Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Joseph Daul, wirft Griechenland vor, über die Türkei eintreffende Flüchtlinge nicht zu registrieren und nur einen der fünf geplanten Hotspots auf seinen Inseln errichtet zu haben.
Die Eskalation der Flüchtlingskrise sorgte für Spannungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und unterstreicht die unterschiedlichen Herangehensweisen der Mitterechts- und Mittelinkspolitiker. EVP-Vertreter greifen in der Regel hart durch, während sozialistische Politiker einen eher moderaten Ansatz verfolgen.
In einem Interview mit Die Welt drohte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am vergangenen Samstag damit, Griechenland aus dem Schengen-Raum auszuschließen, wenn es den Flüchtlingsstrom nicht eindämme. „Wenn die Regierung in Athen nicht endlich mehr für die Sicherung der Außengrenzen unternimmt, dann muss man auch über den vorübergehenden Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum offen diskutieren müssen“, betonte die EVP-gesinnte, konservative Politikerin. „Es ist ein Mythos, dass die griechisch-türkische Grenze nicht kontrolliert werden kann“, sagte sie.
Ihre heftigen Äußerungen stießen in Deutschland auf scharfe Kritik: Der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bezeichnete die Warnung Wiens als „Scheinlösung“. Die Flüchtlingskrise könne man nicht lösen, wenn „wir uns innerhalb Europas gegenseitig die Solidarität aufkündigen“, so der Bundesminister. Stattdessen müsse man Hand in Hand arbeiten und sich auf die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Stärkung der EU-Außengrenzen und die faire Verteilung der Asylsuchenden innerhalb Europas konzentrieren.
Knut Fleckenstein, Vizefraktionschef der Sozialdemokraten (S&D) im EU-Parlament, stimmt mit Steinmeier überein. „Wir brauchen Hotspots, um die Flüchtlinge zu registrieren, und einen EU-weiten Verteilungsschlüssel für Asylsuchende. So können wir die EU-Außengrenzen besser kontrollieren und die Lasten gerechter verteilen. Beides muss funktionieren“, erklärte er EurActiv gegenüber.
EVP warnt Athen
„Wir müssen uns darauf konzentrieren, die bestehenden Gesetze wie die erste und zweite europäische Migrationsagenda durchzusetzen. Sie gehen dringende Herausforderungen an: ein schnelles Asylverfahren, einen funktionierenden Rückführungsmechanismus und bessere Aufnahmebedingungen für Asylsuchende“, sagte Daul. „Hauptverantwortung der Mitgliedsstaaten ist es, die bestehende Gesetzgebung in die Praxis umzusetzen. Die Länder, die ihre Pflichten nicht erfüllen, sollten vorübergehend aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden“, warnte er und sandte damit eine deutliche Botschaft an die Syriza-Regierung.
Daul forderte außerdem, das Europäische Asylsystem komplett zu reformieren und Asylanträge „an den EU-Außengrenzen oder vorzugsweise außerhalb der EU“ zu bearbeiten. Er betonte, ein solcher Plan würde der EU erlauben, Flüchtlingen zu helfen und gleichzeitig nicht-schutzbedürftige Personen zügig zurückzuschicken. „Ich bin auch überzeugt, dass wir Kontingenzpläne für die in der EU ankommenden Flüchtlinge entsprechend der Genfer Konvention brauchen“, so Daul.
Laut EVP-Chef sollten Mitgliedsstaaten eine Balance finden zwischen der Pflicht, anderen zu helfen, und der Aufgabe zur Wahrung der Widerstandskapazitäten in der EU – diese seien nicht unbegrenzt. Gleichzeitig müsse man auch die Sicherheit der europäischen Bevölkerung garantieren. Darüber hinaus schlägt die EVP Daul zufolge vor, Sicherheitszonen in Drittländern einzurichten. Auf diese Weise wolle man Hilfe und Unterstützung bieten und zwar „so nahe wie möglich, eventuell sogar in den Herkunftsländern.“
Eine Abschottung Griechenlands
Am 22. Januar schrieb die Financial Times, dass EU-Spitzenpolitiker eine Strategie zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms erarbeiteten. Zu diesem Zweck, hieß es, wolle man den Zugang nach Mazedonien blockieren. Der Artikel sorgte besonders in Athen für großes Aufsehen. Dort befürchtete man, bald abgeschottet zu werden. Griechenlands junger Migrationsminister, Ioannis Mouzalas, sagte, der FT-Artikel enthalte „Lüge und Verzerrungen“.
Der griechische Außenminister Nikos Kotzias reagierte ähnlich bestürzt. Er verwies darauf, dass man von deutscher Seite her nie ein solches Thema angesprochen hätte. Ziel seines Landes sei es, zu verhindern, dass falsche Annahmen ihren Weg in politische Empfehlungen fänden. „Bei solchen Plänen sind sich die Politiker nicht bewusst, wie der Schengen-Raum funktioniert und wie bedeutend er ist“, kritisierte er.
„Eine solche Strategie existiert überhaupt nicht“, erklärte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am gestrigen Sonntag. „Wir stimmen mit den Berichten zum Schengen-Raum und den Suspensionen nicht überein“, sagte er. Die Flüchtlingskrise werde keinesfalls zur Wiederaufnahme der Grexit-Debatte führen.
Der ungarische Premierminister Victor Orbán konstatierte am 22. Januar, dass Bulgarien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (EJRM) einen Zaun entlang ihrer Grenze zu Griechenland errichten sollten. Bulgarien hat bisher einen Zaun an der türkischen Grenze gebaut. Für die griechische Grenze ist so ein Schritt noch nie geplant gewesen, da man sie als zukünftige Binnengrenze des Schengen-Raums versteht.
Wie EurActiv aus informierten Kreisen erfuhr, habe Orbán bei einem Treffen der Premierminister vor einigen Monaten gefragt, was man von ihm erwarte: entweder die Verteidigung der EU-Außengrenzen, zu der er laut Schengen-Vertrag verpflichtet ist, oder das Durchschleusen sämtlicher Flüchtlinge bis zu ihrem erwünschten Zielland.
Keine gemeinsamen Patrouillen mit Ankara
Nikos Kotzias schloss jedwede Möglichkeit der gemeinsamen Patrouillen mit der türkischen Küstenwache aus. Frontex solle stattdessen die Verantwortung für die Rückführung der nicht-schutzbedürftigen Einwanderer in die Türkei übernehmen, forderte er. „Frontex könnte die Rückübernahmevon Migranten ohne Asylanspruch vereinfachen. Es gibt sowohl ein griechisches als auch ein europäischen Rückübernahmeabkommen [mit der Türkei]. Wir sind für das Aufstellen einer EU-Küstenwache. Wir weigern uns jedoch in ihrem Namen Souveränität einzubüßen“, betonte Kotzias.
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Medienpartner EurActiv.de.
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