Schminke: Der Oman versucht seine Abhängigkeit von Rohstoffen wie dem Erdöl dadurch zu verringern, dass er die Wirtschaft diversifiziert. Der Tourismus im Allgemeinen und der Kreuzfahrttourismus im Besonderen spielen dabei eine besondere Rolle. Wie viele Urlauber besuchen den Oman?
Gutberlet: Rund 3,2 Millionen internationale Besucher kamen im vergangenen Jahr in den Oman, laut offiziellen Statistiken. Im Vergleich dazu: 2005 kamen etwas über eine Million internationale Touristen in das Sultanat Oman.
Der Oman ist eine neue Kreuzfahrtdestination. Der Tourismus hat sich erst seit Ende der 80er Jahre entwickelt. Damals öffnete sich das Sultanat langsam international. Vorher war es nur Geschäftsleuten und Angehörigen von Ausländern, die hier zum Beispiel für Ölfirmen arbeiteten, gestattet einzureisen. Das Land hatte eine geringe Infrastruktur, es gab nur rund sieben Kilometer Asphaltstraße und einen kleinen Flughafen in Muscat. Dies änderte sich seit Beginn der 1970er Jahre zu Beginn der „[omanischen] Renaissance“, der Regierungszeit von Seiner Majestät Sultan Qaboos Al Said.
Also, internationaler Tourismus ist ein relativ neues Phänomen im Sultanate Oman, im Vergleich zu Europa, wo man seit vielen Jahrhunderten bereits in verschiedene Lander reiste und man an Touristen und verschiedene Kulturen gewohnt ist.
Andererseits sind viele Einheimische selbst in den 70er Jahren aus ehemaligen omanischen Kolonialgebieten in den Oman gekommen, zum Beispiel aus Tansania, Sansibar, Kenia, Pakistan oder auch Irak und wurden eingebürgert. Oman ist daher ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und ein idealer Ort für den Tourismus. Die Menschen sind äußerst gastfreundlich, auch insbesondere gegenüber Deutschen. Gastfreundschaft ist auch eine muslimische Tugend. Nicht selten wird man in Oasendörfern zu Kaffee, Tee und Datteln in Privathäuser eingeladen. Ich denke, das gab es bei uns in Deutschland auch noch vor rund 50 Jahren. Also es ist, wenn genug Zeit da ist, auch ein nostalgischer Rückblick in unsere eigene Kultur und gastfreundschaftlichen Werte.
Schminke: Woher kommen die Touristen und was sind beliebte Häfen?
Gutberlet: Die meisten internationalen Touristen, die mit dem Flugzeug oder Auto im Land ankommen, sind aus Asien, inklusive den anderen arabischen Golfländern; aber auch Europa, insbesondere aus dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien.
Im November 2004 legte der erste Mega-Cruiseliner in Muscat an, das war „AIDA“. Andere riesige Schiffe von „Costa“, „Brillance of the Sea“ und „Mein Schiff“ folgten. Seit ein paar Jahren is Oman Teil der „Cruise Arabia Alliance“, ein Verbund verschiedener Golfstaaten mit dem Ziel gemeinsam Kreuzfahrttourismus zu fördern. Dubai und Abu Dhabi sind meistens die Ankunfts- oder Zielhäfen.
Rund 200.000 Kreuzfahrttouristen kamen im letzten Jahr in den Oman, die meisten sind Europäer. Das ist natürlich ein kleiner Anteil im Vergleich zu der Gesamtzahl der Touristen. Es gibt drei Häfen: Khasab, im Norden an der Straße von Hormuz, Muscat, die Hauptstadt, und Salalah im Süden des Landes. Die meisten Kreuzfahrtschiffe kommen nach Muscat. Dort liegt der Sultan Qaboos Hafen in der geografisch begrenzten Bucht mit dem alten Handelsviertel von Muttrah. Beliebte Rundreisen gehen um die Arabische Halbinsel mit AIDA und anderen Megaschiffen. Die Reise beginnt dann in Dubai, dann folgt Muscat einen Tag und dann nach Bahrain, Abu Dhabi und zurück nach Dubai. Vier Reiseziele in einer Woche, das schafft man mit dem Auto nicht. Das heißt, reisen mit dem Schiff ist sehr bequem, „man sieht viel“, wobei es ein sehr schnelles, visuelles und „All-Inclusive-Konsumieren“ ist. Heutzutage ist nicht mehr der Hafen sondern das Mega-Kreuzfahrtschiff die Destination.
Sogenannte Megaschiffe haben mehr als 1.800 Passagiere plus Crew, im Vergleich zu früheren Schiffen, die mit 500 Passagieren sehr viel kleiner waren. Die Epoche der Megaliners begann in den 1960er und 1970er Jahren in den USA und im Zuge der MacDonaldisierung vieler Bereiche der westlichen Gesellschaft. Es ist ein bequemes Reisen, wie eine Stadt für sich, mit vielen Freizeitangeboten, einschließlich Einkaufszentrum, Kinos, zahlreichen Sportmöglichkeiten, wie zum Beispiel eine Kletterwand, ein Golfplatz, Spas sowie Bars, Restaurants und vieles Weitere. Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Städte, sie haben eine Art „Monopol auf See“ und die Touristen sollen ihr Geld an Bord ausgeben. Eigentlich ist die Destination dann nicht mehr so wichtig. Für viele Gäste ist die Gemeinschaft mit der Familie und anderen Gästen an Bord am wichtigsten, eine Art Cruise-Community.
Schminke: Ein häufig in den Medien behandeltes Thema rund um Kreuzfahrttourismus ist die schlechte Umweltbilanz. Können Sie das quantifizieren?
Gutberlet: Das kann ich leider nicht, denn es ist nicht Teil meiner Studie in Oman. Ich kann jedoch auf anderere Studien verweisen, die besagen, dass es massive Umweltbelastungen gibt, auch weil die Regulierungen auf Hoher See, außerhalb der Landesgrenzen, viel relaxter sind als an Land. So ist es wohl üblich Müll und Abwasser in die Hohe See zu kippen und das gesamte Ökosystem leidet darunter, insbesondere Korallen und Meerestiere. Letztendlich essen wir, die Konsumenten, dann auch den Fisch, Muscheln und andere Meeresfrüchte. Oder das Meerwasser wird als Trinkwasser genutzt oder wir schwimmen und tauchen im Meer.
Die Schiffe tragen sicherlich beachtlich zur Übersäuerung unserer Meere und damit zur Schädigung des Ökosystems bei. Außerdem stößt alleine ein Kreuzfahrtschiff sehr viele „particulate matter“, kleinste Partikel, in die Atmosphäre, vergleichsweise laut einer Studie soviel wie rund eine Million Autos. Daher ist es auch für den Touristen an Bord eigentlich gar keine Erholung und wenig saubere Luft, für die Anwohner und Meeresbewohner natürlich auch nicht. Auch der Motorenlärm der Schiffe ist eine Belastung, zum Beispiel für Delfine oder Wale, die es übrigens auch im Oman gibt. Natürlich einige Schiffe haben auch eine eigene Kläranlage an Bord.
Es gibt eine Ocean Conservation and Tourism Alliance, die in den USA gegründet wurde und die als Ziel hat das Abwassermanagement, Zielhäfen-Partnerschaften, Umwelterziehung auch bei den Verkäufern zu fördern. In den USA wurde auch ein Clean Cruise Ship Act 2004 vom Congress ins Leben gerufen, aber wohl nicht verabschiedet. Es gibt weltweit Einheimische insbesondere von kleinen Destinationen, die sich gegen die großen Kreuzfahrtschiffe und ihre Auswirkungen auf die Umwelt wehren und sich damit durchgesetzt haben, dass die Megaliners nicht mehr anlegen. Allerdings sind Kreuzfahrtunternehmen und Ihr Marketing sehr mächtig weltweit und verharmlosen die Gefahren für die Meere und Menschen.
Einige sagen, dass das Meer ja so riesig sei, sodass ein kleiner Anteil an Abwasser, Öl oder anderen Stoffen sich schnell auflösen könne. Allerdings ist das Volumen sehr groß. Laut einer US-Studie produziert jeder der 150.000 Carneval Cruise Passagiere rund 365 Liter Abwasser pro Tag und pro Person. Ich denke, es sollte viel mehr Studien über die ökologischen Auswirkungen von Kreuzfahrtschiffen in verschiedenen Destinationen geben.
Schminke: Wie sehr profitiert die Wirtschaft in Städten wie Muscat oder Salalah vom Kreuzfahrttourismus? Gibt es Berechnungen über die Wertschöpfung aus dem Kreuzfahrttourismus für den Oman?
Gutberlet: Genaue Berechnungen über die Wirtschaftlichkeit für den Oman gibt es offiziell nicht. Derzeit ist das Ziel die Zahl der Touristen, inklusive Kreuzfahrttouristen, zu steigern. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass die Kreuzfahrttouristen mal eines Tages länger in den Oman reisen werden. Laut meiner Studie geht es allerdings den meisten Touristen eher darum ein Reiseziel abzuhaken, wie eine Art „Bucket-List“, dass man sagen kann, man war mal im Oman. Egal wie lange, auch wenn es nur ein paar Stunden waren. Um eine eingehende Auseinandersetzung mit Land und Leuten geht es weniger.
Meine Studie gibt einen ersten Einblick was Kreuzfahrttouristen im Marktviertel von Muttrah, direkt gegenüber dem Kreuzfahrtterminal ausgeben, nämlich fast nichts. Ich habe zum Beispiel 675 Touristen befragt, 40 Prozent gaben an nichts gekauft zu haben und der Rest hat weniger als 30 Euro ausgegeben. Einheimische oder alt eingesessene Händler haben mir immer wieder gesagt, dass insbesondere die Kreuzfahrttouristen wenig einkaufen und nur schauen. Das bestätigt auch Studien in anderen Destinationen, wie zum Beispiel in Skandinavien. Die Touristen schauen nur, aber sie kaufen wenig oder gar nichts. Das ist anders, wenn sie einen Tag übernachten, zum Beispiel in Abu Dhabi oder Dubai. Touristen, die mit dem Flugzeug oder über Land mit dem Auto einreisen, konsumieren in der Regel mehr, weil sie auch mehr Zeit haben. Das heißt, einige Gewinner des Kreuzfahrttourismus sind der Hafen, Shipping-Companies, Reiseagenturen, Busunternehmen, Museen, einige wenige Geschäfte, Restaurants und vielleicht einige Taxifahrer.
Schminke: Der Oman ist ein konservatives, muslimisch geprägtes Land. Welche kulturellen Auswirkungen hat der Kreuzfahrttourismus? Kommt es zu Beschwerden von Anwohnern?
Gutberlet: Der Oman ist ein sehr liberales muslimisches Land mit vorwiegend ibaditischen Muslimen. Der Ibadismus ist von Toleranz geprägt, allerdings sind Alltagssitten und Gebräuche, zum Beispiel was die Kleidungsordnung betrifft, tief in der Gesellschaft verankert und teilweise auch offiziell vorgeschrieben. Es ist eine recht formale Gesellschaft im Vergleich zu Europa, wo die Kleidung keinen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Person hat. In meiner Studie habe ich auch das Kleidungsverhalten deutscher Kreuzfahrttouristen analysiert. Ergebnisse zeigen, dass viele Kreuzfahrttouristen nicht angemessen gekleidet sind, das heißt besonders weibliche Touristinnen ihre Knie, Schultern und Dekolleté nicht bedecken oder auch transparente Kleidung tragen. Die konservative Kleiderordnung im Oman wird auch an Bord der Megaschiffe nicht klar kommuniziert. Die Devise an Bord ist „grenzenlose Freiheit“, ohne Verhaltensregeln oder Vorschriften. Dies führt allerdings dazu, dass sich Einheimische und Händler im Marktviertel von Muttrah nicht respektiert fühlen und es zu sogenannten Kulturschock-Situationen kommt. Einheimische meiden daher auch das Marktviertel, wenn ein Kreuzfahrtschiff im Hafen ist.
Was den Kreuzfahrttourismus in Muttrah und seine Auswirkungen für die lokale Bevölkerung betrifft, so kommt es zu Überfüllung des Raumes beziehungsweise des Marktviertels, wenn ein oder mehrere Megaschiffe in der Stadt sind. Es gibt Parkplatzprobleme und der Raum wurde zunehmend nach den touristischen Bedürfnissen gestaltet, eine Touristen-Blase sozusagen. Zum Beispiel gibt es spezielle Touristen-Restaurants und eine internationale Schnell-Restaurant-Kette hat auch letztes Jahr direkt am Hafen ein Restaurant eröffnet. Außerdem hat sich das Warenangebot nach der Touristennachfrage umgestellt. Es gibt viele billige, eher in Asien produzierte Waren, zum Beispiel Pashmina-Schals. Einheimische Waren und Händler wurden daher in den letzten Jahren entlang der Hauptstraße des Marktviertels verdrängt. Im hinteren Teil des Marktes gibt es aber noch einen Teil für Einheimische, wo diese zum Beispiel lokale Parfums, Haushaltswaren, Schuhe oder Kleidung einkaufen.
Schminke: Gibt es zum Kreuzfahrttourismus aktuell eine ökologische Alternative? Wie mache ich als Europäer im Oman am besten Urlaub, wenn ich das Land besuchen will, wenn nicht mit dem Kreuzfahrtschiff? Gibt es da eine ideale Lösung?
Gutberlet: Ein langsameres und regionales Reisen wäre sicherlich ökologisch besser und sozial verträglicher für Land und Leute. Jeder Einzelne ist gefragt, bewusster zu konsumieren.
Schminke: Welche Initiativen ergreift der Oman um einen nachhaltigen, ökologisch vertretbaren Kreuzfahrttourismus zu etablieren?
Es wurden die Gebühren für Kreuzfahrtschiffe letztes Jahr erhöht. Ich denke, das ist schon ein guter Schritt. Allerdings zahlen Kreuzfahrttouristen immer noch keine Visumsgebühr. Es ist kostenlos für sie in den Oman einzureisen, im Vergleich zu anderen internationalen Touristen. Dies sollte auch vereinheitlicht werden. Die Planung eines größeren Kreuzfahrtterminals und Kreuzfahrthafens mit einem Einkaufszentrum und Hotels in Muscat, in der Bucht von Muttrah, ist derzeit auf Eis gelegt worden.
Aufgrund meiner Studie komme ich zu dem Ergebnis, dass es sozial verträglich wäre, eine Quote für Kreuzfahrtschiffe und Touristen einzuführen, so wie in anderen kleinen Destinationen, wie beispielsweise auf den Seychellen oder Santorini. Ich denke, Destinationen sollten voneinander lernen und gemeinsame Reglungen schaffen.
Schminke: Gibt es Möglichkeiten für die Europäische Union, den Kreuzfahrttourismus und seine negativen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen in der Welt zu verringern? Was müsste getan werden?
Gutberlet: Das ist eine gute Frage. Aber mit mehr Urlaubstagen und billigen Reiseangeboten möchte nun mal jeder reisen und viel sehen in kurzer Zeit, und das alles bequem und mit der gesamten Familie. Sicher würde es etwas ausmachen, wenn die Reisepreise erhöht werden und damit die Zahl der Reisenden reduziert werden könnte, zur Bewahrung der natürlichen Ressourcen inklusive unserer Meere weltweit. Meiner Ansicht nach sollten auch keine Megaschiffe gebaut werden.
Ich denke, es sollte weltweit strengere Gesetzte für den Erhalt des Ökosystems und einen nachhaltigeren Tourismus auf unseren Weltmeeren erlassen werden. Auch ethische Standards und Öko-Gütesiegel sind wünschenswert, außerdem ein Strukturfonds für die lokale Bevölkerung und die Destination. All das gibt es ja bereits. Verschiedene Kreuzfahrtunternehmen werben auch mit ihren Nachhaltigkeitsaktionen und Partnerschaften in Destinationen.
Ich denke, langfristig geht es auch darum, innovative Tourismusdestinationen regional zu entwickeln und das Individualverhalten jedes einzelnen Bürgers und damit die Tourismusnachfrage weltweit zu verändern.
Anstatt „Fast-Tourism“ und „Hyper-Konsum“ sollte „Slow-Tourism“ schick sein. Tourismus ist eine Freizeitaktivität, die von jedem einzelnen bewusster und verantwortungsvolle gestaltet und nicht einfach maßlos und so billig wie möglich konsumiert werden sollte. Das wird natürlich gefördert solange die natürlichen Ressourcen – Meer, Luft und Landschaft noch mehr oder weniger frei sind und es zahlreiche Billigangebote gibt, um schnell mal irgendwohin und „ins Warme“ zu reisen.
Vor einer Reise sollte sich jeder achtsam fragen: Was ist meine Motivation? Könnte ich auch regional verreisen? Wenn nicht, wie kann ich mich sinnvoll vorbereiten auf Land und Leute? Was sind die ökologischen Auswirkungen oder der ökologische Fußabdruck meiner Reise?
Neben innovativen Technologien kann langfristig das Konsumverhalten jedes Einzelnen eine Menge bewirken und verändern. Aber dafür benötigen wir noch viel Aufklärung, Umwelterziehung und Training im achtsamen Umgang mit unserer physischen Umwelt und den Mitmenschen um uns herum. Dies sollte bereits in Kindesjahren beginnen, zum Wohle unseres Planeten und zukünftiger Generationen.
Soweit ich weiß, gibt es auf regionaler Ebene Meeresschutzpolitiken, in denen die EU-Mitgliedstaaten regionale Praktiken anwenden. Bislang hat die EU jedoch noch keine Politik für alle Mitgliedstaaten entwickelt. 2008 hat der Europäische Rat allerdings das Protokoll über das integrierte Küstenzonenmanagement unterzeichnet.
Schminke: Manuela Gutberlet, Danke für das Interview!
Gutberlet: Sehr gern!
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