18. Mai: #Ibizagate
Niemand hat vermutet, dass die Karriere des seit 2005 amtierenden FPÖ-Bundesparteiobmanns Heinz-Christian Straches so plötzlich enden würde. Am 18. Mai haben aber die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel einen Ausschnitt eines 2017 auf Ibiza aufgenommenen Videos veröffentlicht. Darin unterhalten sich eben Strache und Johann Gudenus – der geschäftsführende Klubobmann der FPÖ – mit einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen. Sie bot an, die Boulevard-Zeitung „Krone Zeitung“ zu kaufen, woraufhin das Blatt eine FPÖ-freundliche Stellung einnehmen würde und Strache ein paar Journalisten „abservieren“ könne. Das Angebot sei natürlich kein Zeichen der Wohltätigkeit, die Russin erwarte ein Dankeschön - und zwar durch die Erteilung der Staatsaufträge an ein von ihr zu gründendes Bauunternehmen. Sie würde danach noch ein kleines Geschenk an die FPÖ geben: Es würde Geld an einen wohltätigen Verein gespendet, sodass der Rechnungshof nichts davon mitkriegt. Klingt nach einer harmonischen Zusammenarbeit.
Aus dem Deal wurde nichts: Es sind nur Behauptungen. Aber die Tatsache allein, dass der spätere Vize-Kanzler Österreichs in derartige Gespräche verwickelt war, bedarf einer Reaktion und Untersuchung: Die Arbeiten der Staatsanwaltschaft laufen auf Hochtouren.
Auch Strache hat selbst Anzeige gegen alle, die für die Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des sogenannten Ibiza-Videos mitwirkend verantwortlich sind, erstattet. Immerhin wurde das Video heimlich aufgenommen, die beiden Politiker wurden reingelegt.
19. Mai: Tag der Entscheidungen und Proteste
Als meine Freund*innen mich am Freitag, den 18.5. fragten, ob ich schon das Ibiza-Video gesehen habe, zuckte ich ganz unberührt mit den Achseln. Damals wusste ich noch nicht vom Inhalt, aber dachte mir: Was könnte der FPÖ schon passieren? Sie ist schon so häufig mit einem blauen Auge davongekommen: Sei es bei ihren Vergleichen von Menschen mit Ratten, Verbindungen der Partei mit den Identitären oder bei zehn Geboten, die von den Asylwerber*innen unterschrieben werden sollten. Vor allem das 10. Gebot („Du solltest Österreich gegenüber Dankbarkeit leben“) war umstritten.
Diese Geschichte hat jedoch das Fass zum Überlaufen gebracht: Strache ist als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurückgetreten, Gudenus hat auch sein Nationalratsmandat abgelegt. Die Partei hat Norbert Hofer übernommen. Am Samstag haben sich ein paar tausend Leute vor dem Bundeskanzleramt gesammelt und Neuwahlen gefordert. Erfolgreich. Am Abend hat der ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Neuwahlen ausgerufen.
Peinlich? Gelinde gesagt. Der Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat versucht, für Ruhe zu sorgen. „So ist Österreich einfach nicht“, hat er behauptet. Das erklärte Hauptziel sei nun Stabilität. Stabil wurde es aber mit Abstand nicht und in den nächsten Tagen ist alles „zack zack zack“ geschehen – wie Strache es beschreiben würde.
21. Mai: Das Ende der türkis-blauen Koalition
Die ÖVP wäre bereit gewesen, die Koalition mit der FPÖ fortzuführen – unter der Voraussetzung, dass der umstrittene FPÖ-Innenminister Herbert Kickl ersetzt würde. Wie man sich vorstellen kann, war die FPÖ darüber nicht erfreut und schlussendlich sind Herbert Kickl und andere FPÖ-Minister (außer der von der FPÖ gestellten Außenministerin) zurückgetreten. Während wir unter Freund*innen Ibiza-Memes austauschten, musste Sebastian Kurz eine neue Regierung basteln. Ihre Angelobung hat bei weitem die ersehnte Stabilität nicht mitgebracht: Als machtgierig wurde der Kanzler bezeichnet, seine neue Regierung sei nicht wirklich unabhängig.
26. Mai: EU-Wahlen
Inzwischen sind die EU-Wahlen zustande gekommen. Am 26.5. hat die ÖVP 34,55% der Stimmen bekommen und somit gewonnen. Die FPÖ hat keine großen Verluste eingebüßt, die Oppositionspartei SPÖ wiederum von der Affäre nicht profitiert. Zwar hat sie den zweiten Platz belegt, aber im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren etwas verloren. Kein Wunder, dass der Parteivorstand schnell gehandelt hat: Es wurde ein Misstrauensvotum gegen die neue Regierung Kurz eingebracht, das auch von der FPÖ unterstützt wurde. Ta da, am 27.5. wurde die Regierung abgewählt. Der Bundespräsident musste deswegen die Übergangsregierung II beauftragen, Hartwig Löger, der bis dato Finanzminister, wurde Übergangskanzler und ist gleich zum ersten Treffen des EU-Rats nach den Wahlen gereist. Sebastian Kurz will sich auf die kommenden Wahlen konzentrieren und hat das Mandat im Nationalrat nicht angenommen.
3. Juni: Angelobung der neuen Regierung
Die Suche nach einer neuen Regierung begann erneut. Ein Name hat sich schnell herauskristallisiert: Brigitte Bierlein, die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Alle Seiten haben sich zufrieden gegeben: eine Frau mit konservativeren Ansichten. Seit dem 3. Juni ist sie die erste Bundeskanzlerin Österreichs. Ihr Kabinett aus ehemaligen Beamt*innen wird mit ihrer Erfahrung und Expertise versuchen, das politische Vertrauen der Bürger*innen zu gewinnen.
Der Verlauf der letzten Tage lässt sich nicht kürzer zusammenfassen. Aber das ist kein Ende der Geschichte: Was ist nun mit Strache los? „Mein Herz sagt mir, dass er noch eine Rolle zu spielen hat“, um einen Klassiker zu zitieren. Er könnte EU-Abgeordneter werden. Was als reine Theorie schien, wurde dank mehr als 44 700 Vorzugsstimmen möglich. „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“, um einen anderen Klassiker zu zitieren.
Die Sache ist für die FPÖ problematisch: Die Ibiza-Affäre ist nicht aufgeklärt und das Thema wird sicher häufig angesprochen, falls Strache ins EU-Parlament. Im Gegenteil zu Johann Gudenus hat er auf die Parteimitgliedschaft nicht verzichtet. Die Partei könnte ihn beinhart ausschließen, aber man kann seine Verdienste für ihren Aufstieg nicht vergessen. Strache selbst lässt es noch offen, ob er das Mandat annimmt.
Die angespannte Lage zwischen den Parteien lässt vermuten, dass wir einen erbitterten Wahlkampf beobachten werden. Die Ibiza-Affäre hat dennoch gezeigt, dass wir einen wahren Wächter der Verfassung in der Person des Bundespräsidenten haben. Wenn wir uns noch auf die erwartete Besonnenheit der Regierung Bierleins verlassen, können wir zuversichtlich in die Zukunft schauen. Und „We’re going to Ibiza“ im Sonnenschein hören.
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