Die EU-Institutionen feiern die populäre Abschaffung der Gebühren als Sieg, nachdem die langwierigen Verhandlungen im April endlich abgeschlossen worden waren. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Parlamentspräsident Antonio Tajani und der maltesische Premierminister Joseph Muscat, dessen Land gerade den Ratsvorsitz inne hat, sagten gestern in einem gemeinsamen Statement, das Ende der Roaming-Gebühren sei „einer der größten und greifbarsten Erfolge der EU.“
Es gibt allerdings einige Haken: Mobilfunkanbieter können nationale Behörden um Ausnahmen beten, wenn sie beweisen können, dass ihr Geschäft unter den neuen Roaming-Regeln leiden würde. Außerdem könnten die Firmen im schlimmsten Fall das Roaming auch komplett einstellen; dann hätten die Kunden überhaupt keinen Mobilfunkservice mehr, wenn sie eine EU-Grenze überqueren. Darüber hinaus kann ein Anbieter begrenzte Gebühren erheben, wenn der Kunde sich mehr im Roaming-Land aufhält, als im Land, in dem er seine Rechnung zahlt. Diese Gebühren sind auf maximal 3,2 Cent/Minute für Anrufe, 1 Cent für SMS und 7,70 Euro pro Gigabyte Datennutzung festgelegt und sollen ab 2018 weiter fallen.
Während einige Firmen bereits warnten, sie müssten möglicherweise ihre Inlandspreise anheben, um die zu erwartenden Roamingverluste auszugleichen, schätzt die Kommission die Risiken als gering ein. Laut ihr haben die nationalen Behörden bisher auch nur sehr wenige Ausnahmen genehmigt, meistens für kleine Anbieter.
Kunden mit Verträgen mit unbegrenzter Datennutzung könnten allerdings den Schwarzen Peter ziehen, da ihnen beim Reisen wohl nur eine begrenzte Datennutzung zugestanden würde. Die Telekom-Unternehmen werden genau berechnen, wieviel Datenkapazität dem Benutzer laut EU-Regeln zusteht und ab wann er extra zahlen muss.
Die Kommission behauptet derweil, die Unternehmen könnten durch die Abschaffung der Roaming-Gebühren sogar eher Gewinne machen: Wenn die Kunden im Ausland mehr Daten nutzen wollen, kaufen sie wahrscheinlich die teureren Pakete mit höherem Datenvolumen, so die Argumentation. „Die EU hat jetzt die letzten Hürden für grenzübergreifende Datennutzung beseitigt. Das kann nur dazu führen, dass die Nachfrage steigt“, glaubt auch Guillermo Beltrà von der Verbraucherorganisation BEUC. Jetzt sei „eine tolle Zeit, um im Mobilfunk-Business zu sein.“
Nationale Märkte
„Wir wollten die Gebühren ursprünglich nicht auf einen Schlag abschaffen, weil wir fürchteten, dass dies kleinere Anbieter gefährden würde”, erklärt Viviane Reding von der luxemburgischen Parti chrétien und der EVP im Europaparlament. Sie hatte im Jahr 2007 als Kommissarin für Medien und Informationsgesellschaft einen schrittweisen Ausstieg aus den Gebühren vorgeschlagen.
Reding stellt auch klar, das Ende der Roaming-Gebühren sei nur ein Schritt zur kompletten Abschaffung digitaler Grenzen innerhalb der EU. „Der Telekommunikationsmarkt ist immer noch in nationale Märkte unterteilt. Es wird noch etwas dauern, bis sich ein echter transnationaler Markt entwickelt. Wie und wie viele Frequenzen verkauft werden, ist beispielsweise immer noch eine sehr nationale Sache und hängt von den jeweiligen Finanzministerien ab“, so Reding gegenüber EURACTIV.com. Bisher weigern sich die EU-Mitgliedsländer, die lukrative Vergabe von Radiofrequenzen an Mobilfunkunternehmen abzugeben.
Internationale Telefongespräche
Im Europäischen Parlament schwelt derweil bereits der nächste Streit über weitere Reformen: die Preise für weiterhin teure Festnetz-Anrufe von einem EU-Land in ein anderes sollen begrenzt werden. Dies sei nur ein logischer Schritt nach dem Ende der Roaming-Gebühren, argumentieren viele MEPs.
Kommissionsbeamte, die derzeit an neuen Telekommunikations-Richtlinien arbeiten, kontern allerdings, so eine Regulierung sei nicht mehr nötig, da die Verbraucher ohnehin eher digitale Services wie Skype oder WhatsApp nutzten, um ins Ausland zu telefonieren. „Es gibt genug Wettbewerb“, so ein Beamter.
Einige MEPs glauben aber, dass digitale Dienste nicht zu Preissenkungen bei Festnetztelefonaten führen werden. Der spanische sozialistische MEP José Blanco (S&D) möchte auch aus einem anderen Grund eine Regulierung durchsetzen: „Natürlich kann es sein, dass durch IP-Voice-Dienste die Telefon-Preise herunter gehen. Es geht aber nicht nur um die Kosten für Telefonate sondern um die Rationalität des Systems.“ Es mache „einfach keinen Sinn“, Mobilfunkpreise zu begrenzen und Festnetzpreise nicht.
Dem stimmt auch Guillermo Beltrà von BEUC zu: „Das hätte gleichzeitig mit der Roaming-Reform passieren sollen; aber dann muss es eben jetzt geschehen. Es ist nie zu spät.“
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