EU-China-Beziehung: Zwischen abgesagtem Gipfel und (k)einer gemeinsamen Außenpolitik

, von  Friederike Graupner

EU-China-Beziehung: Zwischen abgesagtem Gipfel und (k)einer gemeinsamen Außenpolitik
Blick auf das Palastmuseum im chinesischen Peking. Foto: Unsplash / kit sanchez / Unsplash License

Mitte September 2020 sollte ein Höhepunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Leipzig stattfinden: der EU-China-Gipfel. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde er verschoben, der neue Termin ist noch unklar. Gerade nach Verkündung des Hongkonger Sicherheitsgesetzes und dem weltweiten Kampf gegen die Covid-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen wäre ein zeitnaher Gipfel von immenser Bedeutung gewesen. Er hätte die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China auf ein solideres Fundament stellen können.

Der geplante EU-China-Gipfel hätte ein best-practice-Beispiel für eine gemeinsame europäische Außenpolitik unter aktiver Einbindung der Mitgliedsstaaten werden können: ein Vollgipfel mit den Staats- und Regierungschef*innen aller Mitgliedsländer, dem Ratspräsidenten und der Kommissionspräsidentin - und das alles unter deutscher Ratspräsidentschaft. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte mit dem Gipfel neue Brücken zu China bauen, doch der Gipfel wurde bis auf weiteres verschoben. Die Absage erscheint symptomatisch - vom Partner zum Wettbewerber, zum systemischen Rivalen. Die optimistische Stimmung mit Blick auf China ist der Sorge vor einer Ausweitung des Einflusses in Europa gewichen, nicht nur vor dem Hintergrund der ökonomischen Verwerfungen durch die Pandemie. Der Gipfel und sein Kernziel, der Abschluss eines neuen Investitionsabkommens zwischen der EU und China und dem damit verbundenen europäischen Ruf nach „Transparenz, Reziprozität und Respekt“, scheint fern von einer Realisierung. Vier Dauerthemen, die dabei zwischen der EU und China stehen: Wirtschaft, Menschenrechte, Geopolitik und Umweltschutz.

Schutz vor Verzerrungen und unfairen Übernahmen

Seit dem wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas stellt auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Konstante in der europäischen Außenpolitik gegenüber der Volksrepublik dar. Mit wachsender Wirtschaftsstärke letzterer wurde von den internationalen Partnern, u.a. auch der EU, eine Öffnung der Märkte für ausländische Unternehmen erwartet. Doch diese kommt bis heute langsamer als erwartet - und hat im Falle der US-China Beziehungen zum derzeitigen Handelskrieg beigetragen.

China hat anders als die europäischen Länder keine soziale Marktwirtschaft, sondern eine sozialistische: relevant in diesem Kontext ist vor allem, dass viele Unternehmen Staatseigentum sind. Dadurch ergibt sich das System „eine Wirtschaft, zwei Systeme“. Auf der einen Seite gibt es in China bestimmte Wirtschaftssektoren, die für ausländische Investitionen geöffnet sind und den Regeln von Angebot und Nachfrage folgen. Wettbewerbsfähige Privatunternehmen Chinas haben hier in etwa die gleiche Relevanz wie ihre europäischen Pendants. Andererseits gibt es Sektoren, in denen staatseigene Konzerne vertreten sind, dort verschlechtert sich die Situation für ausländische Unternehmen, auch in Folge der Pandemie extrem. Staatsfirmen werden subventioniert und können so günstigere Angebote ausstellen als internationale, nicht-staatlich subventionierte Unternehmen. Diese haben somit nicht dieselben Wettbewerbschancen wie chinesische Unternehmen.

Zusätzlich gilt für den Marktzugang zu bestimmten Sektoren der sogenannte Joint-Venture-Zwang, der ausländische Firmen dazu verpflichtet, Partnerschaften mit chinesischen Firmen einzugehen, um Geschäfte in China betreiben zu dürfen. Innerhalb dieser erzwungenen Partnerschaft eines ausländischen Unternehmens mit dem chinesischen Pendant finden meist Technologietransfers statt. Ziel des chinesischen Joint-Venture Zwangs ist es, den ausländischen Technologievorsprung einzuebnen. Vor allem in Sektoren, in denen europäische Firmen zu den Marktführern zählen, wie in der Automobilherstellung, der Pharmazie, Medizintechnik sowie in der Chemie und Ölverarbeitung, berichtet die europäische Handelskammer in China von regelmäßigen Fällen des erzwungenen Technologietransfers. Dies bedeutet, dass Unternehmen im Gegenzug zu einem Marktzugang in China zur Weitergabe der eigenen Technologie gezwungen werden.

Schädlicher Mangel an Reziprozität

Das Jahr 2020 hätte das goldene Jahr für die EU-China-Beziehungen werden sollen, mit dem Abschluss der Verhandlungen zum umfassenden Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment in China, CAI) als Höhepunkt. Dieses wird bereits seit sieben Jahren und mehr als 30 Verhandlungsrunden verhandelt und könnte Maßstäbe für die künftige Dynamik zwischen zwei der drei größten Volkswirtschaften der Welt setzen. Doch bisher können sich Brüssel und Peking noch nicht einmal auf einen gemeinsamen Namen für das Abkommen einigen. In Peking wird es als bilateraler Investitionsvertrag China-EU bezeichnet. Für Brüssel ist es ein umfassendes Investitionsabkommen zwischen der EU und China. Und hier liegt schon der erste Knackpunkt, denn Sprache ist Macht- an wen ist das Abkommen letztendlich adressiert und lassen sich die unterschiedlichen Erwartungen miteinander vereinbaren?

Ziel auf europäischer Seite ist es, die 26 bereits bestehenden bilateralen Investitionsförder- und Schutzabkommen, die zwischen China und einzelnen EU-Mitgliedstaaten existieren, abzulösen. Es soll das erste reine Investitionsabkommen auf europäischer Ebene darstellen, was seit 2009 durch den Vertrag von Lissabon möglich ist, nachdem die Kompetenz für Investitionen von den Mitgliedsstaaten auf die EU-Ebene übertragen wurde. Außerdem soll das Abkommen auch inhaltliche Erweiterungen beinhalten. Regeln zum Investitionsschutz (verbesserte Rechtssicherheit), dem Abbau von Marktzugangsbarrieren (wie Joint-Venture-Regelungen), gleiche Wettbewerbsbedingungen und dem geistigen Eigentum sollen beschlossen werden. Europäischen Unternehmen würde damit (endlich) ein gleichberechtigter Zugang zum chinesischen Markt ermöglicht werden.

Ein Treffen in der Mitte ist unmöglich

Betrachtet man die Themen des CAIs, scheinen die geplanten Neuerungen größtenteils Vorteile für europäische Unternehmen hervorzubringen. Doch woher kommt das Interesse der chinesischen Seite an diesem Abkommen? „Der Hauptzweck eines solchen bilateralen Investitionsabkommens für China besteht darin, den Eintritt in den europäischen Markt zu erleichtern.“, betont Ye Bin, Wissenschaftler am Institut für Europa Studien an der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften gegenüber SCMP. Doch die Bedeutung des CAI für China ist auch in einem weiteren Kontext zu sehen, die USA und China können nach einem möglichen Ende des Handelskrieges nicht einfach zur Normalität zurückkehren. „Die Welt befindet sich in einem massiven Wandel und China steht vor großen Unsicherheiten. Ein Abkommen mit Europa kann China zumindest ein wenig Sicherheit geben.“

Doch China scheint nicht bereit zu sein, den Preis für diese Sicherheit zu zahlen. Im Rahmen der Verhandlungen wurde von chinesischer Seite wiederholt ein höherer Grad an Flexibilität von europäischer Seite gefordert, doch ein stärkeres Entgegenkommen ist von europäischer Seite nicht opportun. Der europäische Markt ist für chinesische Investoren bereits weitgehend geöffnet. Um europäische Unternehmen nicht vor den Kopf zu stoßen und gleiche, also faire Wettbewerbsbedingungen zu garantieren, muss die chinesische Seite mehr als einen Schritt auf die EU zugehen.

Die konstanten Drei: Menschenrechte, Geopolitik und Klimawandel

Doch wirtschaftliche Kooperation ist nicht das einzige Thema, was auf der Agenda des Vollgipfels gestanden hätte und eigentlich auf der Agenda eines jeden EU-China Gipfels steht. Menschenrechte, Geopolitik und Klimawandel sind die drei ständigen Begleiter der europäischen Außenpolitik mit China. Besonders bei dem Thema Menschenrechte gibt es dabei kaum einen an Ergebnissen messbaren Austausch. Zwar hat China im Jahr 2004 (fast 55 Jahre nach Staatsgründung) die Menschenrechte in die Verfassung aufgenommen und mittlerweile auch die wichtigsten Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen ratifiziert, doch in der Realität wird dem Land eine systematische Missachtung dieser vorgeworfen. Der UN-Menschenrechtsrat, andere Menschenrechtsorganisationen, sowie chinesische Intellektuelle und Oppositionelle werfen der Volksrepublik regelmäßige Verstöße vor.

Wird vom Ausland Kritik an der Menschenrechtslage in China geübt, wird diese von der Regierung stets als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ verurteilt und ignoriert oder mit Sanktionen bestraft. Seit einigen Jahren konnten dennoch mehrere Länder, unter anderem die Bundesrepublik, einen Menschenrechtsdialog mit China etablieren. Dieser wird jedoch sogar aus Regierungskreisen als „mühsamer und langwieriger Prozess“ beschrieben, der von „deutlichen Meinungsverschiedenheiten“ geprägt sei.

Konkret wären auf dem Gipfel in Leipzig aktuelle Menschenrechtsthematiken auf die Tagesordnung gesetzt worden: Neben der Umsetzung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong und der Lage in Tibet, wären auch die Vorwürfe der Zwangsarbeit in Xinjiang thematisiert worden.

Zudem ist China ein zunehmend selbstbewusster geopolitischer Akteur, den die EU nicht außer Acht lassen kann. Im Westpazifik beispielsweise war die Volksrepublik 2011 an 16 verschiedenen Gebietskonflikten beteiligt. Weitere geopolitische Streitpunkte stellen der Anspruch der Volksrepublik auf die sogenannte Republik China auf der Insel Taiwan dar und mehrere Inselkonflikte im südchinesischen Meer.

Spätestens durch Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin und selbsternannte „EU-Klimaministerin“, hat auch das Thema Umweltschutz seinen Weg in die EU-China-Beziehungen gefunden. In Folge des letzten Gipfels wurde ein hochrangiger Klimadialog zwischen den Partnern angekündigt. China steht, genauso wie die EU, nach wie vor zum Pariser Klimaschutzabkommen. Mögliches Thema des Klimadialogs sind Strategien zur CO2 Reduktion und zum Ausstieg aus der Kohle. Denn während der Anteil der EU an der weltweiten Kohlestromproduktion derzeit sinkt, baut China seine Kraftwerke weiter aus.

Kleinstaaterei statt EU-Gipfel

Zwei Wochen nach Absage des EU-China-Gipfels in Leipzig nahm die EU unter Leitung von Kommissionspräsidentin von der Leyen und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, an dem 22. EU-China-Gipfel per Videoschalte teil. Diese Form der EU-China-Gipfel findet jährlich und bilateral statt: Er wäre dieses Jahr in Peking ausgerichtet worden. Er ist jedoch nicht mit dem geplanten Leipzig-Gipfel zu vergleichen: Dieses Event wäre der erste Vollgipfel zwischen der EU und China gewesen, an denen alle Mitgliedsstaaten vertreten durch ihre Staats- und Regierungschef*innen, den EU-Vertreter*innen und China teilgenommen hätten. Daher soll er weiterhin „physisch stattfinden, wenn die pandemischen Bedingungen das zulassen“.

Der Gipfel in Leipzig wäre eine Chance für die europäischen Länder gewesen, die Einigkeit der EU nach außen zu zeigen und eine gemeinsame europäische Außenpolitik umzusetzen. Eine europäische Einheit in der Außenpolitik hätte ein klares Zeichen der EU an China gesendet – das eines geeinten Europas, welches den Wert des eigenen Marktes kennt und bereit ist, die eigenen Werte zu verteidigen.

Was stattdessen folgte kann jedoch nur als Gewinn Chinas und als Zeichen für die innere Zerrüttung der EU gelesen werden. Während sich Angela Merkel, Emmanuel Macron und von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker im März 2019 noch gemeinsam mit Chinas Staatschef Xi trafen, wurde der chinesische Außenminister Wang Yi im Sommer 2020 von den europäischen Ländern wieder einzeln empfangen. Er bereiste vom 25. August bis 01. September mehrere europäische Länder und traf sich dort mit seinen Counterparts. Dennoch kann diese Promotour nicht als ein Ende des gemeinsamen Ansatzes einer europäischen Außenpolitik gewertet werden.

Wenn gemeinsame Werte Europa einen

Sollte das Ziel von Wang Yis Reise das Stärken einer positiven Einstellung der Europäer*innen gegenüber der Volksrepublik gewesen sein, so war das vor dem Hintergrund der Pandemie, der Menschrechtslage in China und dem neuen Sicherheitsgesetz in Hongkong kaum möglich.

Auch wenn die europäischen Minister*innen und Staats- und Regierungschef*innen keine gemeinsamen Treffen veranlassten, so war zuvor doch eine gemeinsame Front der Werte zu spüren. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte in Berlin von Wang das Einsetzen einer UN-Beobachtermission zur Menschenrechtslage in China und die Rücknahme des Sicherheitsgesetzes für Hongkong.

Auch auf den anderen Stationen seiner Reise wurde Wang von kritischen Stimmen aus der Zivilgesellschaft, dem Journalismus und den Parlamenten begleitet. Auf einer Pressekonferenz im norwegischen Oslo wurde er nach einer chinesischen Reaktion auf eine mögliche Vergabe des Friedensnobelpreises an Hongkong gefragt. Berichten der South China Morning Post zufolge, habe Wang sogar vor der Vergabe des Preises an die Protestierenden in Hongkong gewarnt und Norwegen dazu aufgefordert, die „gesunden und stabilen“ bilateralen Beziehungen zu China zu pflegen, anstatt sie noch einmal einfrieren zu lassen. Dies geschah bereits im Jahr 2010, als der Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo, einen chinesischen Schriftsteller und Menschenrechtler, vergeben wurde. In den Niederlanden wiederum wurde Wang zu einer Debatte des Auswärtigen Ausschuss des Parlaments über die aktuelle Menschenrechtslage in China eingeladen, die er nicht annahm. Auf Kritik an der anfänglichen Reaktion Chinas auf den Ausbruch von Covid-19 reagierte Wang mit Aussagen, die Zweifel daran schüren sollten, dass Covid-19 aus China komme.

Europa und China eint keine Wertegemeinschaft

Wang Yis Promotour durch Europa ist ein glänzendes Beispiel für die Zersplitterung Europas bei wirtschaftlichen Fragen und dem anhaltenden nationalen Denken. Sie zeigt aber auch, dass uns das gemeinsame Modell der Demokratie und die Idee einer aktiven Zivilgesellschaft eint. Europa steht für gleiche Werte ein- auch ohne Absprache.

Die erhoffte Suche nach chinesisch-europäischer Harmonie in Zeiten der Covid-19-Pandemie und des Handelskrieges zwischen China und den USA konnte diese Europareise jedoch kaum erfüllen. Dafür hat sie das Bewusstsein von Abgeordneten der nationalen Parlamente und Teilen der europäischen Zivilgesellschaft auf die chinesische Außenpolitik gezogen und die (Un)Vereinbarkeit der chinesischen Politik mit Werten, die die Basis der europäischen Union darstellen, erneut in Frage gestellt.

Die offene Ansprache von kritischen Themen gegenüber Wang, die Aussetzung des Auslieferungsabkommen mit Hongkong und der jüngste Beschluss der EU zur Beschränkung von Exporten, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung von Kommunikation genutzt werden könnte, sollten allerdings nicht falsch verstanden werden.

Wer sich jetzt eine härtere China Politik von den nationalen Regierungen erwartet, liegt falsch. Die Proteste und kleinen Momente des Widerstandes während Wang Yis Europareise waren getrieben von aktiven (Oppositions-) Politiker*innen, der Zivilgesellschaft und Journalist*innen, die unbequeme Fragen stellten. Auch wenn beispielsweise in der CDU/CSU mittlerweile interne Kritik an der China-Politik der Bundesregierung aufkommt, ist kaum mit einer generell härteren Politik der EU und ihrer Mitglieder gegenüber China zu rechnen. Fragen über Wirtschaft und Menschenrechte werden immer noch getrennt voneinander verhandelt, obwohl der Absatzmarkt der EU auch für China eine hohe Relevanz hat, und so als starkes Druckmittel genutzt werden könnte.

Viele Europäer*innen, die zuvor kein tiefer gehendes Interesse an China hatten, haben das letzte Jahr damit verbracht, über Dinge wie die „Neue Seidenstraße“, einem chinesischen Infrastrukturprogramm, das von internationaler Seite als kontrovers eingestuft wird, „17+1“ und die Vorwürfe der Zwangsarbeit in Xinjiang zu lesen. Und nach in Kraft treten des nationalen Sicherheitsgesetzes von Hongkong war der Aufschrei in den weltweiten Medien groß. Die deutschen Regierungsparteien sollten das steigende Bewusstsein der Zivilgesellschaft für die Außenpolitik gegenüber China nicht unbeachtet lassen- insbesondere im Kontext der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Denn die Wahrnehmung und Zufrieden- oder Unzufriedenheit mit der Politik der Regierungspartei(en) spiegelt sich in Demokratien in der darauffolgenden Wahl wider.

EU-China-Beziehungen im Wandel

Um zu verstehen, warum die Außenpolitik der EU so unstrukturiert wirkt und nicht auf die Weltmacht China zu passen scheint, ist ein Blick auf die außenpolitische Entwicklung Chinas notwendig.

Chinas Einfluss in der internationalen Sphäre der Politik und Wirtschaft ist seit dem Beitritt der Volksrepublik zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 stetig gestiegen. Daraus hat sich auch ein stetiger Wandel der Beziehungen zwischen der EU und China, aber auch zwischen den einzelnen EU-Mitgliedern und China ergeben. Relevant dafür ist besonders der außenpolitische Wandel Chinas, weg von den Doktrinen Deng Xiaopings (1979-1997), die von der Strategie des kühlen Beobachtens, des Nichteinmischens und allgemeiner Zurückhaltung geprägt waren. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts tritt China auf internationaler Ebene zunehmend aktiver auf. Dieser außenpolitische Wandel Chinas unter Xi Jinping (2012-heute) führt zu einem steigenden Bewusstsein dafür, dass für ein ausbalanciertes Machtverhältnis in Verhandlungen eine gemeinsame europäische Außenpolitik notwendig ist. Einzelne EU-Mitglieder können sich gegenüber der zunehmend selbstbewussten Volksrepublik sonst kaum behaupten.

Die EU - auf der Suche nach einer Strategie

Eine Reaktion auf die vielfältigen Herausforderungen, aber auch Chancen in den Beziehungen zu China stellt das im Jahr 2019 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Strategiepapier „EU-China– Strategische Perspektiven“ dar. Denn China ist für die EU gleichzeitig Partnerland, Verhandlungspartner, wissenschaftlicher Konkurrent und Systemrivale, „der alternative Governance-Modelle propagiert“. Ziel des Strategiepapiers ist, diese vier teils widersprüchlichen Rollen in einer „kohärente Strategie“ zusammenzufassen. Dies ist besonders relevant, da als zentraler Schwachpunkt der bisherigen Chinapolitik(en) eine mangelnde Kohärenz der Chinapolitiken einzelner Mitgliedstaaten sowie Partikularinteressen einzelner Staaten benannt werden.

Das Dokument der EU setzt sich selber und den Mitgliedsländern drei Ziele für die zukünftige gemeinsame europäische Außenpolitik gegenüber China: Ein zukünftiges Engagement der EU gegenüber China muss auf klar definierten Interessen und Grundsätzen basieren. Nur so können die gemeinsamen Interessen auf globaler Ebene gestärkt werden. Zusätzlich muss sich die EU nachdrücklich für ausgewogenere und für beide Seiten geltende Bedingungen in den Wirtschaftsbeziehungen einsetzen. Dies ist darüberhinausgehend nur möglich, wenn die EU sich an die veränderten wirtschaftlichen Realitäten anpasst und eine Stärkung der eigenen Innenpolitik und Industriebasis vorantreibt.

Mit diesen drei Schritten plant die EU ihren Einfluss, wirtschaftlichen Wohlstand, europäische Werte und das Sozialmodell langfristig erhalten zu können.

Europäische Einheit ist Grundvoraussetzung für eine europäische Stimme, die von Supermächten wie China, den USA und Russland gehört werden und ernst genommen werden will. Auch Charles Michel stellte dies nach dem letzten Gipfel fest, “die EU muss ein Spieler und nicht das Spielfeld“ der Supermächte sein. Das Strategiepapier lässt jedoch viel Spielraum für Interpretationen. Wie und ob diese gemeinsame europäische Außenpolitik funktioniert, wird sich erst auf dem nachgeholten Vollgipfel zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten und China zeigen. Denn ohne Gipfel gibt es keine gemeinsame Plattform auf der Abkommen thematisiert und geschlossen werden. China wird so seine Strategie, mit einzelnen EU-Ländern bilaterale Abkommen zu treffen und die EU-Staaten Europas damit unumwunden gegeneinander auszuspielen weiterführen.

Hätte der Leipzig-Gipfel stattgefunden, dann hätten sich alle Mitgliedstaaten an den offiziellen, europäischen Plan halten müssen und nicht wieder eigene, nicht abgesprochene bilaterale Abkommen mit China schmieden dürfen. Denn nur eine geeinte EU hat eine Chance, von China als gleichwertiger Partner angenommen zu werden und faire Verträge auszuhandeln. Wenn das auf dem zukünftigen Gipfel funktioniert, kann es als erster Schritt in die richtige Richtung gewertet werden. Denn dann hätten die gemeinsame europäische Außenpolitik und das Strategiepapier gegenüber China seine erste Bewährungsprobe gemeistert.

Und dann gab es doch noch einen Gipfel

Nach ursprünglich ersatzloser Verschiebung auf unbestimmte Zeit des Leipzig-Gipfels, wurde am 14. September dann doch noch ein Gipfel zwischen der EU und China abgehalten. Er stellte aber keinen Ersatz für den Leipzig-Gipfel dar, da in der Videokonferenz am 14. September nur Ratspräsident Charles Michel, Kommissionspräsidentin von der Leyen und Angela Merkel, als Vertreterin der deutschen Ratspräsidentschaft, teilnahmen.

In der Konferenz wurden die Themen Klimawandel, wirtschaftliche Handelsfragen, internationale Beziehungen, die Covid-19 Pandemie und die weltweite Erholung von letzterer besprochen. In der auf den Videogipfel folgenden Pressekonferenz zeigte sich die europäische Seite bewusst optimistisch, erklärte aber auch realistisch auf die Ergebnisse zu blicken. Bei den Forderungen nach einem besseren Marktzugang und einem Investitionsabkommen wurde von Peking aus nicht nachgegeben; de facto gibt es in den essentiellen Bereichen des Abkommens also keine Fortschritte. Ein entsprechendes Abkommen, welches ursprünglich in Leipzig besiegelt werden sollte, sei nach Merkel „möglich“, externe Expert*innen sagen aber, dass es das Abkommen realistisch gesehen dieses Jahr nicht mehr geben wird.

Was die drei EU-Vertreter*innen aber schafften, war selbstbewusst und geeint gegenüber China aufzutreten - sogar Italien, das als bisher einziges EU-Land direkt an der Neuen Seidenstraße beteiligt ist, unterstützte die aktuelle EU-Front.

Eine unabhängige EU - jetzt oder nie?

Der europäische Markt ist bereits heute weitgehend für chinesische Investor*innen geöffnet. Wer sich mit China in der Mitte treffen will, trifft sich an einem Punkt, der fern von fairen Wettbewerbsbedingungen ist und ignoriert die Relevanz des europäischen Marktes für China.

Es gilt mehr als je zuvor: Jetzt oder nie. Der Wille der europäischen Wirtschafts- und Politikelite spricht momentan für ein starkes CAI, aber die Stimmen von politischen Parteien und Wähler*innen werden immer kritischer und lauter. Wie vereinbar sind europäische Werte mit der politischen und sozialen Ausrichtung Chinas?

2020 ist nicht das Jahr des Handelns in den EU-China Beziehungen, ein Abschluss des Investitionsabkommens in diesem Jahr- nahezu unmöglich. Doch Europa sollte das Jahr nutzen, um sich von innen zu stärken, zu einem europäischen Selbstbewusstsein in Bezug auf Werte und Wirtschaft zu kommen und sich auf 2021vorzubereiten. Europa muss weiterhin auf ein sinnvolles Investitionsabkommen und einen Gipfel im nächsten Jahr hinarbeiten. Nur so kann Europa stärker aus der Covid-19-Pandemie hervorgehen und sich als unabhängige Wirtschaftsmacht im globalen Wettbewerb etablieren.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom