Europa und das Meer - eine Beziehung, die neu gedacht werden sollte

, von  Théo Boucart, übersetzt von Marie Menke

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Europa und das Meer - eine Beziehung, die neu gedacht werden sollte

„Europa, das sind die Städte“, hört man oft, wenn unser „Kontinent“ beschrieben wird. Man könnte aber genauso gut sagen, „Europa, das ist das Meer“, so groß ist der Einfluss des Meers auf unsere Kultur gewesen. Sollten wir unsere Beziehung zum Meer daher aus einer geopolitischen Perspektive analysieren?

Zwischen dem 31. Mai und dem 3. Juni fand das German-French Young Leaders Event in Paris statt – mit dem Ziel, Ideen und Meinungen über Europa und seine Politik in einer immerzu sich verändernden Welt auszutauschen. Ungefähr hundert französische und deutsche Teilnehmende nahmen an mehreren Rundtischdiskussionen teil. Es war eine Möglichkeit für sie, eine gemeinsame Sichtweise auf das europäische Projekte zu entwickeln, aber auch um neue Perspektiven in der Analyse der europäischen Integration zu entdecken.

Eben das war auch das Ziel der Präsentation mit dem Namen „European maritime values in an interconnected world“, den Georges Prévélakis, Geografieprofessor an der Pantheon-Sorbonne Universität hielt. Ihm zufolge sind die Wertvorstellungen einer Gesellschaft eng verbunden mit der Existenz und weiteren Faktoren des Meers. Freiheit, Offenheit und Risikobereitschaft charakterisieren einen maritimen Lebensstil, während Gesellschaften, die dem Meer ferner sind, eher konservativ und stabil seien.

Europa, ein von Natur aus maritimes Land

Aus einer geografischen Sichtweise ist Europa alles, aber eben kein Kontinent. Tatsächlich sit es eher die westliche Halbinsel des eurasischen Kontinents. Und wenn man von einer Halbinsel spricht, muss man zwingenderweise auch über das Wasser sprechen, das sie umgibt. Europa hat mehrere tausend Kilometer Küstenlinie, von den isländischen und norwegischen Fjorden bis zu den griechischen Inseln. Auf diese Art und Weise hat das Meer einen großen Einfluss auf das Meer.

Georges Prévélakis zufolge gelang es Europa, die Welt und ihre Politik zu dominieren, als die Europäer im 16. Jahrhundert zu den Herren der Meere wurden – zu der Zeit, zu der China sich nicht nach außen der Welt, sondern eher den eigenen Kontinentalinteressen zuwandte. Dies ist noch relevanter, da heute eben das Gegenteil dessen passiert: Europa wendet sich mehr und mehr dem eigenen Gebiet zu (ein Prozess, der auch durch den Brexit begann), während China an wirtschaftlicher und militärischer Macht im pazifischen und indischen Ozean zurückgewinnt. Kehrt Europa daher zu seinen Wurzeln zurück und folgt damit dem Impuls, den der Populismus gegeben hat? Immerhin wandten sich auch die großen Gründungsgesellschaften Europas, die Griechen, die Römer und die Araber, dem „Mare Nostrum“, dem Mittelmeer zu.

Gleichgewicht zwischen kontinentalen und maritimen Werten

Da alles aus dem Gleichgewicht gebracht ist (und auch die Geopolitik dabei keine Ausnahme ist), wie kann Europa seine kontinentalen und maritimen Wertvorstellungen zusammenbringen? Sollte Europa ein kontinentales Reich mit einer Mitte (der Deutsch-Französischen „Achse“) und einer Peripherie (den Anrainerstaaten des Mittelmeers) sein? Eine Alternative wäre ein Netzwerk europäischer Gebiete, die die maritimen Gebiete am Mittelmeer mit den weiteren verbinden. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung derer würde langfristiger und ausgeglichener sein.

Was jedoch wichtig an Georges Prévélakis Sichtweise ist, ist, dass er keine Antworten gibt (er gestand sogar während seiner Rede, mehr Fragen gestellt, als Antworten mitgebracht zu haben), sondern der Debatte rund um den europäischen Gedanken beiträgt. Die Mitgliedsländer am Mittelmeer haben zu sehr unter der Politik gelitten, die in Brüssel gemacht wurde, ohne dass die soziale Realität der maritimen Länder anerkannt wurde. Daher ist es auch notwendig, diese Denkweisen zu überwinden. Es gibt nichts, das sich nicht verändert, auch nicht der Nationalstaat. Die Analyse des europäischen Projekts durch die Linse maritimer Wertvorstellungen ist es wert, weiter vertieft zu werden, sodass die Ideen, die dort gebracht werden, angemessen sein werde, wie eine Flasche, die man in das Meer wirft, bevor man eine Nachricht in ihr verschlossen hat, die eines Tages gefunden und gelesen werden soll.

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