Hunderte Menschen jubeln und klatschen, wenn wieder ein Zug mit neuen Flüchtlingen ankommt. Keiner weiß, wie viele es sind. Die Bahnsteige am Wiener Westbahnhof sind voll an diesem Samstag, dem 5. September. NGOs wie das Rote Kreuz oder die Caritas stehen bereit, ankommenden Menschen zu helfen.
Außerdem sind zahlreiche Freiwilige vor Ort. Eine Übersicht, wie viele es sind, gibt es nicht. Jeder will helfen. Der nächste Supermarkt wird quasi überrannt. Hygieneartikel wie Binden, Lebensmittel oder Wasser sind fast ausverkauft. Alles wird verteilt. Kinder bekommen Stofftiere und Schokolade geschenkt. Gastfreundlich, denkt man im ersten Moment. Aber auf den zweiten Blick kommt es fast so vor, dass auch viele aus eigenem Egoismus helfen. Nur damit sie sagen können: ‘Ich habe geholfen!’ und es später auf Facebook posten können.
Die Helfer wollen helfen. Überall. So laufen sie hektisch am Bahnhof umher auf der Suche nach Flüchtlingen. Denen stecken sie ungefragt Wasser und Stofftiere zu. Die Kinder wissen oft gar nicht, wie ihnen geschieht. Wenn die dazugehörigen Eltern zu verstehen geben wollen, dass sie nicht noch mehr Obst brauchen, weil sie gar nicht mehr essen können, werden die Helfer aufdringlich. Sie lassen sich nicht davon abbringen. Sie wollen helfen. Die Flüchtlinge müssen das Geschenkte annehmen. Ob sie es brauchen oder nicht.
Es mag unterschiedliche Beweggründe geben, warum Menschen helfen. Trotzdem: Es ist gut, dass sie helfen.
Auf dem Weg vom Gleis zur Bahnhofshalle vermischen sich Flüchtlinge, Freiwillige und Reisende. Nur optisch erkennt man, wer geflohen ist: Sie sehen erschöpft aus. Und dreckig. Und man riecht, dass sie seit Wochen nicht geduscht haben. Aber sie sind glücklich. Glücklich darüber, in der EU angekommen zu sein und Ungarn endlich hinter sich gelassen zu haben. Teilweise, so erzählen sie, waren sie dort mehrere Tage im Gefängnis. Die Bedingungen wären unerträglich gewesen. Wie Tiere hätte man sie behandelt. Ob sie nun wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Registrierung dort untergebracht waren oder nicht, lässt sich im Nachgang schwer nachprüfen. Wohlgefühlt haben sie sich dort jedenfalls nicht. Sie wollten weiter. Weiter nach Österreich oder Schweden. Die meisten allerdings wollen nach Deutschland.
Eine junge Frau Mitte zwanzig, Bouthena, erzählt, wie sie seit Februar 2013 mit ihrer Familie auf der Flucht war. Zuerst nur innerhalb Syriens. Sie dachten ja nicht, dass es soweit kommt. Hoffnung hatten sie zu Beginn, dass es wieder besser wird. Als die Lage sich verschlimmerte und sogar ihr Bruder gezielt getötet wurde, floh die Familie. Ein Teil in die Türkei. Ein anderer weiter nach Deutschland. Da wollen sie nun alle hin.
Ihr Cousin, der nach Augsburg geflohen war, ist extra aus Deutschland angereist, um seine Familie in Wien abzuholen. Das Wiedersehen fällt überwältigend aus: Alle freuen sich, lachen, liegen sich in den Armen. Zwei Jahre haben sie sich nicht geesehen.
Als die Familie von Bouthena eine Nische im Bahnhof gefunden hat, um sich in Ruhe zu entspannen, kommen ständig Menschen zu ihnen und drücken ihnen immer mehr Bananen, Stofftiere und Decken in die Hand. Tüten werden benötigt, damit sie all das mit sich nehmen können. Selbst die kleinsten müssen mit anpacken. So viele Spenden bekommen sie.
Die Weiterreise ist bereits geplant. Zwei Stunden später sitzt die Familie gemeinsam im Zug. Ihr Ziel: Deutschland.
So werden hunderte Familiengeschichten an diesem Tag in Wien geschrieben. Was zurück bleibt ist pure Dankbarkeit.
These two refugees wanted to say 'Thank you' to volunteers. pic.twitter.com/ShKzyvAaBW
— Christoph (@Schattleitner) 5. September 2015
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