EM in Frankreich: Angst auf der Reservebank

, von  Gesine Weber

EM in Frankreich: Angst auf der Reservebank

Vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich war viel über Sicherheitskonzepte und die Gefahr terroristischer Anschläge diskutiert worden; nicht etwa der Sport, sondern die Frage nach der Sicherheit von Stadien und Fanmeilen dominierten die mediale Berichterstattung. Nun läuft die EM – mit wesentlich besserer Stimmung als vorhergesehen. Aus Paris berichtet unsere Redakteurin Gesine Weber

Wer in diesen Tagen als Tourist nach Paris kommt, kommt auch an der Fußball-EM nicht vorbei: Die Stadt ist voll mit Hinweisen auf diese sportliche Großveranstaltung, die Metrostationen mit Wegweisern zur nächsten Fanzone ausgestattet. Gerade das Wahrzeichen der Stadt, der Eiffelturm, ist im Mittelpunkt der Geschehens: In den Turm selbst wurde ein großer Fußball gehängt, der auch von Weitem nicht zu übersehen ist, bei den Spielen wird der Turm in den Farben der gegeneinander antretenden Mannschaften angestrahlt. Am Fuße des Terms erstreckt sich die größte Fanzone der französischen Hauptstadt; das Champ de Mars, die Grünfläche vor dem Turm, auf der normalerweise Touristen für Fotos posieren, hat sich in einen Platz für ein Fußballfest verwandelt, auf dem mehrere tausend Menschen auf Leinwänden die Spiele live verfolgen können.

Sicherheit als prima ratio

Erinnert man sich an die Fußball-WM vor zehn Jahren in Deutschland, kommt schnell der Begriff „Sommermärchen“ auf, Gedanken an ausgelassene Stimmung und ein Land im Fußballrausch. Auch, wenn man in Paris aktuell am Fußball nicht vorbeikommt, zeigt die Situation, dass sich Europa verändert hat. In Folge der verheerenden Terroranschläge am 13. November 2015 ist ein umfassendes Sicherheitskonzept erarbeitet worden; dies macht sich durch die erhöhte Anzahl von Kontrollen an wichtigen Sehenswürdigkeiten bemerkbar, sondern vor allem in der Fanzone am Eiffelturm. So sind einige Straßen um den Eiffelturm dauerhaft gesperrt, seit Beginn der EM werden Busse umgeleitet. Einige Stunden vor Öffnung der Fanzone wird schließlich ein großer Bereich um den Eiffelturm herum für Autos nahezu komplett abgeriegelt, das ganze Viertel scheint lahmgelegt; ausschließlich die Metro funktioniert wie gewohnt. Wer letztendlich das Fußballspiel am Fuße des Eiffelturms verfolgen will, muss sich auf viele Kontrollen und einstellen; bevor sie auf das Gelände gelangen, werden die Besucher dreimal kontrolliert und abgetastet. Dass die Sicherheit in der Stadt eine zentrale Rolle spielt, spiegelt sich neben der offensichtlichen Präsenz von Polizei und Militär auch in den Zahlen: Allein in Paris sind während der EM über 3.000 zusätzliche Polizisten im Einsatz.

Fans: Gutes Gefühl und gute Stimmung

Genau dieses präzise Sicherheitskonzept kommt allerdings bei den Besuchern der Pariser Fanmeile gut an: Während der Halbzeitpause des Viertelfinalspiels zwischen Deutschland und Italien sagten alle der befragten Besucherinnen und Besucher der Fanmeile am Eiffelturm im Gespräch, dass sie sich an diesem Ort, aber generell in Paris auf Grund der erhöhten Polizei- und Militärpräsenz sowie der Kontrollen sehr sicher fühlten. Natürlich sei es schade, dass dies nötig sei, fügte ein junger Mann hinzu, und es könne sicher nicht jeden Anschlag verhindern. Das durchweg als positiv bewertete Sicherheitsgefühl führe laut den Besuchern zudem dazu, dass die Stimmung auf der Fanmeile gut sei, was sowohl Einheimische als auch Touristen bestätigten. „Das Spiel ist langweilig, die Leute sind entspannt und Fans aller Mannschaften schauen hier gemeinsam Fußball, und genau so muss es sein!“, so ein englischer Fußballfan. Im direkten Vergleich mit der EM in der Ukraine und der WM in Südafrika, so erzählt ein Mann aus Asien, habe er nie eine so gute Stimmung bei den Fans erlebt. Tatsächlich bestätigen alle Befragten im Gespräch diese Tendenz: Man fühlt sich wohl auf der Fanmeile und kommt gern wieder dorthin zurück.

Die Angst im Unterbewusstsein

Wie tief die Angst vor Anschläge während der EM jedoch tatsächlich sitzt, zeigten die Szenen, die sich am Samstagabend auf der Fanmeile in Paris abspielten, wo an diesem Abend fast 28.000 Fans gemeinsam feierten. Während der 90. Minute, als bereits jeder fest mit Nachspielzeit rechnet, gerieten vorn auf der Fanmeile einige Fans in Panik; Medien sprechen von einer Schlägerei, auf Twitter berichten Nutzer davon, dass ein Feuerwerkskörper gezündet worden sei. Die meisten Fans in der Mitte der Fanzone bekamen zu diesem Zeitpunkt nicht mit, dass sich vorn etwas ereignete, aber innerhalb weniger Sekunden ergriff Panik die komplette Fanzone und Massen von Menschen rannten zu den Ausgängen; bei dieser Massenpanik gab es mehrere Verletzte. Innerhalb von wenigen Minuten verließ ein Großteil der Besucher die Fanmeile, obwohl die Sicherheitskräfte mehrfach darüber informierten, dass man ohne Probleme bleiben könne. Das Spiel wurde weiter übertragen; dennoch zeigen solche Ereignisse, wie tief die Angst vor Anschlägen unbewusst verankert ist, und wie stark die Konsequenzen dieser Angst sein können. Ein Charakteristikum von Terrorismus ist, dass es ihm gelingt, ein Klima der Angst zu schaffen und sich in den Köpfen der Menschen einzunisten; für den Terror des IS trifft dies zweifelsfrei zu. Sicherheitsvorkehrungen mögen ein gutes Gefühl geben und die Stimmung lockern können, aber auch noch so viele Polizisten können gegen verdrängte oder unbewusste Ängste nicht einschreiten. Dass Terrorismus auch im Kopf passiert, hat die Massenpanik in der Pariser Fanzone auf traurige Art und Weise bestätigt.

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