Europa verstärkt den Druck auf Ungarn

, von  Simon Lupianez, übersetzt von Melanie Thut

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Europa verstärkt den Druck auf Ungarn
Gwendoline Delbos-Corfield, französische EU-Abgeordnete der Grünen/EFA im Jahr 2022 vor der Abstimmung zur Resolution über Ungarn (links) und Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarn im Jahr 2017 (rechts) Foto links: Europäisches Parlament, 2022 / Philippe Buissin; Foto rechts: Europäische Union, 2017 / Etienne Ansotte / Copyright

Bei einer historischen Abstimmung am Donnerstag, den 15. September 2022, hat das Europäische Parlament beschlossen, Ungarn nicht mehr als Demokratie anzuerkennen. Artikel 7, dessen Verfahren 2018 vom selben Parlament eingeleitet wurde, kann dem Land seine Rechte in Bezug auf die Europäische Union entziehen. Dies könnte für Viktor Orban weit mehr als nur eine Drohung sein.

Das von Viktor Orbán geführte Land wird nicht mehr als Demokratie anerkannt. Dies beschloss das Europäische Parlament auf seiner Plenarsitzung in Straßburg am 15.09.2022. Mit 433 Ja- und 123 Nein-Stimmen (28 Enthaltungen) stimmten die Europaabgeordneten für einen Bericht, der von Gwendoline Delbos-Corfield (Grüne) vorgelegt wurde. Darin werden unter anderem die fragile Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit, die Minderheiten- und Migrationsproblematik und die hohe Korruption angeprangert.

Die Unterstützung für diesen Text geht über politische Grenzen hinaus. Laut der Europaabgeordneten Fabienne Keller (Renew Europe) „wenn Ungarn sich heute um die Aufnahme in die Europäische Union bewerben würde, wäre ein Beitritt nicht möglich, da es die Beitrittskriterien nicht mehr erfüllen würde“. Der Europaabgeordnete Jean-Paul Garraud ist der Meinung, dass dieser Text „ohne jegliche Grundlage und auf der Grundlage von verschwommenen und sehr fragwürdigen Begriffen erneut diese imperialistische Vorstellung einer allmächtigen europäischen Superunion durchsetzen will“.

Wird man das Ende des Verfahrens erleben?

Wie in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union erwähnt, sind die europäischen Werte die der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichheit und der Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte. Wenn der Verdacht besteht, dass ein Mitgliedstaat gegen diese Werte verstößt, kann Artikel 7 ausgelöst werden. Zunächst wird ein Präventionsmechanismus aktiviert. Ein Drittel der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission können dem Rat der Europäischen Union vorschlagen, „festzustellen, dass eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der in Artikel 2 genannten Werte besteht.

Mit der Zustimmung des Parlaments spricht der betroffene Mitgliedstaat vor dem Rat, der dann mit einer Vierfünftelmehrheit eine „drohende Verletzung“ anerkennen kann. Das Ergebnis einer solchen Abstimmung bedeutet, dass eine Überwachung des Landes und ein Dialog eingeleitet werden. Von einer Sanktion ist man in diesem Stadium noch weit entfernt. Echte Sanktionen tauchen im Sanktionsmechanismus, Punkt Nummer 2 in Artikel 7, auf. Wenn nichts unternommen wird, damit sich die Situation ändert (in den Texten ist keine Frist verankert), sieht der Artikel eine erneute Befassung des Rates (nach Abstimmung im Parlament) vor, um diesmal nicht ein Risiko, sondern das Vorliegen einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung anzuerkennen. Der Mechanismus ist sehr langwierig und erfordert anschließend einen einstimmigen Beschluss des Rates, um Phase zwei einzuleiten, in der (erneut) über die Aussetzung bestimmter Rechte, die mit der Mitgliedschaft des betreffenden Landes verbunden sind, abgestimmt wird. Die Website des Europäischen Parlaments bietet hierfür eine Infografik, die die zahlreichen und sehr langen Phasen der Auslösung von Artikel 7 auflistet.

Der am 15. September verabschiedete Bericht verweist insbesondere auf die mangelnden Fortschritte seit dem Beginn des Verfahrens im Jahr 2018. Tatsächlich wurde keiner der in Artikel 7 genannten Schritte abgeschlossen. Und das trotz zweier Anhörungen im Jahr 2019 mit der ungarischen Regierung. Paulo Rangeo (Europäische Volkspartei, EVP) bedauert, dass „sich die Situation während der Debatten verschlechtert und dass der Rat nach der Auslösung von Artikel 7 durch das Europäische Parlament im Jahr 2018 nichts unternimmt“. Die in den Verträgen vorgesehenen Sanktionen könnten daher noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Die Kommission handelt

Obwohl die in den Verträgen vorgesehenen schweren Sanktionen noch lange nicht auf der Tagesordnung stehen, könnte Ungarn dennoch finanziell bestraft werden, ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Im April diesen Jahres beschloss die Europäische Kommission, die Auszahlung der Mittel (42,2 Mrd. EUR) aus dem post-Covid Konjunkturprogramm und dem mehrjährigen EU-Haushalt an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Darüber hinaus schlug sie am Sonntag, den 18. September, den EU-Mitgliedstaaten vor, den Großteil der an Ungarn ausgezahlten Gelder auszusetzen. Sie haben nun drei Monate Zeit, sich dazu zu äußern.

Das von Viktor Orbán geführte Land ist das einzige Land in Europa, das noch keine Zustimmung der Kommission zur Auszahlung seines Post-Covid-Konjunkturpakets erhalten hat. Die ungarische Regierung muss also die EU überzeugen, um die wertvollen Milliarden zu erhalten. Die ungarische Justizministerin hat im Übrigen vor einigen Tagen eine Europatour begonnen, um die Staats- und Regierungschefs zu treffen und „die ungarische Position zu bestimmten Problemen wie dem Krieg in der Ukraine oder der Frage der Rechtsstaatlichkeit mitzuteilen“.

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