Ein Interview mit Jutta Urpilainen

EU-Kommissar*innen: Politiker*innen oder Beamt*innen?

, von  Juuso Järviniemi, übersetzt von Sarah Diehl

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EU-Kommissar*innen: Politiker*innen oder Beamt*innen?

Jutta Urpilainen, frühere Finanzministerin und Gründungsmitglied von JEF-Finnland, ist die finnische Kandidatin für die nächste EU-Kommission. Zwei Monate bevor sie sich neuen Aufgaben in Berlaymont widmet, macht sie sich Gedanken über die wirtschaftlichen Perspektiven Europas und darüber, was es bedeutet, ein Mitglied der EU-Kommission zu sein.

Sind EU-Kommissar*innen Politiker*innen oder Beamt*innen?

Die Tatsache, dass die Aufgabe eines*r Kommissars*in nicht darin besteht, die Interessen einzelner Mitgliedsstaaten zu vertreten, sondern die Interessen der EU als Ganzes im Blick zu behalten und eine gleichmäßige Entwicklung in der gesamten Union zu fördern, ähnelt den Funktionen von Beamt*innen im öffentlichen Dienst. Gleichwohl bedeutet das Initiativrecht der EU-Kommission, dass diese in der Praxis die legislative Agenda bestimmt und dadurch eine maßgebliche Rolle dabei spielt, die politische Zukunft der EU zu gestalten. Zudem werden die Nominierungen der Kommissionsmitglieder durch ein gewähltes Parlament bestätigt.

Während Ihrer Amtszeit als finnische Finanzministerin von 2011 bis 2014 fanden Sie sich im Zentrum der Eurokrise wieder. Welche Lehren haben Sie aus dieser Krise gezogen?

Ich habe viele Dinge gelernt, beispielsweise, dass wir innerhalb der EU selbst im Zuge einer großen Krise dazu fähig sind, Entscheidungen zu treffen und im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.

Die wirtschaftlichen Aussichten der EU sind gerade schlecht wie lange nicht mehr. Ist die EU in politischer und wirtschaftlicher Sicht tragfähig genug für die nächste Krise?

Der Brexit hat gezeigt, dass die EU-Mitgliedsstaaten, wenn es darauf ankommt, die Fähigkeit und den Willen zu politischer Einheit besitzen. Hinsichtlich der politischen Stabilität stellen innenpolitische Krisen, die auf die EU-Ebene ausstrahlen, die am schwierigsten vorhersagbaren Herausforderungen dar.

Wir haben nun ein realistischeres Bild der Risiken im Bankensektor als zu Beginn der Eurokrise und haben gemeinsame Regulierungen und Überwachungsmechanismen geschaffen, um die finanzielle Stabilität der Banken zu verbessern. Obwohl die Bankenunion noch nicht vollendet ist, ist die EU dank der nach der Finanzkrise neu geschaffenen Instrumente nun stabiler als vor der Eurokrise.

Wie sieht es langfristig aus: Was sind die drei größten wirtschaftlichen Herausforderungen für Europa in den kommenden Jahrzehnten?

Erstens, der Klimawandel, die größte singuläre Bedrohung unserer Zeit, die verschiedenste direkte und indirekte soziale, ökologische und wirtschaftliche Folgen hat. Zweitens, dass unser Kontinent im Zuge des sich ständig verschärfenden globalen Wettbewerbs um neue Technologien und Innovationen seine bisherige Position beibehält. Drittens, die Herausforderungen, die sich durch die Alterung und die Aufrechterhaltung des Kompetenzniveaus der Bevölkerung ergeben - um mit diesen Herausforderungen umzugehen, sind strukturelle Reformen und Investitionen in den Mitgliedsstaaten unumgänglich.

Wie sollte die EU ihre Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich gestalten, wenn es Ende Oktober zum Brexit kommt?

Viel wird davon abhängen, ob das Vereinigte Königreich das mit der EU verhandelte Austrittsabkommen akzeptiert, oder ob es zu einem No-Deal Brexit kommt. Im Falle eines No-Deal Brexit wird das Vereinigte Königreich zu einem sogenannten Drittstaat für die EU, und die Anwendung quasi aller Abkommen hinsichtlich Handel, Mobilität und sonstiger Zusammenarbeit, die die EU aktuell binden, wird enden. In diesem Falle müssten wir die Beziehung quasi von Grund auf wiederaufbauen.

Wie bereiten Sie sich vor Amtsantritt als Kommissarin auf Ihre neuen Aufgaben vor?

Vor der Nominierung als Kommissarin und dem Beginn der Amtszeit der neuen Kommission finden Anhörungen im Europäischen Parlament statt. Im Zuge dieser Anhörungen müssen die Kandidat*innen die Mitglieder des Europäischen Parlaments von ihrer Eignung für die Position und ihrem Fachwissen hinsichtlich ihres Portfolios überzeugen. Die Verteilung der Kommissarposten, und somit die Aufgabenverteilung innerhalb der Kommission, wird durch die künftige Kommissionspräsidentin vorgenommen. Sobald ich weiß, welches mein Portfolio ist, werde ich mich auf die Anhörungen vorbereiten, indem ich mich mit den betreffenden Aufgaben, Herausforderungen und Gesetzesvorschlägen vertraut mache.

Als Kommissarin werden Sie ein eigenes Kabinett bilden. Worauf muss eine Führungskraft achten, wenn sie ihre engsten Mitarbeiter*innen aussucht?

Ein gutes Team besteht aus verschiedenen Personen, die sich gegenseitig ergänzen und ihre vielfältigen Fähigkeiten einbringen.

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