Interview mit Roksana Goc

Ein neues gemeinsames Ziel

, von  übersetzt von Claudia Bothe

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Ein neues gemeinsames Ziel
Roksana Goc aus Ropczyce, Poland Foto: Leon Schwalbe / Katharina Egle

Roksana Goc ist eine sehr aufgeschlossene Person. Sie singt gerne und scheint immer gute Laune zu haben. An dem Gymnasium, wo sie nächstes Jahr ihr Abitur macht, hat sie sich für den naturwissenschaftlichen Profilunterricht entschieden. Je nachdem, wie ihr Abitur ausfällt, möchte sie dann Medizin studieren. Aber falls sich die Möglichkeit ergibt, dann würde sie nach der Abschluss auch gerne etwas mit Musik machen.

Leon Schwalbe: Roksana, wenn du an deine Zukunft denkst - wo würdest du dann nach deinem Schulabschluss gerne sein?

Roksana Goc: Auf jeden Fall weit weg von Ropczyce. Ich bin kein großer Fan von unserer Stadt. Es ist in Ordnung, hier zu leben - es ist ein sicherer Ort -, aber wenn man etwas erleben will, muss man in größere Städte ziehen. Ich würde wirklich gerne in einer der großen Städte in Polen studieren: Warschau. Oder vielleicht Krakau.

Was bedeutet es für dich, in Polen zu leben?

Für mich ist Polen sehr eng mit meiner Familie verbunden. Als du Polen sagtest, war Familie das erste, woran ich dachte. Ich kann es nicht genau erklären, aber für mich fühlt sich Polen nach Heimat an. Der größte Teil meiner Familie lebt hier, deshalb fühle ich mich Polen sehr verbunden.

Du sagtest „der größte Teil meiner Familie“ - wo lebt der andere Teil?

Sie leben in Deutschland und Schottland, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen und wegen der besseren Zukunftsperspektiven. Meine Tante hat ihren Mann in Schottland kennen gelernt. Aber er ist auch Pole. Manchmal besuche ich sie - zum Beispiel in Frankfurt.

Du hast also schon andere Länder als Polen gesehen. Was hältst du von der Politik Polens?

Es geht abwärts, immer weiter abwärts. Ich kann nicht viel Gutes über unsere Regierung sagen. Ich kann nichts Gutes über unsere Regierung sagen. Ich interessiere mich nicht sehr für Politik, aber nach dem, was ich im Fernsehen sehe oder worüber meine Eltern reden, denke ich, dass unsere Politiker*innen viele Fehler machen.

Ich habe schon gemerkt, dass du mit dieser Meinung in deiner Generation nicht alleine bist. Aber es gibt immer noch eine Menge Leute, die die Regierungsparteien wählen. Gibt es einen so großen Unterschied zwischen den Gedanken von jüngeren und älteren Menschen?

Meine Oma sagte zum Beispiel zu mir, dass es besser ist, die PiS zu wählen, weil sie Geld geben und es dadurch den ältere Menschen besser geht. Aber auch meine ältere Stiefschwester sagte, sie sei da misstrauisch. Sie hat nicht genau gesagt, warum, aber sie hat bei der letzten Wahl für die PO (Platforma Obywatelska - die größte Oppositionspartei in Polen) gestimmt. Ich denke, dass die PiS nicht einmal ihre Versprechen einhalten. Sie hatten in den letzten Jahren die Chance, den Menschen mehr Geld zu geben. Aber es hat sich nichts geändert.

Etwas, das sich geändert hat - und zwar zum Negativen - ist die Situation in der Ukraine. Wie denkst über den Krieg?

Als ich das erste Mal davon hörte, war ich entsetzt. Nicht nur über die Situation in der Ukraine, sondern auch darüber, dass es auch uns treffen könnte. Ich war mir nicht sicher, ob das ein unrealistisches Szenario ist oder nicht.

In Ropczyce gibt es auch einige ukrainische Flüchtlinge. Was denkst du über sie?

Es tut mir sehr leid, was sie in ihrem Land erleiden mussten. Dieser Krieg ist schrecklich und die Geflüchteten mussten mit vielen schrecklichen Situationen fertig werden bevor sie nach Polen kamen. Seit der Krieg begonnen hat, schätze ich alles, was ich habe viel mehr als früher: die freie Zeit, die ich habe, meine Familie, mein Zuhause. Denn die Ukrainer*innen haben all das verloren. Deshalb möchte ich ihnen so gut wie möglich helfen.

Es scheint, dass du nicht die einzige in Polen bist, der es so geht. Denkst du, dass die Situation etwas in den Köpfen der Menschen verändert hat?

Ja, ich glaube schon. Wir haben ein gemeinsames Ziel, das uns alle verbindet: den geflüchteten Menschen zu helfen. Das macht uns wahrscheinlich ein mitfühlender und aufmerksamer. Das habe ich in meinem Umfeld schon gemerkt. Jeder hilft jetzt, zusammen mit anderen Menschen. Es ist wie ein neues gemeinsames Ziel.

Woher kommt das?

Ich weiß es nicht. Ich war mir so sicher, dass unser Präsident sagen würde, dass wir keine Ukrainer in unser Land lassen würden. Aber vielleicht hat sogar unsere Regierung erkannt, dass die Lage sehr ernst ist.

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