochaktuellen Gesamtprogramm. Sowohl im Kurzfilm- als auch im Spielfilmwettbewerb konkurrieren stets Filme, die gesellschaftliche Herausforderungen und Diskurse behandeln. Es ist keine türkische Filmwoche, sondern ein Dialog von Filmen aus Deutschland und der Türkei. Aber auch Produktionen aus Frankreich, Belgien und Aserbaidschan finden sich in der Kategorie Filmlandschaften.



Absage, Verschiebung und Sommeredition – Die Pandemie hat auch dieses Filmfestival in den vergangenen Jahren nicht unberührt gelassen. Bei der Eröffnungsveranstaltung ist sowohl beim Festivalleiter Adil Kaya als auch bei Vertreter*innen der Stadt Nürnberg die Erleichterung bemerkbar, nach drei Jahren wieder das „eigene Wohnzimmer” aus Tafelhalle, dem Filmhaus der Stadt und dem Multiplexkino CINECITTA’ zu bespielen.

Das Filmfestival ist eine Institution im Nürnberger Kulturkalender und gleichzeitig ein Paradebeispiel für gute Zusammenarbeit. Denn Veranstalter des Festival ist der Verein InterForum in Zusammenarbeit mit der Stadt Nürnberg. Und das schon seit 1992. „Das Filmfestival passt ideal zu Nürnberg als Stadt der Menschenrechte”, betont Michael Bader, Direktor des KunstKulturQuartiers. Die Stadt unterstützte das Festival gerne tatkräftig, denn gute Kulturpolitik sei Voraussetzung für gute Demokratiepolitik.

Eine Antwort auf Ausländerhass

Geboren ist das Festival aus dem Wunsch heraus, das Verständnis für Kulturen aus der Türkei in Deutschland zu fördern. Was heute für manche Menschen selbstverständlich klingen mag, war damals eine große Herausforderung. Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Hoyerswerda: Hass und Gewalt gegen Ausländer waren in den 90er-Jahren traurige Realität in Deutschland. Das Ziel war es, soziale Distanz abzubauen. Die Festivalbegründer waren davon überzeugt, dass sich hierfür Film als Medium und der Kinosaal als Plattform besonders gut eignet.

Nicht nur der Erfolg und gute Ruf des Festivals, sondern auch die besondere Atmosphäre geben den Veranstalter*innen recht. Wer das Festival heute besucht, erlebt Begegnungen zwischen Schauspieler*innen und Regisseur*innen aus beiden Ländern. Auch der Austausch mit dem Publikum durch Filmgespräche sei zentral, unterstreicht Adil Kaya. „Auf Augenhöhe” soll keine bloße Floskel bleiben, sondern beim Festival gelebt werden.

Wenn dadurch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteur*innen in der Filmindustrie gefördert wird, ist das Festival auch nachhaltig. Die beiden am Eröffnungsabend ausgezeichneten Ehrenpreisträger*innen, stehen genau dafür. Claudia Tronnier betreute für die ZDF-Sendereihe “Das kleine Fernsehspiel” viele Filme türko-deutscher Filmemacher*innen und trug so maßgeblich zum Erfolg des deutschtürkischen Kinos bei. Das Engagement von Ahmet Boyacıoğlu lässt sich aufgrund der Vielfalt schwieriger fassen. Als Leiter des Projekts Festival On Wheels brachte er Kinokultur und europäische Spielfilme in türkische Provinzstädte. In vielen anderen Funktionen unterstütze er türkische Produktionen auf dem internationalen Filmmarkt und sorgte dafür, dass die Türkei aus der gesamteuropäischen Kinolandschaft nicht wegzudenken ist.


Die dritte im Bunde, die türkische Schauspielerin Perihan Savaş, soll bei der Preisverleihung am 19. März geehrt werden. Seit den 70er-Jahren prägt sie die türkische Filmlandschaft mit ihrer Schauspielkunst. Damit alles reibungslos klappt, dürfen sich nur die starken Schneefälle in Istanbul nicht wiederholen. Savaş wäre nicht die Erste, der über 70 angekündigten Festivalgäst*innen, welche der Schnee von ihrer Teilnahme abhält. Das Festival hofft auf gutes Wetter in Istanbul, denn spätestens bei der Preisverleihung wird – trotz vieler schwerer Themen – auch begeisterter Applaus für alle Preisträger*innen zu hören sein.

Hinweis: Das 26. Filmfestival Türkei Deutschland findet vom 11. bis 20. März in Nürnberg statt. Für alle die es nicht nach Nürnberg schaffen: Alle Beiträge des Kurzfilmwettbewerbs (18.03) sind für 7 € als Stream online abrufbar.

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