Nachhaltige Mobilität: 2021 wird das europäische „Jahr der Schiene“

Europa kommt zum Zug

, von  Lukas Kögel

Europa kommt zum Zug
Das europäische Schienennetz besteht auch heute noch in vielen Teilen aus historisch gewachsenen Einzelnetzen, jedoch wird für die Erreichung der Klimaziele eine zunehmende Koordninierung und Standardisierung im Schienenverkehr immer wichtiger. Foto: Pixabay / Dirk Vetter / Pixabay Lizenz

Die Europäische Kommission hat das Jahr 2021 zum „Jahr der Schiene“ ausgerufen. Durch Veranstaltungen und Kampagnen will die Kommission im kommenden Jahr den europäischen Schienenverkehr fördern und für seine Vorteile werben. Damit soll der Anteil der transportierten Personen und Güter auf der Schiene langfristig erhöht werden. Das ist lobenswert, aber allein die Werbung für ein Verkehrsmittel macht noch keine nachhaltige Verkehrspolitik. Ein Kommentar.

Anlässe für ein europäisches „Jahr der Schiene“ gibt es im Jahr 2021 genug. Die erste Bahnstrecke zwischen Brüssel und Paris feiert ihr 175-jähriges Jubiläum und der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV wird 40 Jahre alt. Doch es sind nicht nur historische Ereignisse, die die Europäische Kommission veranlassen, der Schiene und dem Bahnverkehr eine besondere Rolle im kommenden Jahr zuteilwerden zu lassen. Vielmehr ist es das gewaltige Potenzial, das der Bahnverkehr bei der Reduktion von Treibhausgasen hat. Um die EU im Rahmen des Green Deal bis 2050 klimaneutral zu machen, müssen unter anderem die im Verkehrssektor verursachten Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gesenkt werden.

Die Bahn: Nachhaltig, sicher… und attraktiv?

Ein ambitioniertes Ziel, welches mit Transportwegen in der Luft, zu Wasser und auf der Straße nicht zu erreichen ist. Da kommt der Bahnverkehr als eine Art Musterschüler*in wie gerufen. Kein anderes Verkehrsmittel ist gemessen am Treibhausgasausstoß so umweltfreundlich wie die Bahn, nur der Luftverkehr ist in Hinblick auf die Sterblichkeitsrate der Passagiere sicherer. Dennoch ist der Anteil des Schienenverkehrs sowohl am europäischen Personenverkehr (7,6%) als auch am Güterverkehr (17,4%) noch vergleichsweise gering. Die Europäische Kommission plant deshalb, im „Jahr der Schiene“ mithilfe von Veranstaltungen und Kampagnen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene für die Nutzung der Bahn zu werben und ihren Anteil im Verkehrssektor zu erhöhen.

Ob das „Jahr der Schiene“ dazu einen nennenswerten Beitrag leisten kann, ist fraglich. Zu vage sind die Ziele der Kommission, die hauptsächlich darauf abzielen, mehr Aufmerksamkeit für den Bahnverkehr zu schaffen. Dabei besteht vor allem Handlungsbedarf in weniger öffentlichkeitswirksamen Bereichen. Da wäre zum einen die dringend benötigte Harmonisierung und Standardisierung der von den Mitgliedstaaten im Schienenverkehr eingesetzten Software und Technik. Unterschiedliche Signalsysteme, Schienenbreiten und Sicherheitsvorschriften stehen der Vision eines interoperablen, europäischen Schienennetzes buchstäblich im Weg. Auch die zahlreichen Regularien bei der Zulassung von Eisenbahnfahrzeugen erschweren an vielen innereuropäischen Grenzen den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr.

Ob die Liberalisierung des Eisenbahnnetzes in Form des vierten Eisenbahnpakets diesen Harmonisierungsprozess beschleunigt, indem es Marktteilnehmer*innen den Zugang zum europäischen Eisenbahnnetz vereinfacht und die Europäische Eisenbahnagentur als zentrale Akteur*in mit mehr Kompetenzen im Bereich der Zertifizierung und Genehmigung ausstattet, bleibt abzuwarten. Nicht umsonst bemühen sich Mitgliedsstaaten auch abseits der europäischen Bühne, eng bei bilateralen Mobilitätsfragen zusammenzuarbeiten und gemeinsame Standards zu entwickeln. So erklären beispielsweise Deutschland und Frankreich im Vertrag von Aachen die Absicht, ihr grenzübergreifendes Schienennetz digital und physisch besser miteinander zu verknüpfen. Auch die Visegrád-Staaten verkünden im Mai 2019, ihre Kooperation im Schienenverkehr zu vertiefen und eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Warschau, Prag, Bratislava und Budapest verwirklichen zu wollen. Auf absehbare Zeit werden es voraussichtlich einzelne zwischenstaatliche Projekte sein, die die Vision eines europäischen Schienennetzes schrittweise vorantreiben.

Jahrzehnt der Schiene

Das europäische „Jahr der Schiene“ besitzt also vor allem Symbolcharakter. Dass dieser Symbolcharakter funktionieren kann, zeigte in der Vergangenheit die Kampagne Free Interrail. Begleitet von dem Hashtag #DiscoverEU verteilt die Europäische Kommission seit 2018 jährlich kostenlose Interrailtickets an 18-jährige Bewerber*innen, damit diese kostenlos einen Monat vorrangig mit dem Zug durch Europa reisen können. Neben der erreichten Aufmerksamkeit bei der Zielgruppe und in den Medien, steht die Kampagne für nachhaltigen Tourismus und ein grenzenloses Europa. Das „Jahr der Schiene“ wird sich daran messen lassen müssen, ob es gelingt, innovative Angebote zu entwickeln, die den Zug zu einer ernstzunehmenden Alternative für viele Bevölkerungsgruppen machen, und somit die Weichen für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik zu stellen. Ein erhöhtes Angebot an Nachtzügen zwischen europäischen Großstädten oder ein Buchungsportal für transeuropäische Zugreisen wären beispielsweise erste Maßnahmen, damit es nicht bei einem Jahr der Schiene bleibt, sondern es Jahrzehnte der Schiene werden.

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